Kein Abgesang auf das SEZ
Das Sport- und Erholungszentrum in Friedrichshain war ein Monument der sozialistischen Alltagskultur – der Weg in die „Freiheit“ ist ihm nicht gut bekommen
Von Karin Baumert
Es gibt diese verrückte Geschichte zur Entstehung des Sport- und Erholungszentrums, kurz SEZ. Der Architekt wechselte die Welten. Er kam aus der DDR und machte rüber nach drüben. Übrig blieb die Legende vom schwedischen Team und einem ausgereisten Architekten. Aber in der DDR waren Architektur und Städtebau Kollektivleistungen. Das SEZ, erbaut an der Leninallee, Ecke Dimitroffstraße, war eine Kollektivleistung im schwedischen Gewand.
Das SEZ war ein Geschenk. Was strömten wir da hin. Wenn man in der Umgebung wohnte, gab es kein Wochenende ohne die Frage: „...und ins SEZ?“ Nicht immer gaben wir dem nach. Es gab auch viele andere Möglichkeiten, die Freizeit zu verbringen. Selbst die Karl-Marx-Allee war zu dieser Zeit noch eine beliebte Bummelstraße. Aber die Kinder konnten auch einfach „runter gehen“. Die Haustüren waren noch nicht abgeschlossen, und so ging es denn über Hof und Stein. Gern fuhr man auch mit dem Fahrrad aus der Stadt raus, d.h. mit der S-Bahn nach j.w.d. und dann weiter mit Pedalkraft.
Bei Regen ging man eher in den Zoo oder ins Kino, denn niemand war aus Zucker und keiner war arm. Freizeit mit Kindern, auch mit vielen Kindern, war niemals eine Sache des Geldbeutels. Du konntest getrost Nachbars Kinder mitnehmen und mit einem Zehner kamst du mit allen Gören zum Tierpark und jede bekam noch ein Eis oder eine Bockwurst. Natürlich hatte man auch Stullen und Obst dabei. Das Freizeitbad im SEZ kostete für einen Erwachsenen 50 Ostpfennig und für Kinder 20. Jede/r konnte es sich leisten und man ging auch gern in einer Gruppe.
Das SEZ musste nicht mit Werbung finanziert werden. Dafür gab es eine Vielfalt an Angeboten, die uns erst richtig bewusst wurden, als wir nach der Wende das erste Mal ins „Blub“ nach Westberlin gingen, dem Spaßbad schlechthin – dachten wir. Unser Budget war mit den Eintrittskarten komplett ausgeschöpft. Wir mussten zusammenlegen. Fast wären wir nicht alle reingekommen. Darauf waren wir nicht vorbereitet, dass nur für Freizeit und ein bisschen Schnickschnack soviel Geld berappt werden sollte.
Wenn das Leben zur Ware wird
Und jetzt mal ehrlich, war doch alles eine bunte Kindergeburtstagstorte ohne Eier und Butter. Der SEZ-Stammgast vermisste sehr viel. Und dann die Geschichte mit der Sauna im Blub – alles so ineffektiv geplant und so aufgeblasen. Im SEZ war die Sauna auch immer der Treff, wie in nordischen und osteuropäischen Ländern üblich, an dem man schwieg oder an dem man plapperte. Aber immer war es eine Stimmung der Übereinkunft bis zum nächsten Aufguss, dann zog Bedächtigkeit ein und blieb. Hatte man genug geschwitzt, lief man durch das Schwimmbad ins Außenbecken und genoss die Freiheit.
Ganz anders im Blub. Jemand hatte ein Handtuch scheinbar vergessen und pochte dann auf seinen Platz. Es stellte sich heraus, dass er seinen Platz reserviert hatte. Kannten wir nicht. Oder der Gang zum Außenbecken, vorbei an den Restaurants im Schwimmbereich und den ausgestellten Körpern. Blicke verfolgten einen wie Freiwild. Sexismus, bis dahin ein Fremdwort, bekam seine ersten Konturen.
Denn der Alltag im Osten sah so anders aus. Als wir uns noch nicht entscheiden konnten: Gehen wir heute bowlen, Schlittschuh laufen oder Federball spielen. Oder trödeln wir einfach mal um das SEZ herum und schauen, wie lang die Schlangen sind. Vielleicht gehen wir am Sonnabend auch zum Mitternachtsschwimmen und schauen uns die Boys an und haben irgendwie einfach nur Spaß.
Ach wie schön war das SEZ. Es war so viel mehr als ein Zentrum mit zahlreichen Angeboten, sondern der Ort für Freizeit und Sport, gleichermaßen vielfältig wie alltäglich. Sogar die Kids konnte man kurz mal abgeben, und diese Betreuung war für die Kids keine Strafe, sondern einer der vielen Höhepunkte. Familie, Beruf und Erholung, Lust und Liebe und natürlich Sport und Freizeit waren Tätigkeiten und Formen, die einander bedingten, aber nicht in Konkurrenz zueinander standen.
