Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter

MieterEcho online 23.12.2020

Wer entscheidet im Bezirk?

Im letzten Beitrag zum Thema ging es um den Schöneberger Gasometer als Wahrzeichen des Kapitals. Das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg hatte im September 2020 beschlossen, dass der zur Abstimmung vorgesehene Bebauungsplan dem Vorhabenträger des Euref-Campus, Reinhard Müller, ermöglichen soll, das Innere des Gasometer um 14,5 Meter höher zu bebauen als ursprünglich geplant. Dagegen protestieren die Anwohner/innen und haben eine Bürgerinitiative „Gasometer retten“ gegründet (MieterEcho online, 17.11.2020 [1]).

Auf einer kleinen Online-Konferenz am 19. November, zu der Stadtrat Jörn Oltmann (Grüne) eingeladen hatte, gab er auf die Frage, warum denn diese Höherbebauung unbedingt sein müsse, eine bemerkenswerte Antwort: Der Grund für die Änderung des Bebauungsplanentwurfs liege darin, dass der Eigentümer bereits einen Mietvertrag über ein Bürogebäude im Inneren des Gasometer abgeschlossen habe. Darin sei dem Mieter – einem bedeutenden Unternehmen der Mobilitätsbranche – ausreichend Platz für 2.000 Arbeitsplätze zugesichert worden.

Mietvertrag über ein Luftschloss

Der private Vorhabenträger Reinhard Müller hat also ein Gebäude vermietet, das bisher weder gebaut noch genehmigt ist – und aus diesem Grund muss der Bezirk die ursprünglichen Pläne verändern? Diese Pläne waren vor Jahren mit den zuständigen Denkmalbehörden abgestimmt, und von diesen schon mit der niedrigeren Innenbebauung des Gasometer nur unter größten Bedenken akzeptiert worden.

Oltmann begründete dies auch mit der Bedeutung von 2.000 gut bezahlten, sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen für Berlin. Die Berliner Morgenpost berichtete am Tag darauf, dass es die Deutsche Bahn sei, die dort einziehen wolle. Die „Mitarbeiter kämen vor allem von anderen Berliner Standorten“, von neuen Arbeitsplätzen für Berlin kann also keine Rede sein. In Medienberichten wurde auch suggeriert, dass es vom Senat bereits Zustimmung gäbe zur Höherbebauung.

Auf eine Frage im Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses am 30. November, ob der Senat sich zugunsten der Vermarktungspläne von Müller über das Votum von Landesdenkmalamt und Landesdenkmalrat hinwegsetzen würde, erwiderte der für Denkmalschutz zuständige Kultursenator Klaus Lederer ganz klar: „Nein, das trifft nicht zu“. Er führte weiter aus, dass es sicher immer wieder zu solchen Pressemeldungen kommen könne, wenn irgendwer meine, es nütze seinen Interessen.

Beim bezirklichen Stadtentwicklungsausschuss am gleichen Tag sollte über zwei Anträge der Partei Die Linke abgestimmt werden. Zum einen sollten dem Vorhabenträger vertraglich Sanktionen auferlegt werden, wenn er seine Verpflichtungen – vor allem zum Denkmalschutz – nicht erfüllt. Zum anderen sollte das Bezirksamt aufgefordert werden, die Bedenken des Landesdenkmalamtes gegen die höhere Innenbebauung ernst zu nehmen.

Bürger/innen vor den Kopf gestoßen

Viele Anwohner/innen und Mitglieder der Bürgerinitiative (BI) waren zur Sitzung gekommen. Auf Antrag der SPD wurde jedoch die Behandlung beider Anträge verschoben. Die Gäste verließen die Sitzung verärgert. In der folgenden Ausschuss-Sitzung am 9. Dezember gelang es den Grünen, anstelle der Anträge der Linken zwei eigene Anträge beschließen zu lassen. Von Sanktionen ist nun keine Rede mehr, und es soll eine öffentliche Veranstaltung mit dem Vorhabenträger durchgeführt werden.

Zuvor hatte ein Vertreter der BI das Wort und erläuterte nochmals die Sorge um den Bestand des Gasometer und die Kritik an der höheren Innenbebauung. Die Sichtbarkeit des Stahlgerüsts würde beeinträchtigt und die Nachbarhäuser verschattet. Er wies darauf hin, dass die BI mit einer Online-Petition bereits über 5.000 Unterschriften gegen die Höherbebauung des Gasometer gesammelt habe [2]. Stadtrat Oltmann kommentierte das nur mit dem Hinweis, die Unterschriften würden der BI nichts nützen und hätten keine rechtliche Wirkung.

Die politische Wirkung solcher Zurückweisung von Anliegen aus der Nachbarschaft scheint den Stadtrat nicht zu interessieren. Ob das Beteiligungsverfahren ab Januar 2021 unter diesen Umständen wirklich ergebnisoffen durchgeführt wird, kann bezweifelt werden.

[1] Gasometer als Wahrzeichen des Kapitals, MieterEcho online 17.11.2020: www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/euref-campus/

[2] Website der BI mit Link zur Online-Petition „Den Gasometer in Berlin-Schöneberg retten - Denkmalschutz vor Investoreninteressen!“: www.gasometer-retten.de

Elisabeth Voß.
Die Autorin arbeitet als parteilose Bürgerdeputierte / sachkundige Bürgerin im Stadtentwicklungsausschuss Tempelhof-Schöneberg mit der Partei Die Linke zusammen.

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