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MieterEcho 429 / Januar 2023

„Wir müssen den Fokus auf den Neubau richten“

Berlin und die Bezirke brauchen mehr Instrumente zur Schaffung und Sicherung bezahlbaren Wohnraums

Interview mit Jochen Biedermann

MieterEcho: In Berlin versuchen Hauseigentümer derzeit, als Konsequenz aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Vorkaufsrecht vom November 2021 auch die Abwendungsvereinbarungen, in denen sich Hauseigentümer zur Vermeidung des Vorkaufs durch die Bezirke zum Schutz der Mieter/innen vor Vertreibung verpflichtet hatten, nachträglich rückgängig zu machen. Inwieweit ist Ihr Bezirk davon betroffen?
Jochen Biedermann:
Davon sind natürlich alle Bezirke betroffen, die in der Vergangenheit das Vorkaufsrecht angewendet haben. Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass die Vereinbarungen weiterhin Gültigkeit haben. Es gibt bislang ein Urteil des Verwaltungsgerichts im Eilverfahren, das aber nicht rechtskräftig ist und gegen das der Senat Beschwerde eingelegt hat. Darüber wird dann das Oberverwaltungsgericht entscheiden.

In den vergangenen Jahren wurden der Berliner Politik fast alle Instrumente zum Schutz der Mieter/innen vor explodierenden Mieten und Vertreibung durch höchstrichterliche Urteile aus der Hand geschlagen. Das betrifft vor allem den Mietendeckel und das Vorkaufsrecht. Welche Möglichkeiten haben denn das Land und der Bezirk angesichts dieser Entwicklung überhaupt noch?
Wir haben ja noch Instrumente, vor allem im Neubaubereich. Mit dem Berliner Modell der kooperativen Baulandentwicklung und dem Neuköllner Modell für kiezverträglichen Neubau können wir einen Anteil von belegungs- und preisgebundenen Wohnungen festschreiben. Und wir haben auch noch den baulichen Milieuschutz, um Luxussanierungen zu untersagen. Aber es ist richtig: Wir brauchen dringend mehr und bessere Instrumente, und da ist vor allem die Bundesebene gefragt.

Sehen Sie denn eine realistische Chance, dass diese Bundesregierung in dieser Konstellation da überhaupt noch in absehbarer Zeit aktiv werden wird?
Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung wurde ja vereinbart, dass es eine Neuregelung zum Vorkaufsrecht geben soll. Aber mir dauert das alles viel zu lange. Alle Betroffenen müssen jetzt weiter Druck auf die Bundesregierung machen. Und das betrifft nicht nur das Vorkaufsrecht. Wir brauchen als Stadtstaaten und Städte auch darüber hinaus grundlegend andere Instrumente.

Ist der Milieuschutz durch diese Urteile überhaupt noch ein wirksames Instrument gegen Verdrängung?
Bei größeren Modernisierungsvorhaben ist der Milieuschutz durchaus wirksam, aber das reicht bei weitem nicht aus, das stimmt.

Neukölln ist ein Bezirk mit krassen sozialen Gegensätzen. Stark aufgewertete Wohngebiete und solche mit sehr schlechten Sozialindikatoren liegen teilweise nur ein paar Häuserblocks voneinander entfernt. Wie kann die Bezirkspolitik dieser Entwicklung überhaupt entgegenwirken?
Wir haben die Gegensätze ja auch in Kiezen, die jetzt hip und angesagt sind und wo entsprechend hohe Mieten aufgerufen werden. Da wohnen eben auch noch zahlreiche Menschen mit wenig Einkommen und teilweise noch recht günstigen Mieten, die wir schützen müssen. Und wir haben es besonders in den Großsiedlungen mit den fatalen Folgen der Privatisierung zu tun. In einzelnen Fällen, etwa bei der High-Deck-Siedlung an der Sonnenallee, konnten wir das ja rückgängig machen, aber da gibt es nach wie vor unheimlich viel zu tun.

Berlin hat 2015 mit dem Zweckentfremdungsverbotsgesetz ein weiteres Instrument zum Schutz bezahlbaren Wohnraums geschaffen und seitdem mehrfach novelliert. Doch in den meisten Bezirken hapert es gewaltig bei der Umsetzung, besonders den Leerstand und Nutzung von Miet- als Ferienwohnungen betreffend. Ist dieses Gesetz in der Praxis gescheitert?
Als gescheitert würde ich es nicht bezeichnen, aber die Durchsetzung ist tatsächlich mühsam und braucht – wie viele Bereiche – eine bessere Personalausstattung. Ich kann und will mich zum aktuellen Stand im Bezirk aber auch nicht äußern, da es nicht in meine Zuständigkeit als Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung fällt.

Die seit rund einem Jahr amtierende Koalitionsregierung – allen voran die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) – hat vor allem auf ein Bündnis mit der privaten Wohnungswirtschaft für bezahlbares Bauen und Wohnen gesetzt. Doch dieses angestrebte Bündnis kann man wohl als gescheitert bezeichnen. Wie sollte da jetzt umgesteuert werden?
Ich glaube, man muss versuchen, mit allen Akteuren auf dem Wohnungsmarkt, die verstanden haben, dass es so nicht weitergehen kann, zu vernünftigen Regelungen zu kommen. Das muss über das hinausgehen, was im Wohnungsbündnis vereinbart worden ist.

