Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 431 / April 2023

Wohnen in angespannter Versorgungslage

Wohnungsmangel, Mietpreissprünge, wachsende Einkommensunterschiede und strukturelle Verzerrungen verhindern eine bessere Wohnraumversorgung

Von Andrej Holm

Steigende Mietpreise, rückläufige Belegungsbindungen und stagnierende Neubauzahlen von geförderten Wohnungen stehen für die aktuelle Wohnungskrise in Berlin. In Fachdiskussionen wird gerne von einem „angespannten Wohnungsmarkt“ gesprochen. Nach dem Baugesetzbuch liegt ein „angespannter Wohnungsmarkt“ vor, „wenn die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen (…) zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist“ . Doch was bedeutet das konkret für die Mieter/innen der Stadt?

Steigende Mietkosten treffen die Haushalte in Mietwohnungen unterschiedlich, da die Einkommen in unserer Gesellschaft sehr ungleich verteilt sind. Vor allem für Haushalte mit geringen Einkommen bedeuten steigende Mieten, dass von den ohnehin beschränkten finanziellen Möglichkeiten ein noch größerer Teil für die Miete ausgegeben werden muss. In sozialpolitischen Debatten hat sich deshalb in den vergangenen Jahren durchgesetzt, nicht nur die Miethöhe, sondern auch die Mietbelastungsquote als Maßstab zur Beurteilung der Wohnversorgungslage heranzuziehen. Als Mietbelastungsquote gilt dabei der Anteil des monatlichen Einkommens, der für die Miete aufgebracht werden muss. Werden die Bruttowarmmieten zu Grunde gelegt, gilt eine Mietkostenbelastung von bis zu 30% Prozent als leistbar.

In Berlin zahlten im Jahr 2018 – also noch vor Corona und den Energiepreissteigerungen der letzten Monate – fast die Hälfte der Haushalte in Mietwohnungen Mieten, die die Leistbarkeitsgrenze überschritten. Knapp 24% aller Haushalte, die zur Miete wohnen, zahlten mehr als 40% und fast 10% sogar mehr als die Hälfte ihres Einkommens für die Miete. Mit den steigenden Gas-, Energie- und Heizkosten dürften diese Anteile in den letzten Jahren sogar noch gestiegen sein. Die hohen Mietkostenbelastungen lassen sich auf drei Ursachen zurückführen: geringe Einkommen, überdurchschnittlich hohe Mieten und ein hoher Wohnflächenverbrauch.

Einkommen stark segmentiert

Die Mieten weisen in Berlin ein relativ weites Spektrum von sehr günstigen bis zu sehr teuren Wohnungen auf. Doch 70% aller Bruttowarmmieten im Bestand liegen zwischen 7 Euro/qm und 11 Euro/qm. Der Mittelwert aller Mietpreise in Berlin liegt bei 9,38 Euro/qm. Diese Konzentration der Mietpreise ist nicht verwunderlich, denn die meisten Vermieter/innen orientieren sich an den jeweiligen Marktmieten für ihre Wohnungen. Für 23% der Mietwohnungen in Berlin wurden Mietpreise über 11 Euro/qm festgestellt. Diese über 350.000 Hochpreiswohnungen sind zum Teil Wohnungen in besonders attraktiven Lagen, modernisierte Wohnungen und Wohnungen, die in den letzten Jahren zu hohen Neuvermietungsmieten vermietet wurden. Nur ein sehr kleiner Anteil von etwa 7% der Wohnungen hat Mietpreise, die unter 7 Euro/qm (bruttowarm) lagen. Zum Zeitpunkt der statistischen Erfassung im Jahr 2018 umfasste dieses Niedrigpreissegment über 100.000 Wohnungen. Dazu zählen die wenigen Substandardwohnungen, Bestandsmieten mit sehr alten Mietverträgen und Wohnungen von Vermieter/innen, die seit Jahren keine Mieten erhöht haben.

