Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter

MieterEcho online 30.06.2017

Friedel54 - Räumung heizt politisches Klima an

Der Senat kann oder will die Räumung eines sozialen Raums zu Gunsten einer Briefkastenfirma nicht verhindern und die Polizei fällt durch unangemessene Härte und eine fragwürdige Behauptung mit Folgen für die öffentliche Meinungsbildung auf. Die Mobilisierung gegen die Räumung des „Kiezladens“ Friedel54 hingegen ist erfolgreich verlaufen und wird noch lange spürbar sein.

Um 4:25 Uhr begann am Donnerstag der massive Polizeieinsatz vor Ort, gegen 8:45 Uhr der zum Teil gewalttätige Abtransport der Menschen aus der Sitzblockade vor der Friedelstraße 54, und kurz nach 13 Uhr waren Polizei und Gerichtsvollzieher am Ziel: Das Soziale Zentrum Friedel54 war geräumt. Nach über anderthalb Jahren des Kampfes gegen zwei verschiedene Eigentümerfirmen, nach vielen Demos, Kundgebungen und anderen Aktionen, nach unzähligen, auch ausländischen Presseberichten über diesen Kristallisationspunkt im Kampf um die Stadt, ist wieder ein nicht-kommerzieller Raum dem Kommerz geopfert worden. Diesmal unter einer Landesregierung, die sich mehrheitlich deutlich gegen die Entwicklung auf dem Häusermarkt positioniert. Zumindest Grüne und Linke haben sich auch konkret gegen den Verlust der Friedel54 ausgesprochen.


So sagte der Linke-Abgeordnete Hakan Taş vor Ort kurz vor der Räumung gegenüber "MieterEcho": „Wir sind heute solidarisch mit den Menschen, die dieses soziale Projekt unterstützen. Wir sind gegen Zwangsräumungen.“ Taş bestätigte, dass Stadtentwicklungssenatorin Lompscher vergangene Woche wieder den Kontakt zur in Luxemburg registrierten Firma Pinehill, der die Friedelstr. 54 seit einem Jahr gehört, gesucht hatte. Anders als vor ein paar Monaten, als es zumindest eine „Mini-Kommunikation“ – nämlich eine ablehnende Antwort in Sachen Hauskauf – gegeben hatte, kam demnach diesmal gar keine Antwort. Taş drückte noch die Hoffnung aus, der Gerichtsvollzieher könne sich angesichts des massiven Protests umstimmen lassen und sprach von einem „Ersatzort“, den ansonsten der Bezirk zu besorgen hätte.


Für den Bezirk war der neue Baustadtrat Jochen Biedermann von Bündnis 90/Die Grünen ganz nah am Geschehen dran. Er sagte im Gespräch mit „MieterEcho“ zunächst das, was auch die Bezirksbürgermeisterin Giffey (SPD) immer wieder hören lässt, nämlich dass die öffentliche Hand das Gebäude beim Verkauf vor einem Jahr nicht hätte an sich nehmen können. Allerdings hielt Biedermann fest, erst er habe in der Verwaltung in Sachen Milieuschutz „das nötige Knowhow aufgebaut“. Das Vorkaufsrecht des Bezirks geltend zu machen sei „kein einfacher Verwaltungsakt“ und in der gesetzlich vorgegebenen Frist von zwei Monaten generell schwierig, unter anderem wegen der Notwendigkeit einer rechtssicheren Festlegung von Verkaufspreis und Finanzierung. Letztes Jahr konnte das demnach nicht klappen, weil sich die damals im Bezirk den Ton angebende Koalition aus SPD und CDU gegen ein Einschreiten in den Häusermarkt generell sträubte.


Wegen dieses neuen politischen Klimas in Bezirk und Senat hatte das Kollektiv, das die Friedel54 verwaltete, bis zuletzt Hoffnung auf einen glimpflichen Ausgang des Konflikts. Zumal der Erfolg in der Öffentlichkeit beträchtlich war. Nach einem letzten Aktionswochenende kamen am Dienstagabend an die 150 Menschen zu einer Videokundgebung vor dem Haus. Am Vorabend der Räumung waren es rund 400 Menschen, die dort den Film „Mietrebellen“ ansahen. Ein großer Teil diskutierte bis tief in die Nacht auf der Straße. Am Morgen saßen dann rund 150 Personen in der Sitzblockade vor dem Haus, Dutzende im Innenhof, und über 200 standen an den beiden Polizeiabsperrungen.


