Wohnungsbau statt Wirtschaftskrieg
Die Aufrüstungs- und Sanktionspolitik der Bundesregierung treibt Verarmung und Wohnungsnot weiter voran
Von Sevim Dağdelen
Das Misstrauen gegenüber der planlosen und inkompetenten Politik der Bundesregierung wächst. Das Zutrauen in die Ampel, die Probleme im Land lösen zu können, sinkt. Nur noch jeder Fünfte ist mit der Arbeit von Kanzler Olaf Scholz (SPD) zufrieden, seine Partei ist laut ARD-Deutschlandtrend im Dezember auf 14% abgestürzt.
Das kann nicht verwundern, wird doch der Takt der Hiobsbotschaften – ob bei Wirtschaft oder Wohnungsmarkt, bei Bildung oder am Bau – immer dichter. Die deutsche Wirtschaft rechnet für 2024 mit einer Fortsetzung der „ökonomischen Schockstarre“. Nicht einmal jedes vierte Unternehmen erwartet angesichts hoher Energiepreise einen Aufschwung, so das Ergebnis einer Befragung von mehr als 2.000 Betrieben im Dezember. Die Industrieproduktion ist auf Talfahrt, das Land marschiert in die Rezession.
Besonders hart betroffen war laut Erhebungen des Statistischen Bundesamts im Oktober der Maschinenbau mit einem Minus von 6,3%. In der energieintensiven Chemieindustrie ging die Produktion um 2% zurück, bei Metallerzeugnissen waren es minus 1,2%, bei Glas, Glaswaren und Keramik minus 0,6%. Es liegt auf der Hand, dass die hohen Energiepreise als Folge der Wirtschaftssanktionen der Ampel-Regierung gegen Russland mitverantwortlich für das Desaster und die drohende Deindustrialisierung Deutschlands sind. Das Wirtschaftsministerium von Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) setzt auf Realitätsverweigerung und meint lapidar, für den Rückgang der Produktion in der Industrie im Oktober „dürften Brücken- und Ferientage eine gewisse Rolle gespielt haben“.
Wohnungen und Bildung sind „Nebensache“
Doch das ist nicht alles. Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF moniert, dass in Deutschland im Verhältnis zur Wirtschaftskraft so wenig in Grundschulen investiert wird, wie in fast keinem anderen Land in Europa. Die Folgen der falschen politischen Prioritätensetzung sind an der Pisa-Studie abzulesen. In Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften schneiden die Schülerinnen und Schüler in Deutschland so schlecht ab wie nie zuvor. Rund ein Drittel der deutschen 15-Jährigen hat in mindestens einem der drei getesteten Felder nur sehr geringe Kompetenzen. Etwa jeder Sechste hat in allen drei Bereichen deutliche Defizite.
Längst ist von derartigen Negativergebnissen niemand mehr überrascht, und kaum einer glaubt an einen Neustart in der Bildung. Von einer konzertierten Aktion, qualifizierte Lehrkräfte zu gewinnen, kann keine Rede sein. Ein Masterplan gegen Bildungsarmut, wie ihn die Gewerkschaft Erziehung Wissenschaft (GEW) fordert? Fehlanzeige. Die Kultusminister der Länder wollen erst einmal beraten, die Ampel-Regierung im Bund kürzt beim Bafög für Schüler und Studenten. Die nationale Katastrophe in der Bildung wird ausgesessen und absehbar verschlimmert.
Nicht besser der Bereich Wohnen: 5,5 Millionen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland können wegen der hohen Energiepreise ihre Wohnung oder ihr Haus nicht richtig heizen. Das sind doppelt so viele wie 2021, also vor dem Wirtschaftskrieg der Ampel gegen Russland. Und man muss davon ausgehen, dass es 2024 noch mehr Menschen sein werden, die nicht mehr angemessen heizen oder sich ausreichend Lebensmittel kaufen können. Während die Bundesregierung immer betont, Steuererhöhungen abzulehnen, werden 2023 die normalen Leute tatsächlich mit 23 Milliarden Euro an Mehrabgaben und Steuern belastet. Die neuerliche Erhöhung der Energiekosten kommt mit Ansage. Die „dritte Miete“ wird zunehmend zur Kostenfalle.
Dabei ist mittlerweile bereits jetzt schon von den 21 Millionen Mieterhaushalten über ein Drittel durch ihre Wohnkosten überlastet. 3,1 Millionen Haushalte müssen für Kaltmiete und Heizkosten mehr als 40% ihres verfügbaren Einkommens aufbringen, 4,3 Millionen Haushalten 30 bis 40%.
Die Wohnungskrise spitzt sich weiter zu. Die Mieten steigen immer weiter, Immobilienpreise werden unbezahlbar, der Neubau ist eingebrochen und eine Besserung ist nicht in Sicht. Dabei fehlen inzwischen bundesweit mehr als 700.000 Wohnungen, vor allem Sozialwohnungen und bezahlbare Mietwohnungen. Von den noch verbliebenen 1,1 Millionen Sozialwohnungen fallen jährlich 45.000 aus der Bindung. Der Bestand an Sozialwohnungen nimmt also immer weiter ab, auch weil die Bundesregierung ihre eigenen Neubauzusagen nicht einhält.
