MieterEcho online – 05.05.2011
Bericht von der Konferenz „Vorsicht Wohnungsnot!“
Über das Versagen der Politik und den dringenden Bedarf an außerparlamentarischer Bewegung
Wie sich Wohnraummangel anfühlen kann, veranschaulichte die Konferenz „Vorsicht Wohnungsnot!“ am 16. April auch ganz praktisch: Rund 200 interssierte Besucher/innen bevölkerten den eigentlich für deutlich kleinere Versammlung ausgelegten Wilhelm-Leuschner-Saal im DGB-Haus am Wittenbergplatz. Da das Publikum über den Tag auch spürbar wechselte, dürften sicherlich 300 Personen die Konferenz besucht haben.
Beeindruckend war auch die Vielfalt der Anwesenden: Von engagierten Mieter/innen des Sozialen Wohnungsbaus bis zur linksautonomen Szene, von den Gewerkschafts-Senior/innen bis zu enttäuschten Partei-Mitgliedern unterschiedlicher Couleur, von zahlreichen Stadtteil-Initiativen bis zu den Mitgliedern der Berliner Mietergemeinschaft – es waren eigentlich nahezu alle da, die sich in Berlin für eine kritische Betrachtung der Wohnungspolitik interessieren.
Wachsendes Finanzkapital und schlanker Staat
Nach den einleitenden Worten von Werner Moritz (Landesseniorenarbeitskreis des DGB) beschrieb der Wirtschaftswissenschaftler Joachim Bischoff die schnell anwachsenden Finanzvermögen als Grund für wachsende Immobilienpreise und Renditeerwartungen in der Wohnungswirtschaft. Die Politik des „schlanken Staats“ führe gleichzeitig über Steuersenkungen für Unternehmen und Vermögende zu einer immer geringeren Handlungsfähigkeit des Staates - Deutschland habe mittlerweile eine der niedrigsten Steuerquoten auf der Welt. Besonders die öffentliche Infrastruktur sei in Folge dessen vollkommen unterfinanziert. Abhilfe brächten höhere Steuern für Gewinne, Vermögen und hohe Einkommen.
Daniel Mertens vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung stimmte der Analyse Bischoffs zu und verwies auf die immer geringere Beteiligung der Vermögenden und der Unternehmen an den Staatseinnahmen. Die „Austeritätspolitik“ des schlanken Staats habe das Ziel, den Sozialstaat durch Steuersenkungen „auszuhungern“. Politische Programme würden nur noch danach beurteilt, was sie kosten, und nicht mehr nach dem, was sie bringen. Der Anteil wohnungspolitischer Ausgaben am deutschen Staatshaushalt liege unter dem Durchschnitt der OECD-Länder.
Die Dramatik der Wohnungsmärkte und das Unvermögen des Senats
Die Abwicklung der Errungenschaften früherer Wohnungspolitik rief Knut Unger vom Mieterverein Witten auf die Tagesordnung. Innerhalb weniger Jahre seien in der Bundesrepublik 2 Millionen zuvor gemeinnützige Wohnungen privatisiert worden – vielfach in die Hände der Finanzökonomie hinein. Eine Voraussetzung dafür sei die Abschaffung der Gemeinnützigkeit in der Wohnungswirtschaft im Rahmen der neoliberalen Deregulierungspolitik gewesen. Nun müssten viele Mieter/innen erleben, wie Finanzinvestoren die Wohnungsbestände auspressten, um in kurzer Zeit maximale Rendite zu machen. An Wohnungsneubau seien diese neuen Akteure am allerwenigsten interessiert.
Wohnungsneubau brauche Berlin jedoch nötiger denn je, wie Joachim Oellerich von der Berliner MieterGemeinschaft ausführte. Der zurückhaltende private Wohnungsneubau könne nämlich nicht im entferntesten mit der schnell wachsenden Nachfrage nach Wohnraum mithalten. So steuere Berlin durch Nichtstun des Senats unausweichlich auf eine Wohnungsnot zu: Die Wohnungsversorgung sei bereits von 104 auf 96 Wohnungen pro 100 Haushalte gesunken. Daher müsse es dringend eine andere Wohnungspolitik in der Stadt geben, die den Wohnungsneubau fördert, die kommunalen Wohnungsunternehmen auf eine soziale Mietpreispolitik ausrichte und die alle lokalstaatlichen Mittel nutze, um Mietsteigerungen auf dem freien Wohnungsmarkt einzuschränken.
„Das können wir uns nicht mehr leisten“, ist die gängige Ausrede zur Abwehr sozial gerechter Politik. Während Bischoff und Mertens gezeigt hatten, dass es sich dabei um ein hausgemachtes Problem handele, das sich genauso auch wieder ändern ließe, legte Werner Roepke vom Verdi-Fachbereich Gemeinden den Schwerpunkt auf die aktuelle Berliner Haushaltspolitik. Sie leide nach wie vor unter der seit 1990 dramatisch angestiegenen Verschuldung. Ergebnis der folgenden Sparpolitik: Die investiven Ausgaben lägen bei nur noch 7% des Haushalts. Wirkliche Abhilfe könne nicht das weitere Senken der Ausgaben, sondern das Erhöhen der Einnahmen bringen: „Nur Reiche können sich eine arme Stadt leisten“, so Roepke.
Protest sprießt an allen Ecken und Enden
Zur Anregung für die Berliner Debatte waren zwei Aktivisten aus Hamburg eingeladen, Andreas Blechschmidt von der „Roten Flora“ sowie Jonas Füllner vom „Centro Sociale“ und aktiv im Netzwerk „Recht auf Stadt“. In Hamburg liegen die Mieten weit über dem Berliner Niveau, und die etablierten Parteien haben sich im zurückliegenden Hamburger Bürgerschaftswahlkampf bei Ankündigungen, wieviele Sozialwohnungen sie in den nächsten Jahren bauen lassen würden, gegenseitig überboten.
