„Wir Mieter/innen haben selber Eigenbedarf!“
Interview mit Aktiven der Gruppe „Eigenbedarf kennt keine Kündigung (E3K)“
MieterEcho: Sie waren bereits vor 2 Jahren beim MieterEcho zu Gast. Können Sie noch einmal kurz vorstellen und erläutern, was sich seitdem geändert hat?
E3K: Wir haben uns Ende 2018 zusammengefunden, da wir als Betroffene und solidarische Mieter/innen feststellen mussten, dass in der Berliner Mieterbewegung kaum Kenntnisse und Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Eigenbedarfskündigungen vorhanden war. Wir haben uns damals gezielt als Arbeitsgruppe gegründet, um das fehlende Wissen zu generieren und an die stadtweiten Initiativen weiterzugeben. Heute ist das Thema Eigenbedarfskündigung in jeder größeren Stadt akut. Immer mehr Mieter/innen kämpfen gegen ihre Kündigungen. Und immer mehr Prozesse werden bei guter Vorbereitung gewonnen. Wenn wir einen Teil zu dieser Veränderung beigetragen haben, freut uns das.
Was soll man tun, wenn man eine Eigenbedarfskündigung erhält?
Erstens sollte man Ruhe bewahren. Eine Eigenbedarfskündigung ist noch keine Räumungsklage. Zweitens sollte man das Kündigungsschreiben selbst und mittels einer Mieterberatung auf Formfehler überprüfen.
Des Weiteren sollte nach Unterstützung gesucht werden, denn die Angst um die Wohnung ist existentiell. Wir nennen das aus eigener Erfahrung, aber auch aufgrund der Berichte vieler Betroffener, Körperverletzung! Denn Folgen dieser Angst können Schlaflosigkeit, Unkonzentriertheit, Gereiztheit oder gar Depression bis hin zu Kreislauf- und Herzproblemen sein. Das ist alleine kaum auszuhalten. Deshalb sind solidarische Netzwerke für die betroffenen Mieter/innen sehr wichtig: Freund/innen, Familie, Nachbar/innen und lokale Mieterinitiativen können im Kampf gegen den Vermieter – der lange dauern kann – helfen und unterstützen.
Was weist auf eine vorgetäuschte Eigenbedarfskündigung hin?
Ob vorgetäuschte Eigenbedarfskündigung oder nicht, spielt für die anstehenden Aktivitäten der Mieter/innen keine Rolle. In jedem Fall sollte mit einer Recherche zum Vermieter, sowie zu der Person, die die Wohnung für sich beansprucht, begonnen werden. Hat der Kündigende weiteres Wohnungseigentum, vielleicht sogar freie Wohnungen? Wohnt die als eigenbedürftig benannte Person in Berlin oder hat sie Pläne, die Stadt zu verlassen? Diese und weitere Informationen sollten gesammelt werden, um sie später in den Prozess einzubringen.
Wir als Arbeitsgruppe E3K interessieren uns nicht für die Motive der Gegenseite. Wir stehen bedingungslos an der Seite betroffener Mieter/innen. Wir haben selbst Eigenbedarf an der Wohnung, in der wir leben. Wenn nicht, wären wir schon längst ausgezogen. Daher sagen wir aus Mietersicht: Eigenbedarf kennt keine Kündigung!
Wie kann man sich gegen Eigenbedarfskündigungen wehren?
Wie zuvor bereits erwähnt, ist es wichtig, sich zu informieren und zu recherchieren; und das am besten nicht alleine. Wir empfehlen, unbedingt Kontakt zu lokalen Initiativen aufzunehmen und den Kampf für die eigene Wohnung gemeinsam zu führen. Spätestens mit dem Erhalt eines Räumungsklageschreibens sollte juristischer Beistand in Anspruch genommen werden, der im Laufe des Verfahrens eng begleitet werden sollte. So müssen Fristen unbedingt eingehalten werden.
Wir haben dazu einen Flyer aus Betroffenensicht erstellt. Dort sind weitere Informationen und Hilfestellungen dargestellt. Dass der Eigenbedarf der Person, die in die Wohnung will, höher zu bewerten ist als unser eigener Bedarf, ist grundsätzlich infrage zu stellen.
Welche Erfahrungen haben Sie in juristischen Auseinandersetzungen vor Gericht gemacht?
An der Rechtslage hat sich für uns Mieter/innen in den vergangenen Jahren rein gar nichts verbessert. Viele Politiker/innen haben nach dem Tod von Jürgen Rostock 2018 im Rahmen seiner Eigenbedarfskündigung geäußert, dass etwas geändert werden muss. Taten sind keine gefolgt. Allerdings nehmen wir eine veränderte Haltung von Richter/innen, sowie der Öffentlichkeit wahr.
Prozesse wegen Eigenbedarfskündigung werden oft von vielen solidarischen Mieter/innen begleitet. Auch die Presse zeigt mehr Interesse. Durch ein Bundesgerichtshof-Urteil vor einigen Jahren sind die Richter/innen gezwungen, sich den Eigenbedarf genauer anzuschauen. Und natürlich kennen auch die Richter/innen die katastrophale Wohnungslage in den Städten, teils aus eigener Erfahrung, genau. Unser Eindruck ist, dass der Spielraum für Entscheidungen zu Gunsten der Mieter/innen häufiger genutzt wird.
