Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 440 / Mai 2024

„Wir bemerken die Verzweiflung vieler Mieter/innen“

 

Interview mit der Mieterinitiative Neu-Tempelhof

Die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft „Stadt und Land“ (SuL) saniert und modernisiert eine ca. 90 Jahre alte Wohnanlage in Neu-Tempelhof. Insgesamt sind 590 Wohnungen davon betroffen. Nach der Ankündigung 2022 gründete sich zeitnah eine Mieterinitiative, die Sorge vor Mietpreissteigerungen und somit vor der Verdrängung der alteingesessenen Bevölkerung hat. Sie sieht in den geplanten energetischen Sanierungen und zusätzlichen Modernisierungen einen nicht nachvollziehbaren und treibenden Faktor für die Erhöhung der Mieten um bis zu 30%.

MieterEcho: Stadt und Land gehören zu den landeseigenen Wohnungsunternehmen, die eigentlich mit einem sozialen Auftrag agieren. Was kritisiert die Mieterinitiative?

Mieterinitiative Neu-Tempelhof: Wir kritisieren das autokratische und intransparente Verhalten der Wohnungsbaugesellschaft „Stadt und Land“ (SuL). In der Siedlung leben viele ältere Menschen, meist mit alten Mietverträgen. Von Beruf waren sie Handwerker, Büroangestellte, Verkäufer etc. Die Rente ist nicht üppig. Einige wohnen seit über 40 Jahren hier und sind gesundheitlich angeschlagen.Wir haben das Gefühl, dass diese alten Mietverträge auf SuL toxisch wirken, und sie uns aufgrund von angestrebter Gewinnmaximierung verdrängen wollen. Uns fehlt die Sicherheit. Wir wissen nicht, wie es weitergeht. Es gab bislang keine Möglichkeiten, Einfluss auf die geplanten Mieterhöhungen zu nehmen, obwohl viele geplante Modernisierungen nicht sinnvoll sind. Die Kommunikation ist mangelhaft. Wir werden auf Paragrafen verwiesen, die das Vorgehen der SuL rechtfertigen sollen. Individuelle Lebensumstände spielen in deren Planung keine Rolle. Mit Empathie und sozialem Auftrag hat das wenig zu tun.

Was sind die konkreten Sorgen und Nöte der Mieterschaft?

Wir bemerken die Verzweiflung vieler Mieter/innen. Vor allem ältere Menschen verschließen sich bei finanziellen Themen. Es ist ihnen unangenehm, über ihre Sorgen zu sprechen. Stellen Sie sich vor, Sie haben in einer Wohnung Kinder großgezogen und nun wird diese um 200 Euro teurer. Viele Mieter/innen wären bereit, ihre große Wohnung mit einer kleineren Wohnung zu tauschen, aber nicht zu den aktuellen Konditionen. Mieter/innen, die jahrelang ihre Miete verlässlich bezahlen konnten, werden plötzlich zu Bittstellern. Die Härtefallregelungen, die Mieter/innen entlasten sollen, können nur dann greifen, wenn man sich finanziell offenbart. Das finden wir entwürdigend.

Etliche Mieter/innen haben mit Genehmigung der SuL ihre Wohnungen modernisiert. Nun soll alles rückgebaut werden. Das Ergebnis der Modernisierung ist oft qualitativ niedrigwertiger und nicht an die entsprechenden Bedarfe angepasst. Es kommt zur Verschlechterung der Mietverhältnisse. Die Bäder werden so verengt, dass Menschen mit Einschränkungen sich darin nicht bewegen können. Während der Modernisierung müssen wir in Umsetzwohnungen leben, in denen es nicht erlaubt ist, Hängeschränke, Vorhänge oder Lampen anzubringen. 

Wir wissen nicht, wie lange wir in der Umsetzwohnung aus Umzugskartons leben müssen. Viele Mieter/innen haben Sorgen, ihre Möbel nach der Einlagerung nicht mehr nutzen zu können. Das wäre eine weitere finanzielle Belastung. Es ist klar, dass Sanierungen und Modernisierungen einiges von den Mieter/innen abverlangen, aber wenn diese nur nachteilig sind, verringert sich die Bereitschaft. Wir sprechen mittlerweile von einer überdimensionierten energetischen Ertüchtigung: Eine neue Fassadendämmung, deren Einsparungspotential nie überprüft wurde, Gasherde, die durch Elektroherde ausgetauscht werden, Verengung der Bäder – das ist alles nicht sinnvoll.

Was war das Besondere an dem Vorgehen der Stadt und Land?

Wir wurden erst im Dezember 2022 mit einem Schreiben informiert. Ende Januar 2023 hatten wir individuelle Modernisierungsankündigungen im Briefkasten, mit Baubeginn bereits vier Monate später. Es blieb ein Monat Zeit, um einen Einspruch zu formulieren. Die erste Informationsveranstaltung von SuL für die Mieter/innen des ersten Bauabschnittes fand erst Ende August 2023 statt, drei Monate nach Baubeginn, und nur auf Drängen der Mieterinitiative. 

