Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 438 / Januar 2024

Umdenken statt abreißen

Breites Bündnis fordert den Erhalt eines Verwaltungsgebäudes in Schöneberg

Von Florine Schüschke, Lilith Unverzagt und Timo Panzer

Das Hochhaus An der Urania 4-10 in Berlin-Schöneberg ist ein vom Berliner Architekten Werner Düttmann 1964-67 erbautes Verwaltungsgebäude. Direkt an der Kreuzung Kurfürstenstraße/An der Urania gelegen, ist es eine Ikone der West-Berliner Architektur der 60er Jahre, die nun droht, verloren zu gehen. Obwohl es im Eigentum des Landes Berlins ist, soll das Gebäude ab Januar 2024 abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden.

Im Hinblick auf die Klimakrise ist das nicht mehr zeitgemäß – der Abriss eines statisch funktionsfähigen Hochhauses aus Stahlbeton zugunsten der Errichtung eines neuen Hochhauses grenzt an Absurdität und stellt die politischen Entscheidungen in einer Stadt, die bis 2045 klimaneutral sein will, erneut auf den Prüfstand. In Fachkreisen herrscht längst Einverständnis darüber, dass auch Gebäude aus den 60er und 70er Jahren, die besonders häufig von Abrissen bedroht sind, zum baukulturellen Erbe zählen.

Im Oktober 2023 gründete sich die Initiative an.ders Urania und setzt sich für den Erhalt des Hochhauses ein. Sie besteht aus rund 20 Mitgliedern aus den Bereichen Architektur, Stadtplanung, Landschaftsarchitektur, Soziologie und Kunst.

Um den Abriss zu verhindern, startete die Initiative eine Petition, die sich an die Entscheidungsträger/innen wendet und zum Handeln aufruft. Der Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, Christian Gaebler (SPD), Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt und die Geschäftsführerin der Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM), Birgit Möhring, die das Gebäude verwaltet, werden aufgefordert, den sofortigen Stopp des maschinellen Rückbaus zu veranlassen.

Weiterhin fordert die Initiative in der Petition, die Liegenschaft zu einem Fall von übergeordneter städtischer Bedeutung zu machen. Drittens wird die Veranlassung einer Umbauplanung gefordert. In einem ersten Schritt sollte dabei aus dem für das Grundstück geplanten Realisierungswettbewerb für den Neubau ein zweistufiger Wettbewerb zur Umnutzung des Gebäudes gemacht werden. 

Abriss ökologisch nicht vertretbar

Zu den Unterstützer/innen der Initiative gehören u.a. Organisationen wie Architects for Future, die Architektenkammer Berlin, der Landesverband Berlin des Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) und die Deutsche Umwelthilfe. Ihre Unterstützung hat nicht zuletzt ökologische Grundlagen: Einer der zentralen Aspekte der notwendigen Bauwende ist die Ressourcenschonung durch den Erhalt von bestehenden Gebäuden. 

Der Bausektor ist laut Uno-Berichten derzeit verantwortlich für etwa 37% der weltweiten Treibhausgasemissionen. Jede Sekunde werden in Deutschland über 7,3 Tonnen Bauabfälle produziert. Alle fünf Tage werden weltweit so viele Gebäude neu gebaut, wie auf einer Fläche von Paris Platz finden. Aus Gründen der Nachhaltigkeit muss daher dringend begonnen werden, die vorhandene Bausubstanz konsequent zu erhalten, zu ertüchtigen und umzunutzen. Um Berlins Klimaziele einzuhalten, wäre es notwendig, den Bausektor mit einzubeziehen und große Mengen an CO2 in Bestandsgebäuden gespeichert zu lassen, statt es durch Abrisse freizusetzen. Im Gebäude an der Urania 4-10 könnten konkret 13 Tonnen CO2 eingespart werden, wie die Initiative vorrechnet. Abriss und Neubau führten zu einem mindestens doppelt so hohen Global Warming Potential wie ein Umbau des Gebäudes, denn 80-85% des CO2 sind im Rohbau des Bestandsgebäudes gespeichert, und würden bei einem Umbau nicht in die Atmosphäre freigesetzt werden.

Dem Abriss skeptisch gegenüber zeigt sich außerdem das Baukollegium Berlin, das als Gremium, bestehend aus sechs unabhängigen Expert/innen, die Senatsbaudirektorin beratend unterstützt. Dieses Gremium empfahl bereits im Juli 2023 die Ausschreibung einer Machbarkeitsstudie, um die Weiternutzung des Gebäudes an der Urania 4-10 zu prüfen. Eine entsprechende Studie wurde jedoch nie offiziell ausgeschrieben. Die Initiative hat daraufhin eine alternative Machbarkeitsstudie erstellt, die Umnutzungskonzepte aufzeigt und die Positionen der BIM über die Notwendigkeit eines Neubaus entkräftet. 