Im Gegensatz zu den Mietpreisen weisen die Einkommen eine klar segmentierte Struktur auf. Nur knapp über 30% der Berliner Haushalte haben ein Einkommen, das maximal 20% über oder unter dem Medianeinkommen liegt. Dem gegenüber stehen jeweils über 35% Haushalte, die deutlich unterdurchschnittliche oder deutlich überdurchschnittliche Einkommen erzielen. In der Konsequenz zahlen also die Haushalte mit unter 1.000 Euro Einkommen im Monat vergleichbare Mieten wie die Haushalte mit fast 4.500 Euro Monatseinkommen. Ein Vergleich der mittleren Mietpreise je Einkommensklasse zeigt, dass es nur wenige Preisunterschiede gibt. Mietpreise nehmen keine Rücksicht auf die Einkommen.

Entsprechend deutlich unterschieden sich die Mietbelastungsquoten zwischen den Einkommensklassen. Während die Haushalte unterhalb der Armutsschwelle (< 60% des Medianeinkommens) im Schnitt mehr als die Hälfte für ihre Miete ausgeben, sind es bei den Haushalten mit höheren Einkommen (> 140% des Medianeinkommens) gerade einmal 20%, obwohl sie sich im Durchschnitt deutlich größere Wohnungen leisten. Haushalte, die sowieso schon wenig haben, müssen davon einen größeren Anteil für die Miete aufbringen. Das Marktsystem der Wohnversorgung macht also nicht nur arm, sondern vergrößert auch noch die sozialen Ungleichheiten in der Stadt.

Neben steigenden Mieten und ungleich verteilten Einkommen nimmt auch die Wohnungsgröße Einfluss auf die Mietbelastung. Je größer die bewohnte Fläche, desto höher meist auch die zu zahlende Miete. Bei selbem Quadratmeterpreis entscheidet die Wohnungsgröße über die letztendlich zu zahlenden Mietkosten. Die Daten zeigen einen einkommensabhängigen Wohnflächenverbrauch: Haushalte mit Einkommen unterhalb der statistischen Armutsgrenze (< 60% des Medianeinkommens) kommen im Schnitt mit 37 qm Wohnfläche pro Person aus, der mittlere Wohnflächenverbrauch bei Haushalten mit höheren Einkommen (> 140% des Medianeinkommens) liegt bei 50 qm pro Person.

Kleine Wohnflächen wären demnach eine mögliche Strategie, die hohen Mietkosten zu reduzieren. Doch der optimalen Nutzung der vorhandenen Wohnflächen stehen ein Missverhältnis von Wohnungsgrößen und Haushaltsstrukturen entgegen. Die meisten der Wohnungen in Berlin wurden im 20. Jahrhundert errichtet und zielten auf die Versorgung von Normfamilien mit Vater-Mutter-Kind(ern). Über die Hälfte aller Wohnungen in Berlin hat eine Wohnfläche zwischen 60 und 100 qm und Grundrisse, die auf ein Familienleben ausgerichtet sind.

Durch die demografischen Veränderungen in den letzten Dekaden passt diese Struktur der Wohnungen heutzutage nicht mehr zur Gesellschaft. Fast die Hälfte aller Haushalte lebt allein und sucht entsprechend eher kleinere Wohnungen. Ein Vergleich der Haushalts- und Wohnungsgrößen zeigt, dass 48% Einpersonenhaushalten nur 12% an kleinen Wohnungen mit einer Fläche von weniger als 45 qm gegenüberstehen. Selbst bei einer optimalen Verteilung des aktuellen Bestandes müssten Alleinlebende auf Wohnungen mit bis zu 68 qm ausweichen, weil es nicht genügend kleine Wohnungen gibt.