…aber selbst das haben viele Akteure ja nicht unterschrieben...
Ja, das stimmt. Ich glaube, wir brauchen tatsächlich noch mal eine Neubewertung aller Instrumente, die wir auf Landesebene haben, um wirklich Einfluss zu nehmen und klare Regeln festzusetzen. Freiwillige Verpflichtungen von Teilen der privaten Wohnungswirtschaft bringen uns allein nicht wirklich weiter.

Aber welche Instrumente sollen das denn sein? Mietendeckel geht ja auf Landesebene nicht.
Das geht derzeit nicht, richtig. Aber wir müssen den Fokus auf den Neubau richten. Es wird immer noch zu viel vom Falschen gebaut. Wenn ich erlebe, dass Projektentwickler Mikroappartments mit 16 qm für 650 Euro Monatsmiete in Serie bauen wollen, dann hat das nichts mehr mit der Lösung der Wohnungsprobleme in dieser Stadt zu tun. Da muss sich das Land noch viel stärker positionieren.

Generell wurden die gesteckten Ziele des Senats für den Wohnungsneubau deutlich verfehlt, vor allem im Segment des geförderten, bezahlbaren Wohnraums. Sie haben vorhin das „Neuköllner Modell“ erwähnt. Was ist darunter zu verstehen und welche Rolle spielt das bei der Schaffung bezahlbarer Wohnungen?
Die in ganz Berlin geltende kooperative Baulandentwicklung, mit der ein Anteil von 30% geförderten Wohnungen festgeschrieben werden kann, gilt ja nur für größere Projekte, bei denen wir erst Baurecht schaffen müssen. Das ist inzwischen Standard, und die Eigentümer wissen auch, dass ohne diese Verpflichtung kein Baurecht mehr geschaffen wird. Mit dem „Neuköllner Modell“ übertragen wir das auch auf kleinere Projekte, bei denen schon Planungsrecht besteht. Da geht es um Nachverdichtungen, Randbebauungen und Baulücken. Das war anfangs auch recht kontrovers, hat sich aber inzwischen etabliert.

Um was für eine Größenordnung geht es da?
Natürlich sind das nicht die großen Zahlen, bei den einzelnen Projekten geht es dann um 15 oder 20 bezahlbare Wohnungen. Aber das läppert sich dann auch. Ich würde mir vor allem von der Bundesebene wünschen, dass es mehr solcher Instrumente gibt. Das Baulandmobilisierungsgesetz sieht ja die Möglichkeit sektoraler Bebauungspläne vor, in denen auch Anteile preis- und belegungsgebundener Wohnungen festgelegt werden können. Aber das Gesetz ist leider so gestrickt, dass es in der Praxis faktisch nicht umsetzbar ist. Wir können derzeit nur mit Einzelvereinbarungen operieren und das ist sehr aufwendig.

Wäre es angesichts der dramatischen Entwicklungen auf dem Berliner Wohnungsmarkt nicht umso dringlicher, das erfolgreiche Volksbegehren zur Vergesellschaftung großer privater Immobilienunternehmen so schnell wie möglich umzusetzen, statt es in irgendeiner Kommission klammheimlich zu entsorgen?
Der Auftrag des Volksentscheids ist ja eindeutig. Aber das ist natürlich keine einfache Rechtsmaterie. Ich hoffe und erwarte, dass die Kommission wirklich ernsthaft daran arbeitet, Möglichkeiten der Umsetzung zu erarbeiten. Es kann aber niemand ein Interesse daran haben, dass das Land da mit etwas vorprescht, was juristisch dann keinen Bestand hat. Also mit Nachdruck an der Umsetzung arbeiten, aber Sorgfalt geht da trotzdem vor Schnelligkeit.

Am 12. Februar werden die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen wiederholt, weil das Landesverfassungsgericht die Wahlen vom 27. September 2021 vollumfänglich als irregulär bewertet hat. Mit welchen wohnungspolitischen Positionen wird Ihre Partei im Bezirk Neukölln in den Wahlkampf ziehen?
Wir kämpfen natürlich weiter für bezahlbares Wohnen, mit allen Instrumenten, die wir auf Bezirksebene zur Verfügung haben. Also mit Milieuschutz, mit Zweckentfremdungsverbot und dem „Neuköllner Modell“. Und wir werden auch weiter Druck auf Landesebene machen, besonders auf die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Denn auch da ginge meiner Einschätzung nach noch einiges mehr in dieser Richtung. 

Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Rainer Balcerowiak.

 

Der Diplom-Politologe Jochen Biedermann (Grüne) ist seit 2009 in der Neuköllner Bezirkspolitik aktiv. Seit 2016 ist er als Stadtrat unter anderem für Stadtentwicklung verantwortlich. Seit November 2021 amtiert er auch als stellvertretender Bezirksbürgermeister.


MieterEcho 429 / Januar 2023