In der alternativen Machbarkeitsstudie untersucht die Initiative in drei Varianten, wie die Urania 4-10 umgebaut werden kann. Bei einer Umnutzung könnten durch die freie Grundrissgestaltung im Skelettbau sowohl kleinteilige und großflächige Gewerbe-Nutzungen sowie Wohnnutzungen unterschiedlicher Größe realisiert werden. Die in der Studie erarbeiteten Varianten untersuchen ebenfalls, ob und wie der Bestand nachverdichtet werden könnte. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die von der BIM in dem Neubau angestrebte Erhöhung der Geschossfläche um 6.000 qm auch mit einer Nachverdichtung des Bestandes erreicht werden könnte.

Weiterhin wird von der BIM als Eigentümerin als Argument für den Abriss die Schadstoffbelastung mit der Bauchemikalie PCB herangezogen. Auch hier zeigt die Initiative in der Machbarkeitsstudie Möglichkeiten auf, die Restbelastung des Schadstoffs im entkernten Rohbau zu versiegeln. Dietrich Mehrhoff vom Sachverständigenbüro LandPlus und Martin Hofmann, unabhängiger Schadstoffgutachter, bestätigten der Initiative, dass PCB grundsätzlich sanierbar sei und auf Grundlage des bisherigen für das Gebäude vorliegenden Schadstoffgutachtens keine Abrissforderung für das Gebäude abgeleitet werden könne.

Aktuell werden in einer laufenden Schadstoffsanierung alle Hauptquellen und ein Großteil der Nebenquellen des Schadstoffs entfernt, wodurch sich seine Menge im entkernten Rohbau deutlich verringert. Die Initiative fordert nach der Beendigung der Schadstoffsanierung eine erneute, umfängliche Untersuchung des Gebäudes in Bezug auf die verbliebene Schadstoffbelastung und die Beauftragung weiterer Gutachten, die statt eines Abrisses die Möglichkeiten der Sanierung des Gebäudes prüfen.  

Generelles Umdenken erforderlich

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und die BIM halten sich, was einen Erhalt des Gebäudes angeht, jedoch weiterhin bedeckt und schieben sich gegenseitig die Karten zu. Die Federführung liege bei der BIM, heißt es seitens der Senatsbauverwaltung. Die Verantwortlichen bei der Senatsverwaltung lassen damit außen vor, dass sie selbst die Liegenschaft zu einem „Fall übergeordneter städtischer Bedeutung” machen könnten, wie in der Petition der Initiative gefordert wird. In diesem Fall könnte die Senatsverwaltung selbst die Entscheidung zum Umbau treffen und sie läge nicht mehr bei der verwaltenden BIM.

Die BIM hingegen findet immer neue Gründe für die Notwendigkeit eines Abrisses. Während der Sitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen am 4. Dezember gab Senator Gaebler an, dass die BIM derzeit die statische Tragfähigkeit des Gebäudes prüfe. Jedoch ließ er auch hier offen, ob ein entsprechendes Gutachten bereits abgeschlossen sei und zu welchem Ergebnis es kam. Ebenso ließ er die Frage nach dem genauen Zeitplan des geplanten Abrisses unbeantwortet.

Ob das Gebäude zum Datum des Erscheinens dieses Heftes noch steht, bleibt daher ungewiss. Nichtsdestotrotz ist ein Umdenken vonseiten der Stadtverwaltung in Fragen von Abrissen überfällig, vor allem wenn es sich um öffentliche Gebäude handelt. Der Protest gegen die Abrisspläne von Gebäuden wird immer häufiger und lauter. Dass an der Urania 4-10 eine Prüfung des Bestandserhalts bisher nicht veranlasst wurde, „ist unverständlich und auch nicht hinnehmbar – gerade vor dem Hintergrund, dass dem Land Berlin als Eigentümer der Liegenschaft hier eine besondere Vorbildrolle zukommt,” wie das Baukollegium Berlin im November erklärte. Die Initiative an.ders Urania ruft daher weiterhin dazu auf, die Petition zum Erhalt des Gebäudes auf change.org zu unterschreiben.  

 

Florine Schüschke, Lilith Unverzagt und Timo Panzer gehören zur Initiative  „an.ders Urania“, die sich für den Erhalt des Hochhauses An der Urania 4-10 in Berlin-Schöneberg einsetzt. Im Internet: andersurania.org


MieterEcho 438 / Januar 2024

Teaserspalte

Berliner MieterGemeinschaft e.V.
Möckernstraße 92
10963 Berlin

Tel.: 030 - 21 00 25 84
Fax: 030 - 216 85 15

Email: me(at)bmgev.de

Ferienwohnungen

Unsere Umfrage

Falls sich eine oder mehrere Ferienwohnung(en) in Ihrem Haus befinden, berichten Sie uns davon und schildern Sie Ihre Erfahrungen in unserer Online-Umfrage.