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MieterEcho 438 / Januar 2024

Berlin braucht einen Signa-Untersuchungsausschuss

Die Versäumnisse der Landesregierung beim Umgang mit den Kaufhausplänen der jetzt insolventen Holding müssen lückenlos aufgeklärt werden

Von Katalin Gennburg

Dreieinhalb Jahre nach Unterzeichnung des Deals zwischen dem Land Berlin und der Signa-Holding ist der richtige Moment für einen Rückblick und eine Bestandsaufnahme, nachdem im Dezember 2023 das Kartenhaus des Multimilliardärs René Benko final zusammenbrach. Wir erinnern uns: 2018 betrat Benko mit seiner Signa in Berlin die Bühne und verkündete im Sommer 2020 große Pläne für seine Kaufhaus-Standorte und erpresste das Land mit der Forderung nach massiven Zugeständnissen zum Um- und Neubau der Warenhäuser, nachdem er Galeria-Karstadt-Kaufhof erworben hatte. Mitten in der Pandemie und im Angesicht von Lockdowns und drohenden Masseninsolvenzen im Einzelhandel verlangte der „Selfmade-Milliardär“ umfassende Zusagen für Baurechte an Waren-hausstandorten.    

Diese überzogenen Forderungen, z. B. für mehrere Hochhaustürme am Kurfürstendamm und überdimensionierte Wiederaufbauphantasien am Hermannplatz, erkaufte sich der damals bereits wegen Korruption in Österreich vorbestrafte Immobilienmogul gegen dreijährige Arbeitsplatzgarantien für die Warenhausbeschäftigten, mit Zustimmung der Gewerkschaft ver.di. Ein zunächst geheimer Letter of Intent regelte die Verabredungen und ein zähes Ringen von einzelnen Akteur/innen gegen diese begann. 

Was heute in allen Zeitungen zu lesen ist, wurde damals noch als Vermutung ausgesprochen: Ein Immobilienspekulant ist auf seiner Shoppingtour lediglich an den hochwertigen Innenstadtgrundstücken interessiert und will diese Premiumlagen, meist mit ÖPNV-Anbindung, als profitable Hochhausstandorte verwerten. Der Jahreswechsel 2023/2024 brachte dann ein Feuerwerk an News: Für alle großen Signa-Sparten wurden Insolvenzverfahren eröffnet. Die Versteigerung des Inventars der Wiener Zentrale läuft bereits, die Privatvilla von Benko soll gepfändet werden, und in Österreich wird ein Untersuchungsausschuss zu Signa gefordert. Alle Baustellen der Signa stehen still, hochrangige Manager wurden wegen Missmanagement gefeuert. 

Andere handeln – Berlin nicht

Bereits im Herbst hatte sich der Wind in der Debatte gedreht, und so forderte der Deutsche Städtetag, dass die betroffenen Kommunen bei der Insolvenz Mitsprache und Zugriff auf die Gebäude bekommen. Der Oberbürgermeister von München, Dieter Reiter (SPD), verfügte einen Baustopp für alle Baustellen der Signa und das Einfrieren aller angeschlossenen Verfahren mit der klaren Botschaft, dass der Leerstand und mögliche Verwahrlosung ein „Worst Case Szenario“ sind, das im Sinne der Stadt abgewendet werden müsse.

Ganz anders hingegen die Wirtschaftssenatorin und Noch-Vorsitzende der Berliner SPD, Franziska Giffey, die im Dezember lediglich mitteilte, „die Lage ist ernst“ und welche konkreten Auswirkungen die neuen Insolvenzen und angestrebten Sanierungsverfahren hätten, könne noch nicht abschließend beantwortet werden.

Warum eigentlich werden deutschlandweit Vorkaufsrechtssatzungen erlassen, um Warenhausgrundstücke als Kern stadtbildprägender Geschäftsstraßen zu

sichern und die Nahversorgung der Menschen zu planen, nur nicht in der Hauptstadt? Eine Senatsverwaltung für Wirtschaft müsste doch der Ort sein, wo Investoren und deren Aktivitäten in der Stadt nebst ihren Auswirkungen unter die Lupe genommen werden. Dann hätte man feststellten können, dass die Signa Holding GmbH – eine intransparente Briefkastenkonstruktion, die in hunderte Unterfirmen verschachtelt ist und teilweise in Steuerparadiesen ihren Sitz hat – immer einem Ziel diente: Geld für die Benko-Familienstiftung abzuwerfen und die Grundstückspreise in den Städten so hochzutreiben, dass alle anderen Spekulant/innen auch was davon haben.

Ja, es wäre Aufgabe des Senats, die Stadt und den kleinen Einzelhandel vor einem Aderlass zu schützen, denn die hochgetriebenen Bodenpreise durch Überbewertung der Warenhäuser und Grundstücke am Immobilienmarkt gehen zulasten der kleinen Betriebe, die sich die explodierenden Gewerbemieten längst nicht mehr leisten können. Befördert werden Bodenspekulanten, die darauf warten, dass Boden mehr Wert ist und sie damit zocken können. Deshalb ist die Immobilienwirtschaft auch ein Einfallstor für Kriminelle. So wurde jüngst bekannt, dass der Ex-Signa-Manager Timo Herzberg auch gehen musste. Der ist mit 60% an einer deutschen Gesellschaft namens Havit beteiligt, einem Anbieter von Spa- und Fitnessstudio-Dienstleistungen, und hat vermutlich nicht zufällig Flächen in Signa-Gebäuden zu marktunüblichen, sehr günstigen Konditionen gemietet. 