Dabei ist die Bundesregierung angetreten, jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen zu bauen, davon 100.000 Sozialwohnungen. Das Ziel wurde 2022 wie 2023 dramatisch verfehlt und für den Rest der Legislaturperiode kurzerhand gleich ganz kassiert. Von den 2022 rund 295.000 neu gebauten Wohnungen sind weniger als ein Drittel klassische Mietwohnungen, weniger als ein Zehntel bezahlbare Sozialwohnungen. 2023 sind die Zahlen noch einmal um ein Drittel nach unten gegangen.
Wenn etwas dank der Ampel-Prioritätensetzung steigt, dann sind es die Mietpreise. Bei inserierten Bestandswohnungen stiegen die Mieten 2022 demnach um bundesweit durchschnittlich 4% auf 9,66 Euro/qm nettokalt. In Großstädten sogar auf 12,23 Euro. In den acht größten Städten Deutschlands – Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt am Main, Düsseldorf, Stuttgart und Leipzig – enthält mittlerweile fast jeder dritte neu abgeschlossene Mietvertrag eine Indexierung, mit der inflationsbedingte Preissteigerungen direkt auf Mieterinnen und Mieter umgelegt werden können.
Die Wohnungskrise ist nicht nur sozialpolitisch ein Skandal, sie muss auch wirtschaftspolitisch alarmieren. Unternehmen können immer öfter Stellen nicht besetzen, weil neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Ort des Betriebes keine bezahlbare Wohnung finden und angesichts dramatisch gestiegener Baulandpreise auch kaum noch ein Eigenheim errichten können. Wer als Krankenschwester oder Polizist beschäftigt ist, braucht in Innenstädten nach Wohnungen schon gar nicht mehr zu suchen, wenn dort die Mieten den Großteil des Monatsverdienstes auffressen.
Notwendig sind massive öffentliche Investitionen in den Neubau bezahlbarer Wohnungen und die energetische Sanierung des Bestands. Der Deutsche Mieterbund mahnt an, den Bestand an Sozialwohnungen bis zum Jahr 2030 von aktuell noch 1,1 Millionen auf mindestens 2 Millionen Wohnungen aufzustocken. Dafür müssten pro Jahr deutlich mehr als 100.000 Sozialwohnungen fertiggestellt werden. Von einem größeren Angebot an Sozialwohnungen würde am Ende auch der Bund profitieren, denn angesichts der steigenden Mietpreise legen auch die Zahlungen der Jobcenter an Bürgergeldempfänger/innen für deren Unterkunft stark zu.
Nur die Kriegswirtschaft boomt
Zur Umsetzung der Ziele in dieser Legislatur bräuchte es laut Mieterbund Finanzmittel in Höhe von 50 Milliarden Euro – das entspricht den deutschen Steueraufwendungen für die Ukraine bzw. der Hälfte des sogenannten „Sondervermögens“ für die Aufrüstung der Bundeswehr, das Kanzler Scholz Ende Februar quasi über Nacht nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine aufgelegt hat.
Aber es fehlt der politische Wille für eine neue Prioritätensetzung im Sinne der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. In praktisch allen Ressorts kürzen die Ampel-Koalitionäre den Etat für 2024, beim Militär gibt es dagegen dramatische Zuwächse. Auf unglaubliche 90 Milliarden Euro belaufen sich die Ausgaben für Rüstung und Waffen in diesem Jahr. Die
Waffengeschenke für die Ukraine wurden auf 8 Milliarden Euro verdoppelt – für die sinnlose Verlängerung eines längst verlorenen Krieges.
Im Dezember betonte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), der Deutschland bis Ende des Jahrzehnts „kriegstüchtig“ machen will, im Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit die ungeheuren Rüstungsfortschritte: „Allein in diesem Jahr haben wir bisher 40 Rüstungsprojekte dem Bundestag zur Genehmigung vorgelegt, die 25 Millionen Euro oder mehr kosten – wenn es gut läuft, kommen bis Jahresende noch 15 dazu. Im nächsten Jahr können wir vielleicht sogar dreistellig werden.“
Zum Vergleich: Die dem Bundesfinanzministerium unterstehende Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) hat 2023 bis September ganze 42 bundeseigene Wohnungen fertiggestellt. Bis Ende des Jahres sollte die Zahl vielleicht sogar dreistellig werden, hieß es damals.
Es liegt auf der Hand. Bei Fortführung der ungeheuren Aufrüstung, den teuren Waffen- und Finanzhilfen an die Ukraine und der selbstschädigenden Wirtschaftssanktionen gegen Russland wird die Wohnungskrise in unserem Land größer, nicht kleiner. Es ist Zeit für einen Kurswechsel, für Wohnungsbau statt Wirtschaftskrieg.
Sevim Dağdelen ist Mitglied des Deutschen Bundestages und gehört dem „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) an.
MieterEcho 438 / Januar 2024