Wie soll man sich auf den Gerichtsprozess vorbereiten und was gilt es dabei zu beachten?
Wichtig für einen erfolgreichen Prozess ist die bereits erwähnte Recherchearbeit und eine gute Zusammenarbeit mit den Rechtsvertreter/innen. Der entscheidende Prozesstag ist der mit der Zeugenbefragung. Durch gute Fragen müssen die Widersprüche und Zweifel am vermieterseitigen Eigenbedarf herausgestellt werden. Wir haben den Prozess der Eigenbedarfskündigung in einem kurzen Übersichtsflyer in 5 Phasen aufgeteilt. Wir empfehlen ferner unbedingt, nicht alleine zum Prozess zu gehen.
Sie rufen zu „solidarischer Prozessbegleitung“ auf, was ist damit gemeint?
Wir rufen in Absprache mit den betroffenen Mieter/innen zur „solidarischen Prozessbegleitung“ auf. Wir selbst und viele Betroffene haben die Erfahrung gemacht, dass nicht alleine im Gerichtssaal zu sitzen, sondern eine solidarische Mietergemeinschaft im Rücken zu haben, uns selbst stärkt und die Gegenseite verunsichert. Wir und andere solidarische Mieterinitiativen in der Stadt rufen via Social-Media zu solchen solidarischen Handlungen auf. Wir treffen uns vor dem Gericht oder dem Gerichtssaal und begleiten die Mieter/innen während den Verhandlungen.
Eine weitere Möglichkeit Mieter/innen zu unterstützen, sehen Sie bei Wohnungsbesichtigungen potentieller Käufer/innen. Können Sie das näher erläutern?
Die Kaufpreise, Zinsen und Mietregelungen sind derzeit so, dass ein Kauf einer vermieteten Wohnung als Kapitalanlage im Vergleich zu anderen Anlagemöglichkeiten unwahrscheinlicher geworden ist. Unsere Erfahrung ist: Wer heute eine Wohnung besichtigt, um sie zu kaufen, macht dies in der Regel mit der festen Absicht, die jetzigen Mieter/innen rauszuwerfen, um selbst einzuziehen. Das wissen auch die Mieter/innen, die eine Besichtigung ihrer eigenen vier Wände von Käufer/innen, die sie auf die Straße setzen wollen, ertragen müssen. Alleine ist diese demütigende Situation kaum auszuhalten. Deshalb empfehlen wir, sich während der Besichtigung Unterstützung in die Wohnung zu holen. Es tut gut, Menschen, denen man vertraut um sich zu wissen, während man gezwungen ist, Menschen zu ertragen, die einem ein existentielles Bedürfnis – die Wohnung – wegnehmen wollen. Wie eine solche Unterstützung in der Wohnung aussehen kann, entscheiden alleine die Mieter/innen.
Vor der Haustür können sich Nachbar/innen, Freund/innen und solidarische Menschen, die von der Besichtigung erfahren haben, treffen. Sie können die Gelegenheit nutzen, sich untereinander auszutauschen, aber auch ihre Meinung gegenüber potentiellen Verdrängern klar äußern. Auch dazu haben wir uns aus Betroffenensicht in einem Flyer geäußert.
Welche juristischen Fallstricke können dabei auftreten? Was sollen Mieter/innen dabei beachten?
Es empfiehlt sich trotz größter Wut zurückhaltend mit Äußerungen gegenüber den Besichtigenden zu sein. Das gilt für betroffene Mieter/innen, aber auch für die Unterstützer/innen in der Wohnung. Das sollte zuvor gemeinsam besprochen werden. Dabei ist es wichtig zu wissen, ob es im Vorfeld schon Auseinandersetzungen mit dem Vermieter, z.B. eine Abmahnung oder Kündigung wegen zerstörtem Vertrauensverhältnis gab. Das Verhalten vor dem Haus sollte keine juristischen Auswirkungen haben, da das unabhängig von den Mieter/innen von der Nachbarschaft organisiert wird.
Sie sind Mitveranstalter einer Veranstaltung unter dem Titel „Gemeinsam gegen Eigenbedarfskündigungen“ im November diesen Jahres. Wer ist noch dabei und was bezwecken Sie damit?
Gemeinsam mit vielen lokalen und stadtweiten Initiativen werden wir am 18. November eine Veranstaltung zum Thema Eigenbedarfskündigung organisieren. Es soll ein Ort des Austausches und der Informationen für betroffene Mieter/innen und solidarische Unterstützer/innen sein. Mieter/innen können sich dort informieren und stadtpolitischen Initiativen anschließen. Und natürlich muss das Thema Eigenbedarfskündigung und der Kampf dagegen noch viel weiter in die Öffentlichkeit gebracht werden.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Andreas Hüttner.
Weitere Informationen:
Webpage: https://tinyurl.com/E3K-start | E-mail: e3k@riseup.net | Twitter/X: @E3K19
MieterEcho 436 / Oktober 2023