Als Herzberg vor zwei Jahren Franziska Giffey zur Bürgermeisterwahl gratulierte, hätte diese aber längst wissen müssen, wie die Profite der Signa zustande kommen und welcher Schaden dadurch im Land entsteht. Die Finanznachrichtenagentur Bloomberg hatte bereits im Frühjahr 2021 harte Kritik am Geschäftsmodell des Immo-Imperiums von Benko geübt und auf der Grundlage von hunderten Firmenunterlagen die Überbewertungen der Immobilien nachgewiesen. Spätestens als im September 2022 die Anleihekurse fielen und die Ratingagentur Creditreform die Signa herabstufte, hätte das in der Wirtschaftsverwaltung auffallen müssen. 

Im Sinne der Sicherung der Nahversorgung und der vielen tariflich gesicherten Arbeitsplätze in den Warenhäusern hätte ebenfalls spätestens 2023 im gesamten Roten Rathaus bekannt sein müssen, dass Benko den Warenhauskonzern ausschlachtet, indem die Retailsparte (Warenhäuser) als Goldschatulle der Real Estate Sparte (Immobilienentwicklungen) immer wieder hunderte Millionen Wirtschaftshilfen aus Steuergeldern bekam und diese dann direkt an die Aktionäre ausschüttete, statt die Warenhäuser zu sanieren oder den Beschäftigten Boni auszuzahlen. 

Dass die Warenhäuser viel zu hohe Mieten an die Signa zahlen müssen und auch deshalb überhaupt nicht gut wirtschaften können, ist seit 2020 bekannt. Während der Warenhauskonzern früher noch mit 130 Millionen Euro Eigenkapital abgesichert war, gönnt Benko den Warenhäusern in ganz Deutschland eine Absicherung von gerade mal einer Million Euro – das entspricht in etwa dem Wert einer gut laufenden Würstchenbude. 

Aufwertungsphantasien

Verständlicherweise sind die Beschäftigten voller Sorge, Berliner Gewerkschafter/innen pochen noch immmer auf die Verabredungen aus dem Letter of Intent, während beispielsweise in Kaiserslautern Gewerkschafter/innen und Beschäftigte mutig über genossenschaftliche Modelle zur Sicherung des Weiterbetriebs mit der Stadtverwaltung diskutierten oder in Niedersachsen sogar die Besetzung der Warenhäuser in Betracht ziehen. In Cottbus, Rostock und Hanau kaufen die Gemeinden die Warenhäuser in den Innenstädten zurück, um „Stillstand“ und „Verwahrlosung“ zu verhindern, und in Hamburg drohte die SPD-Bausenatorin vor Bekanntwerden der Insolvenz sogar mit Abriss des unfertigen Elbtowers, wenn Benko ihn nicht weiterbaut. 

Aktuell läuft die Zerschlagung des Konzerns und unklar ist, was davon übrig bleibt, wenn die nächsten Verwerter in Form internationaler Hedgefonds kommen. Die Luxussparte ist für eine gut austarierte Querfinanzierung innerhalb des Konzerns bereits verloren, denn Luxushäuser wie das KaDeWe gehören bereits zu 50,1% der thailändischen Central Group und eine Übernahme der restlichen Anteile ist zu erwarten. Das hochwertige Grundstück am Tauentzien war bis Frühjahr 2023 zu 100% in den Händen der Signa und ging dann zu 49,9% an die Central Group. Dass hier ein Preis aufgerufen wurde, der von Expert/innen als sehr gering eingeschätzt wird, kann als Beleg für die generelle Überbewertung der Immobilien herangezogen werden. 

Benko dürfte das egal sein und seinen Immo-Freunden, die von Bodenpreisexplosionen und Überbewertungen massiv profitiert haben, ebenfalls. Doch was sagt eigentlich die Wirtschaftsverwaltung dazu und was bedeutet das für den vielbeschworenen „Standort Berlin“? Oder waren Benkos Pläne in Wahrheit genau das, was die SPD in Berlin als Stadtplanungsparadigma seit Jahrzehnten predigt: Die gezielte Aufwertung der Stadt zur Ansiedlung von Besserverdienenden mittels Inwertsetzung und Verdrängung – besonders in Stadtteilen, die als „migrantisch“ gelesen werden, wie etwa am Hermannplatz in Neukölln oder am Leopoldplatz im Wedding.

Jetzt ist klar: Berlin muss Vertrauen wieder herstellen – auch in den Wirtschaftsstandort – und viele offene Fragen beantworten, und deshalb braucht es einen Untersuchungsausschuss!  

 

Katalin Gennburg ist stadtpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus. 2016 errang sie erstmals ein Direktmandat im Wahlkreis Treptow-Köpenick 1, das sie 2021 und 2023 verteidigte.


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