Das autonome Polit- und Kulturprojekt „Rote Flora“ sah sich praktisch seit seiner Gründung in den frühen 80er Jahren im Widerstand gegen eine neoliberale Hamburger Stadtpolitik und brachte sich gegen die Aufwertungsbestrebungen im umliegenden Schanzenviertel ein. Im Netzwerk „Recht auf Stadt“ haben sich seit 2009 über 40 sehr verschiedene stadtpolitische Initiativen zusammengeschlossen, die sich gegenseitig in ihren Protesten unterstützen. Das Netzwerk, das von räumungsbedrohten Kleingärtnern bis zu linken Stadtteilaktivisten und Hausbesetzern reicht, hatte daran mitgewirkt, steigende Mieten und die Wohnungsknappheit in Hamburg zu einem wichtigen öffentlichen Thema zu machen.
Aus Berliner Mieter/innen- und Kiezinitiativen berichteten stellvertretend Samira van Zeer von der „Karla Pappel“-Initiative aus Alt-Treptow sowie Stefan Thiele von der Hausgemeinschaft Willibald-Alexis-Straße 34 im Kreuzberger Chamissokiez. Aktive Mieter/innen aus der „Karla Pappel“-Initiative stellten sich gegen die Aufwertung und die zahlreichen teuren Neubauprojekte in ihrem Kiez, solange es keine soziale Antwort für diejenigen gebe, die durch steigende Mieten aus dem Kiez verdrängt würden. Gleichzeitig engagiere sich „Karla Pappel“ im Berliner Netzwerk stadtpolitischer Initiativen „Stadtvernetzt“. Das Netzwerk diene dem Austausch und der gegenseitigen Unterstützung zwischen zahlreichen Kiezinitiativen, die sich bewusst jenseits der Parteipolitik organisierten. Für den 3. September plane „Stadtvernetzt“ eine große Mieten-Demonstration.
Die Hausgemeinschaft „WAX34“ habe sich, so Stefan Thiele, gegründet, nachdem das Haus privatisiert wurde und ein neuer Investor die Umwandlung in Eigentumswohnungen ankündigte. Diesem Umwandlungsprozess stelle man sich entgegen, möchte das Haus in Selbstverwaltung übernehmen. Man wirke auch in der neu entstandenen Stadtteilinitiative „Wem gehört Kreuzberg?“ mit. Im Chamissokiez sei der kommerzielle Aufwertungsprozess so stark, dass zu einer ersten Veranstaltung der Initiative 180 Betroffene erschienen. Daraus habe sich ein Kern von 50 bis 70 Aktiven gebildet.
Im Anschluss an die Podiumsrunde meldeten sich zahlreiche weitere Initiativen aus dem Publikum heraus zu Wort, um über ihre Arbeit zu berichten. Es wurde klar, dass sich in den letzten Jahren angesichts der sich zuspitzenden stadtpolitischen Probleme ein beachtliches Potenzial politischen Engagements in den Stadtteilen gebildet hat.
Perspektiven einer stadtpolitischen Gegenbewegung
Auf der anderen Seite sind viele Initiativen noch neu, die Ansätze der Vernetzung wachsen erst, und so scheint es auch noch keine Klarheit über weitergehende politische Perspektiven zu geben. Auf dem Abschlusspodium sprachen Blechschmidt und van Zeer für den Aufbau einer sozial breiten Bewegung. Der Hamburger empfahl, sich bei gemeinsamen Aktionen zwischen unterschiedlichen Initiativen näher zu kommen, die Berlinerin trat für die kontinuierliche Stadtteilarbeit ein, um gerade zusammen mit Betroffenen aktiv zu werden, die bislang keine Erfahrungen mit politischem Engagement haben.
Gerlinde Schermer, die sich seit Jahren beim Berliner Wassertisch gegen die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge einsetzt, mochte sich als linke SPD'lerin nicht so weit von der gesellschaftlichen Funktion der Parteien abgrenzen. Sie sieht außerparlamentarische Initiativen vielmehr als ergänzende, Öffentlichkeit schaffende Kraft, wenn die Parteien gewisse Themen vernachlässigen. So könnten diese wieder auf Kurs gebracht werden.
Joachim Oellerich von der Berliner MieterGemeinschaft sieht im Gegensatz dazu derzeit kein Potenzial in den Berliner Parteien. Diese seien kaum noch inhaltlich voneinander zu unterscheiden und wollten vor Allem koalitionsfähig zu sein. So erübrige sich auch, Wahlprüfsteine zu setzen und die Parteiprogramme daran zu messen, da ausnahmslos keine der Parteien zu den derzeit nötigen Veränderungen in der Wohnungs- und Stadtpolitik bereit sei. Hieraus ergebe sich die Notwendigkeit einer neuen außerparlamentarischen Gegenbewegung.
Auffällig war jedoch, dass aus dem Publikum heraus die Debatte praktisch nicht aufgenommen wurde. Dies ist vermutlich der Fall, weil der Gedanke einer strategischen Organisierung jenseits von Parteien für viele noch relativ neu ist und kaum konzeptionelle Ideen dafür bestehen. Auffällig war allerdings die Zustimmung für viele der auf dem Podium geäußerten Vorschläge. Es zeigte sich eine deutliche Stimmung, dass endlich etwas geschehen müsse, dass entschiedener gemeinsamer Protest notwendig ist, und dass den Parteien nicht zu trauen sei. Die Debatte über eine längerfristige Struktur für außerparlametarischen Protest hat jedoch gerade erst begonnen.
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