Kaum passgenaue Angebote

Eine gerechtere Verteilung der Bestandswohnungen scheitert aber nicht nur an der Struktur der Wohnungsgrößen und Haushalte, sondern auch an den erschwerten Bedingungen für Umzüge. Im Jahr 2021 lagen die Neuvermietungsmieten im Durchschnitt über 50% über den Bestandsmieten. Entsprechend gering waren die Anreize, in kleinere Wohnungen umzuziehen, weil trotz verringerter Wohnflächen oftmals mit höheren Mietkosten zu rechnen war. Insbesondere bei älteren Haushalten, die auch noch nach Auszug der Kinder in großen Familienwohnungen leben, ist die Kluft zu den Neuvermietungsmieten oft noch größer, weil sie alte Mietverträge haben und sogar unterdurchschnittliche Mietpreise zahlen.

Neben den hohen Neuvermietungsmieten erschweren auch die Vergabepraktiken der Vermieter/innen einen Umzug in eine kleinere Wohnung. Um Auflagen der Mietpreisbremse zu umgehen und den Aufwand bei der Bearbeitung von vielen Bewerber/innen zu reduzieren, verzichten viele Vermieter/innen mittlerweile auf eine öffentliche Bewerbung ihrer Wohnungsangebote auf den Internetplattformen. Noch vor knapp 10 Jahren wurden fast 130.000 Mietwohnungsangebote auf ImmoScout gezählt – im Jahr 2021 waren es nur noch knapp über 41.000. Gemessen an den tatsächlich in Berlin realisierten Umzügen in neue Wohnungen (Summe von Binnenumzügen und Zuzügen) ist der Anteil der Mietwohnungsangebote bei Immobilien Scout von 48% (2013) auf 17% im Jahr 2021 gesunken. Für Wohnungssuchende ist es damit – auch unabhängig von den Mietpreisen – schwerer geworden, eine passende Wohnung für einen Umzug zu finden.

In der Wohnforschung wird von „Lock-in-Effekten“ gesprochen, wenn Umzüge in andere Wohnungen erschwert werden und sich Mieter/innen mit Wohnverhältnissen arrangieren müssen, die eigentlich nicht mehr zu ihren Bedürfnissen oder Lebensphasen passen. Gefangen in zu kleinen, zu teuren oder auch zu großen Wohnungen sind die Wege zur besseren Verteilung des vorhandenen Wohnraums beschränkt.

Das ist dramatisch, denn ein Großteil der bestehenden Versorgungsprobleme könnte durch eine gerechtere Verteilung gelöst werden. Das Gedankenexperiment einer optimalen Verteilung aller Haushalte in Berlin auf die bestehenden Wohnungen und Mietkonditionen zeigt, dass die Anzahl der Haushalte in zu kleinen und zu teuren Wohnungen um zwei Drittel reduziert werden könnte, wenn der vorhandene Wohnraum besser verteilt wäre. Im Jahr 2018 lebten fast 700.000 Haushalte in zu kleinen Wohnungen oder zahlten mehr als 30% ihres Einkommens für die Miete – nach einer virtuellen Neuverteilung aller Wohnungen lag diese Zahl nur noch bei 220.000 Haushalten. Statt für eine gerechtere Verteilung stehen die aktuellen Konditionen des angespannten Wohnungsmarktes für eine Verfestigung und Ausweitung der bestehenden Problemlagen.

In einer Situation, in der vor allem Haushalte mit geringen Einkommen kaum Chancen haben, überhaupt eine neue Wohnung zu finden, beschränkt sich die Umzugsmobilität vor allem auf Wohnungssuchende mit höheren Einkommen. Das führt vor allem in Wohngegenden, die keinen guten Ruf haben und schlechter als andere mit Infrastrukturen ausgestattet sind, regelmäßig dazu, dass vor allem arme Haushalte zurückbleiben und so die sozialräumlichen Polarisierungen in der Stadt verschärft werden.