Die Polizei ließ es zunächst ruhig angehen und sogar Menschen durch Hinterhöfe in den eigentlich abgesperrten Bereich vor der Friedelstraße 54 kommen. Nach einem offensichtlich unsinnigen Gewaltausbruch gegen eine sehr kleine Sitzblockade vor einem Haus der anliegenden Weserstraße, in dem die Polizei schon drin war, um so auf den Hof der Friedel54 zu kommen, legten dann einige Polizisten beim Aufmarsch vor der großen Sitzblockade am Hauptplatz des Geschehens los. Sie drängte auch einige Presseleute in Richtung einer der Absperrungen. Mindestens ein Fotojournalist wurde, obwohl er die Kamera in der Hand hielt und sich empörte, von zwei Beamten gepackt und wegbugsiert. Er berichtete später, nicht mehr durch diese Absperrung gelassen worden zu sein. Ein Kollege und eine Kollegin, beide ebenfalls mit Kameras, sagten dasselbe. Mittlerweile kursieren auch Aufnahmen von Polizeigewalt gegen Presse, wie diese.
Gegen die Sitzblockierenden ging die Polizei noch ruppiger vor. Zwar wurden viele Menschen ohne größere Gewalteinwirkung von zwei oder drei, auch mal vier PolizistInnen weggetragen. Andere hingegen wurden geschleift, gewürgt und geschlagen. Eine der Personen, die von einem Balkon gegenüber einen guten Einblick hatten, berichtet gegenüber „MieterEcho“, dass immer wieder Polizisten unabhängig vom Verhalten der einzelnen Blockierenden sehr gewalttätig geworden seien. Im Innenhof, wo angeblich keine Presse zugelassen war, ging es wohl noch härter zu. Eine betroffene Person berichtet ebenfalls von mutwilliger Gewalt (Schmerzgriffe, Schläge, Tritte, auf den Boden gedrücktes Gesicht) auch gegen friedlich Protestierende. Ein Mensch soll sogar ein Stück am Kinn durch den Hof geschleift worden sein. Ein Anwalt des Kiezladens sagt, die Polizei habe dort medizinische Hilfe nicht gleich durchgelassen. Insgesamt soll es drei Kreislaufzusammenbrüche, beziehungsweise „Bewusstlose“, gegeben haben, zwei davon im Innenhof. Die Gruppe „Kritische Demobeobachtung Berlin“, die vor allem aus Jura-Studierenden besteht, resümierte gleich nach dem Vollzug der Räumung, die Polizei habe „unerlaubte Schmerzgriffe“ sowie ein Übermaß am Kameras (die auch ausgeschaltet eine Wirkung entfalteten) eingesetzt. Bilanz der Polizei: 28 Gewahrsamnahmen zur Identitätsfeststellung und eine Festnahme wegen Widerstands.


Schon vor 6 Uhr verbreitete die Friedel54 Fotos von angeblich im Inneren des Sozialen Zentrums angeketteten und einbetonierten Gliedmaßen. Die Polizei fand dort aber fünf Personen vor, die „nicht angekettet oder einbetoniert und unverletzt“ waren, wie sie „MieterEcho“ mitteilt . Zubetoniert war allerdings die Tür aus dem vorderen Treppenhaus zu den besetzten Räumlichkeiten. Die Polizei mühte sich eine Weile mit schwerem Gerät ab, bevor sie davon abließ und ein Foto der errichteten Barriere  veröffentlichte (es handelt sich dabei aber nicht um den „Haupteingang“). Sie drang dann im Hinterhaus durch eine „Stahltür“ in den Kiezladen ein.
Mit einem anderen Foto hat sich die Polizei allerdings möglicherweise ein Eigentor geschossen. Sie behauptet, bei einer Kellertür – ersten Aussagen zufolge die Tür vom Hof in den Keller – sei der Knauf unter Strom gesetzt worden und das habe Lebensgefahr für die Polizei bedeutet. Doch schon der Grünen-Abgeordnete Georg Kössler, der die ganze Räumung aus der Nähe beobachtete (und dabei ebenfalls von einem Polizisten angegriffen wurde), wies darauf hin, dass die Polizei selbst auf Nachfrage einen Beweis, oder zumindest eine Erläuterung der Behauptung schuldig blieb. Gegenüber „MieterEcho“ gab sich die Polizei am Freitag ebenfalls bedeckt und wollte zunächst nichts näheres dazu sagen, wie stark der Strom auf dem Knauf war und was für eine Vorrichtung da angebracht gewesen sein soll. Seitens des Kiezladens wird bestritten, derartiges installiert zu haben.
Die „Berliner Zeitung“ aber übernahm umgehend die Behauptung von der Lebensgefahr und verteidigte sie sogar gegen Kritik. Der „Tagesspiegel“ tut es ihr gleich. „Berliner Morgenpost“ und „Welt“ stellen die Frage wenigstens differenziert dar.


Das polizeiliche Vorgehen – das von Innensenator Geisel (SPD) übrigens sofort gelobt wurde – wird ein Nachspiel haben. Die überbordende Gewalt ist jedenfalls durch keine Friedel54-Vorgeschichte begründet. Die Demos des Kiezladens verliefen immer konfliktarm. Am Vorabend der Räumung sagte der Anmelder der Kundgebung vor dem Kiezladen gegenüber „MieterEcho“, bei den vielen Kundgebungen während der Kampagne seien die beaufsichtigenden Polizisten meistens nett gewesen.


Nicht genug also damit, dass selbst der neue Senat so eine Räumung nicht verhindert hat, was die grundsätzliche Frage nach der Macht einer Landesregierung gegen den Markt aufwirft – die Polizei hat sich nun für ähnliche Fälle zusätzliche Feinde geschaffen. Und die anderthalb Jahre Friedel54 - Kampagne werden weitere Effekte haben. Das politische Klima in der Stadt hat sich noch ein Stück aufgeheizt.

 

Update: aktualisierte Stellungnahme der Berliner Polizei

 

Ralf Hutter

 

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