Editorial
Editorial MieterEcho
Liebe Leserinnen und Leser,
der Tagesspiegel macht sich Sorgen um den bezahlbaren Wohnraum in Berlin und meint: „Zehn Euro pro Quadratmeter kann sich jeder leisten.“ Zum Beweis lässt er den Immobilienökonom Wolfgang Maennig in einem Gastbeitrag zu Worte kommen. Der knöpft sich die Mindestlohnbeziehenden vor, die ab 1. Januar 2024 pro Stunde 12,41 Euro verdienen würden, deren Kaufkraft sich also deutlich erhöhe und die als Alleinstehende ohne Kind bei einer Wochenarbeitszeit von 38 Stunden gut 1.500 Euro netto nach Hause tragen.
Nun rechnet der Immobilienökonom: „Wenn die Bruttowarmmiete maximal 35% des Nettogehalts ausmachen soll, resultieren 540 Euro Gesamtmiete.“ Die durchschnittliche Wohnfläche beträgt in Berlin 38 qm, also können die Mindestlohnbeziehenden, so man ihnen überhaupt die durchschnittliche Wohnfläche zubilligen will, locker 14 Euro/qm Warmmiete abdrücken. Nettokalt sind das 8 – 10 Euro, also „deutlich über den ‚legendären‘ 6,50 Euro“, die dem Immobilienökonom ein Dorn im Auge sind und deren Rechtfertigung er mit seiner Milchmädchenrechnung ausreichend widerlegt zu haben glaubt.
Doch damit nicht genug. Er will den Mindestlohnbeziehenden, die nicht Vollzeit arbeiten können – „beispielsweise Alleinerziehende mit kleinen Kindern“ – Gerechtigkeit widerfahren lassen. Die könnten die staatliche Subjektförderung (Wohngeld) in Anspruch nehmen, sollten aber keinesfalls in den Genuss reglementierter Mieten kommen. Reglementierung – davon ist der Ökonom überzeugt – sei ineffektiv, denn davon würden auch Nichtbedürftige profitieren und „sich die Knappheiten verschärfen“.
Sodann mag er sich einen Seitenhieb auf „Schmarotzer“ nicht versagen: „Außerdem mag es Persönlichkeiten geben, die aus grundsätzlichen Erwägungen nicht Vollzeit arbeiten wollen. Dass diese Individuen nur unterdurchschnittlich mit ihrer Arbeitskraft zum Allgemeinwohl beitragen wollen, mag akzeptabel sein. Es bleibt aber die Frage, ob die Gesellschaft die Verpflichtung hat, ihnen (Wohn-)Ressourcen im normalen Umfang bereitzustellen.“ Statt „Gesellschaft“ Volksgemeinschaft zu sagen, ist offenbar (noch) nicht opportun.
Als Zugabe hat er noch ein paar abgedroschene, neoliberale Argumentationsmuster bereit: „Abschließend muss darauf hingewiesen werden, dass eine (zu) gering angesetzte Miete für bezahlbaren Wohnraum gesamtwirtschaftlich schädlich ist, weil sie die Wohnraumnot gar verschärft.“ Welche Logik! Schließlich würden niedrige Mieten verhindern, dass umgezogen wird, und damit die wichtigste Quelle für Wohnungsangebote versiegen.
Der Autor ist nicht nur Professor in Hamburg, sondern auch Kuratoriumsmitglied des Architekten- und Ingenieurvereins zu Berlin-Brandenburg. Kein Wunder also, dass er mit seinen Ausführungen die passenden Argumente gegen die soziale Gestaltung des Molkenmarkts und des Rests der Berliner Altstadt liefert.
Ihr MieterEcho
MieterEcho 438 / Januar 2024