In Berlin wird seit Ende der 1990er Jahre intensiv über negative Segregationseffekte diskutiert und die Stadtregierungen haben regelmäßig Programme finanziert, die negative Nachbarschaftseffekte verringern oder zumindest abfedern sollen. Teil dieser Strategie zum Erhalt der „Sozialen Stadt“ ist ein regelmäßiges Monitoring zur sozialräumlichen Struktur der Stadt. In regelmäßigen Untersuchungen wird dabei erfasst, wie sich der Anteil von Haushalten im Transferbezug, der Anteil von Menschen in Arbeitslosigkeit und der Anteil von Kinderarmut in den einzelnen Nachbarschaften entwickelt. Erfasst werden diese Daten sehr kleinräumig für 536 Planungsräume.

Mehr „Problemkieze“ im Westen

Im Bericht des „Monitoring Soziale Stadtentwicklung“ aus dem Jahr 2021 wurden insgesamt 49 Gebiete identifiziert, in denen ein „sehr niedriger Sozialstatus“ festgestellt wurde. Konkret bedeutet die Einordnung, dass der Anteil von Menschen in Arbeitslosigkeit, im Transferbezug oder in Kinderarmut dort deutlich höher ist als in anderen Stadtteilen. Der Bericht stellt dabei fest, dass soziale Benachteiligungen erstmals seit 2009 wieder zugenommen haben. Auch wenn der Bericht eine „relative hohe (…) Konstanz der räumlichen Verteilung sozialer Benachteiligungen“ feststellt, hat sich die Zahl der Bevölkerung in Gebieten mit einem „sehr niedrigen“ Sozialstatus erhöht. Im Vergleich zu den Daten von 2015 ist die Zahl der Einwohner in diesen Gebieten von 360.000 (2015) auf über 400.000 (2021) um 10% gestiegen.

Auffällig ist dabei, dass sich die sozialen Problemlagen vor allem in den Westberliner Bezirken konzentrieren, während in Ostberlin positive Entwicklungen zu verzeichnen sind. Zählten 2015 noch 7 Gebiete mit insgesamt 55.000 Einwohner/innen in Ostberlin zu den problematischen Gebieten, reduzierte sich diese Zahl im Jahr 2021 auf 3 Gebiete mit nur noch 16.000 Einwohner/innen. In Westberlin hingegen stieg die Zahl dieser Gebiete im selben Zeitraum von 30 auf 45 und die Zahl der Einwohner/innen dieser Gebiete von 300.000 auf über 385.000 um etwa 25%.

Neben einigen innerstädtischen Gebieten in Kreuzberg, Neukölln, Wedding und Moabit sind es vor allem die Siedlungen des ehemaligen sozialen Wohnungsbaus, in denen sich heute die Probleme ballen. Zu den Gebieten mit „sehr niedrigem Sozialstatus“ zählen unter anderem: die Zillesiedlung in Moabit, das Brunnenviertel im Wedding, das Gebiet um den Mehringplatz in Kreuzberg, die Gropiusstadt, die Weiße Siedlung und das Rollbergviertel in Neukölln, Teile des Falkenhagener Felds in Spandau, das Märkische Viertel in Reinickendorf sowie die Paul-Hertz-Siedlung in Charlottenburg-Nord und das Kosmos Viertel in Köpenick.

Einst für breite Schichten der Bevölkerung errichtet, sind die Großsiedlungen mit den kleingeschnittenen Wohnungen inzwischen zu Restorten der Versorgung von Haushalten mit wenig Geld geworden. So lange die Beschränkungen eines „angespannten Wohnungsmarktes“ nicht aufgehoben werden, wird sich daran auch nichts ändern, denn eine sozial gemischte Stadt setzt die gerechte Verteilung von Wohnungen in der ganzen Stadt voraus.

 

Zum Weiterlesen:
Monitoring Soziale Stadtentwicklung 2021
Die Wohnsituation in deutschen Großstädten – 77 Stadtprofile


MieterEcho 431 / April 2023

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