Aufgrund der mangelhaften Informationspolitik und zahlreichen offenen Fragen haben wir diese Mieterinitiative sehr zur Überraschung der SuL gegründet. Seit März 2023 treffen wir uns regelmäßig mit einer Kerngruppe und zahlreichen Unterstützern. Auf Druck der Initiative wurde ein Runder Tisch eingerichtet. Wir haben das Gefühl, dass die Mitsprache von Mieter/innen nicht erwünscht ist. Für uns stellt das eine Untergrabung der demokratischen Teilhabe dar. Beim letzten Runden Tisch im Februar 2024 gab es Versprechungen einer Architektin, sich den Wünschen der Mieterschaft zu stellen. Das ist bislang nicht erfolgt. 

Mithilfe vorgefertigter Sprachmuster wird den Mieter/innen erklärt, warum die Modernisierungen durchgeführt werden müssen. Der Fokus liegt nach Angaben der SuL auf zukünftigen Generationen. Das ist ein Affront gegenüber den jetzigen Mieter/innen. Die Bauabnahme wird mit SOPHIA, dem Tochterunternehmen von SuL für Mieterbetreuung, durchgeführt. Das Ergebnis dieser Firmenverflechtung ist, dass viele Mieter/innen auf ihren Mängeln sitzenbleiben. Für uns ist das keine wertschätzende Betreuung, sondern eine organisierte Verantwortungslosigkeit.

Wo wollen Sie als Mieterinitiative ansetzen?

Nachdem die ersten Wohnungen modernisiert und Ergebnisse sichtbar wurden, haben wir einen Brandbrief an den Bezirksbürgermeister geschrieben. Als keine Reaktion kam, haben wir uns an alle demokratischen Parteien der Bezirksversammlung gewendet. Wir haben Politiker zu Wohnungsbesichtigungen eingeladen. Einige, die der Einladung gefolgt sind, haben ebenfalls ein Unverständnis über die Vorgehensweise der SuL geäußert und wurden sprachlos, als sie das Leben in einer Umsetzwohnung sahen. 

Kürzlich konnten wir im Stadtentwicklungsausschuss den Kommunalpolitikern unter Beisein der SuL öffentlich unsere Anliegen vortragen. Die unterschiedlichen Wahrnehmungen und Darstellungen wurden offenkundig. Wir haben das Gefühl, dass auf kommunaler Ebene die Parteien an unserer Seite stehen und ansprechbar sind. Wir konnten auch Abgeordnete des Abgeordnetenhauses dafür gewinnen, schriftliche Anfragen an die Stadt und Land zu stellen. Die Antworten mussten wir zwar richtigstellen, aber es ist wichtig, dass verschiedene Akteure informiert sind. Einige Verhaltensweisen von Politikern können wir jedoch nicht nachvollziehen. Wir warten bis heute auf eine Antwort des Staatssekretärs Stephan Machulik (SPD), der Gespräche mit der Geschäftsführung von SuL führen wollte.

Ist Ihnen die Stadt und Land entgegengekommen?

Nein, in keinem einzigen Fall. Wir fühlen uns nicht ernst genommen. Für uns bleibt es ein Rätsel, warum Rundumverfliesungen nicht mehr „modern“ sind, warum Gasherde ausgetauscht werden, um nun einen monatlichen Zuschlag für einen Elektroherd zu nehmen, warum wir 30% mehr Miete bezahlen sollen, für Dinge, die wir uns nicht wünschen. SuL rügt uns, wenn wir Politiker zu unseren Runden Tischen einladen, während sie täglich politische Gespräche sucht, um ihre Interessen weiterzutragen. Es ist absurd, wenn 11 Euro/qm als leistbarer Standard diskutiert wird. Nur die wenigsten können sich teure Wohnungen leisten. Da haben einige Politiker und der Geschäftsführer der SuL den Bezug zur Realität verloren und damit auch ihre Glaubwürdigkeit.

Welche Forderung haben Sie aktuell an die Stadt und Land?

Wir fordern, dass die Mieten bezahlbar bleiben, ohne dass Härtefallanträge gestellt werden müssen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass auf einige Modernisierungsmaßnahmen verzichtet werden müsste. Die Mieter/innen sollen grundsätzlich bei Modernisierungsmaßnahmen eingebunden werden und in der Frage, was für sie zumut- und leistbar ist. Es dürften keine Veränderungen, die sich nachteilig auf die Mieter/innen auswirken, umgelegt werden. Wir brauchen Planungssicherheit. Gerade ältere Menschen sind auf ihre Wohnung und das soziale Umfeld angewiesen. 

Geringere Mieten in den Umsetzwohnungen wären ein erster Schritt des Entgegenkommens. Es müssen doch nicht alle gesetzlichen Optionen ausgeschöpft werden, wenn Menschen auf der Strecke bleiben. Es soll in diesem Stadtgebiet weiterhin eine gute Mischung geben. Wenn nur Reiche hier leben dürfen, schaffe ich woanders Problemviertel. Ende Mai werden wir eine große Mieterversammlung organisieren, um weitere Erfahrungen zu sammeln. In einem offenen Brief werden wir die Politiker auf die bestehenden Probleme hinweisen und die Presse über den aktuellen Stand informieren.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Christine Scherzinger. 

 

Christine Scherzinger ist Stadtgeographin und Bezirksverordnete in Tempelhof-Schöneberg.


MieterEcho 440 / Mai 2024

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