Darum war die Kinderbetreuung auch sowas von üblich. Weder eine Errungenschaft von Feministinnen, noch ein Abgabeort, der von Wundermuttis belächelt wird. Das durfte einfach alles nebeneinander sein. Von drei Ehen wurden in der DDR zwei wieder geschieden. Aber damit waren viele nicht glücklich, denn alleinerziehend zu sein, das war kein Armutsrisiko. Frauen kannten ihren Orgasmus und mussten darüber gar nicht reden, sondern lebten ihr Glück. Ein Nein konnte gut gehört werden, weil ein Ja immer auch möglich war. Das SEZ war der Inbegriff Ostberliner Lebensweise. Nun scheint es tot! Wie konnte es nur soweit kommen?
Ja, nach strengen Maßstäben bewertet war es unrentabel. Also musste es privatisiert werden. Der SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin, uns noch bekannt für seinen Rassismus, glaubte an die Marktwirtschaft und verscherbelte mein SEZ für einen Euro. Im goldenen Westen gab es Liebe, Luft und Sonne jetzt nicht mehr umsonst und für alle. Hier wurde nun aufgeräumt und neu strukturiert. Alles änderte sich, und das hat natürlich auch seinen Eintrittspreis. Oder auch keinen, denn erst mal stand das SEZ leer und stand leer und stand leer. Bis der Bundesgerichtshof (BGH) jetzt sprach, so geht es nicht, zurück auf Anfang, das Grundstück fällt an das Land Berlin zurück.
Es gab in der DDR diesen Satz von der zweiten Lohntüte. Damit kümmerte sich der Staat um kostenlose Bildung, Gesundheit, Mobilität und Freizeit für alle und zwar fast umsonst. Dann wechselten wir in die Freiheit, und da gab es das alles dann nicht mehr. Geblieben ist die Erzählung von Diktatur und Stasi.
Die Freiheit des Eigentümers ist hier fast grenzenlos. Er hat nichts weiter gemacht, als den Ort wie eine Zitrone mit Zwischennutzungen auszupressen, derweil verfallen lassen und auf was gewartet? Bis der BGH nun endlich als Retter kam. Solange blieb das SEZ in der Schwebe und wurde von Tag zu Tag nicht besser. Die eigentliche Idee wurde portioniert, ausgeweidet und privatisiert. Das Erfolgsrezept der Profite sollte nun auch für die Freizeit gelten. Die westliche Stadtsoziologie hat dafür einen Begriff, den der Kommodifizierung. Soll heißen, dass jedes Bedürfnis in der Stadt kommerzialisiert wird und zu einer Ware verkommt. Auf dem Weg dahin gibt es Verlierer/innen und Gewinner/innen. Wir nennen das gern Spekulation mit Grund und Boden und mit der ganzen Stadt. Am Alexanderplatz kann man dieses Treiben besichtigen.
Der Traum ist noch lange nicht aus
Als das Kapital das SEZ übernahm, gab es keine Sieger mehr. Und mal ehrlich, kann Freizeit wirklich nur die Sache eines Einzelnen sein? Am SEZ kann man beispielgebend sehen, was eine Gesellschaft ausmacht. Dazu haben wir eine historische Erfahrung gemacht: Solidarität ist unsere Sache, Völkerverständigung ist unser Ziel. Darum ist der Kampf um das SEZ auch noch nicht beendet.
Er hat gerade erst angefangen. Denn es geht um mehr als um eine Vergangenheit, um Steine oder um Konflikte. Gern wird dann die Schule und der fehlende Wohnungsbau herausgeholt. In der Sache funktionieren aber alle Elemente der Stadt heute nach dem selben Prinzip: Privatisiert, ausgebeutet und die Gesellschaft gespalten.
Auf change.org kannst du unterschreiben. Bei „Gemeingut in BürgerInnenhand“ gleich noch mit. Das kann natürlich nie schaden. Aber wie viel bewirkt eine Unterschrift angesichts der Übermacht privater Interessen an der Stadt? Die Ausbeutung von Mensch und Natur und Kriege um die Neuordnung der Welt unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten machen uns die Hoffnung schwer, wie wir miteinander umgehen können, damit niemand ausgeschlossen wird. Gern geben wir uns dieser Hoffnung hin, mit einer Unterschrift werden wir dann vielleicht alle gehört.
Lasst uns dabei davon träumen, baden zu gehen, in der Schlange zu stehen und mit Kleingeld den Tag zu verbringen, denn das ist die Zukunft an jedem Ort der Welt. Es lebe das SEZ, egal ob die Zukunft für das SEZ noch zu retten ist. Die Idee wurde schon einmal gelebt und wird überdauern. Zu kämpfen lohnt es sich, denn wir haben gar keine andere Wahl. Im Hintergrund trommeln schon die Hausbesetzer/innen und tanzen, „...du hörst da vorn die Internationale und tanzt deinen Tanz wie eh und je, und pfeifst auf die Völker und ihre Signale, vorn zieht Polizei auf spiegelverkehrt, vielleicht, vielleicht wird es niemals wieder so schön…“ (aus einem Song von Ulla Meinicke).
Karin Baumert ist Stadtsoziologin und politische Aktivistin.
MieterEcho 439 / März 2024