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MieterEcho online 08.02.21

Erst gestiftet, dann verkauft

Ca. 100 Menschen solidarisierten sich am 6. Februar mit den Mieter/innen der Anzengruberstraße 24 in Neukölln. In dem Haus leben ca. 50 Menschen, die älteste Mieterin ist über 76 Jahre alt und wohnt dort schon über 40 Jahre. Sie kannte noch Margarethe Windschütz, die langjährige Besitzerin des Gebäudes, die 1995 starb. Zuvor hatte sie das geräumige Haus mit mehreren Hinterhöfen testamentarisch an den Evangelischen Johannesstift vererbt. Die christliche Einrichtung mit Sitz in Spandau wurde 1885 mit dem Ziel gegründet, arme Menschen zu unterstützen. Leitbild ist die christliche Soziallehre. Deshalb sind nicht nur die Mieter/innen wütend, dass das Johannesstift das Haus an einen ihnen bis heute unbekannten Investor verkauft hat. Kurz vor der Kundgebung hatte sich Harald Post, der Patensohn von Margarethe Windschütz, mit den Mieter/innen solidarisiert. Der 80jährige Kommunalpolitiker der CDU in einer kleinen Gemeinde in Nordrhein-Westfalen hatte durch Presseberichte vom Verkauf des Hauses durch das Johannesstift erfahren. Darin sieht Post einen moralischen Vertragsbruch, denn der Verkauf widerspreche eklatant dem Willen von Margarethe Windschild. Ihr Ziel sei es gewesen, das Haus für die Bewohner/innen zu erhalten. Nur deshalb habe sie es dem Johannesstift vererbt, erklärte Post. Das Johannesstift ist allerdings keine Ausnahme, beim Versuch, geerbte Häuser profitabel weiterzuverkaufen. Mieter/innen der Wrangelstraße 83 in Berlin-Kreuzberg haben vor einigen Monaten die Initiative „Willi wollt's anders“ gegründet, in Erinnerung an ihren ehemaligen Hausbesitzer Willi Kolberg, der in seinem Testament erklärt hat: „Ich wünsche auf gar keinen Fall, dass meine Häuser verkauft oder anderweitig veräußert werden. Sie sind mein Lebenswerk.“ Nur wenige Jahre nach seinen Tod wurde das Haus an Henrik Ulven, den Geschäftsführer mehrerer Immobilienfirmen, verkauft. 


MieterInnen fordern Vorverkaufsrecht


Die Initiative „Willi wollt's anders“ unterstützt jetzt andere MieterInnen, deren Häuser ebenfalls gegen erklärten testamentarischen Willen verkauft wurden. Daher hat eine Mieterin der Wrangelstraße 83 auf der Kundgebung vor der Anzengruber Straße 24 gesprochen. Die dortigen Mieter/innen haben vom Verkauf des Hauses kurz vor Weihnachten 2020 erfahren. „Ca 50 % der MieterInnen sind RentnerInnen, viele bekommen Grundsicherung. Bisher gibt es in dem Haus für sie bezahlbare Wohnungen und das muss so bleiben“, erklärt Armin Kuhn, der sich seit Jahren für Mieter/innenrechte einsetzt und in der Anzengruberstraße 24 wohnt. Die Wahrnehmung des Vorverkaufsrechts durch den Bezirk Neukölln gehört zur zentralen Forderung der Mieter/innen. Stadtentwicklungssenator Scheel und Finanzsenator Kollatz sollen sich bei den landeseigenen Wohnungsgenossenschaften dafür einsetzen, dass ein entsprechender Käufer gefunden wird. Die Zeit wird knapp. Daher gehen die Mieter/innen trotz Corona-Pandemie und Winterkälte auf die Straße.

Peter Nowak

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