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MieterEcho 432 / Mai 2023

„Wer hier kauft, kauft Ärger“

Widerstand gegen überteuerte Eigentumswohnungen der Ziegert Gruppe im Reiche-Kiez


Von Tom Küstner

Berlin-Kreuzberg ist schon lange mit den Auswirkungen der Gentrifizierung und unbezahlbaren Mieten konfrontiert. Dort wird nun der Neubau „Hype & Hide“ in der Reichenberger Straße 142 angepriesen. Die hohen Preise für Eigentum im Reiche-Kiez sind kein Geheimnis, aber „Hype & Hide“ setzt neue Maßstäbe mit Kaufpreisen von bis zu 13.492 Euro/qm. Diese astronomischen Preise sind für armutsbetroffene Menschen und viele Bewohner/innen natürlich absolut unerschwinglich. Es zeigt, dass das Projekt nicht für diejenigen gedacht ist, die hier schon lange leben.    


Das Vorderhaus umschließt mit den Häusern Reichenberger Straße 140/141 und Lausitzer Straße 11-15 einen großen, gemeinsamen Hinterhof, ursprünglich eine klassische Mischnutzung mit Wohnungen vorne und Gewerbe in den Hinterhöfen. Nach dem Krieg wurden die Gebäude von der ehemals gemeinnützigen Aktiengesellschaft Gagfah errichtet, die ihre Bestände 2004 an den US-Investor Fortress verkaufte. Sie werden heute von der Blaczko Hausverwaltung bewirtschaftet. Der Hof blieb frei und bot den Wohnungen viel Sonnenlicht.

2015 wurde die Reichenberger 142 verkauft. Die Gewerbebetriebe wurden nach und nach durch überhöhte Mietforderungen vertrieben. 2016 musste auch das Kollektiv „werkstatt für metallbearbeitung drittwerk“ nach langen Scherereien mit dem Eigentümer raus. Sie wären gern geblieben. Es gab Pläne, dass sie das Gebäude selbst übernehmen. Schließlich wurde abgerissen. Solche Verdrängungs-Episoden hinterlassen Narben, die im Kiez nicht vergessen werden.

Im Hof kündigt die Ziegert Gruppe nun den Neubau mit 10 Luxuswohnungen an. Mit Hype & Hide präsentieren sie online eine Bildmontage in „Sand-Beige“ und sparen nicht mit stylischen Vokabeln: „Refugium mit moderner Ästhetik“ für „Urbanes Wohnen“, „Idyllische Naherholung“ und „authentischer Charme“. All das soll „selbstbewusste Individualität“ ausstrahlen, wirkt jedoch vor allem abschreckend. Die Wohnungen sollen 66 – 200 qm groß sein und für knapp 700.000 – 2,5 Millionen Euro verkauft werden.

Tradition des Widerstands 


Derartige Nobelprojekte sind im Reiche-Kiez nichts Neues. Bekannt wurde das Quartier unter anderem für die dort 2010 errichteten „Carlofts“-Wohnungen mit eigenem Parkplatz auf der Etage, bei dem Fahrzeuge mithilfe eines Lastenaufzugs auf die Ebene der Wohnungen gehoben werden. Eine massive Provokation, in dem alten SO36-Kiez Luxusbuden für PS-Junkies zu bauen. Größer hätte der Kontrast wohl kaum sein können. Protest konnte den Neubau nicht verhindern. Und in den vergangenen Jahren wurde immer mehr Anwohner/innen verdrängt, Spekulanten profitierten von steigenden Preisen.

Gleichzeitig gab es aber auch stets Widerstand. Die Initiative GloReiche verteidigte 2017 erfolgreich die Bäckerei „Filou“. Die Kollektivkneipe „Meuterei“ wurde 2021 zwar geräumt, aber nie vergessen. In der Lausitzer 10/11 stritt das Projekt „Lause bleibt“ viele Jahre widerständig für den Erhalt ihrer Räume, bis sie endlich einen Genossenschaftsvertrag bekamen. Seit Jahren oszilliert so der Widerstand im Reiche-Kiez zwischen Rückschlägen und erfolgreichem Protest.

Mit „Hype & Hide“ präsentiert Ziegert nun ein besonders abschreckendes Projekt. Der Immobilienspekulant Nikolaus Ziegert ist einer der schillerndsten Profiteure der Preisspirale auf dem Berliner Immobilienmarkt der letzten 30 Jahre. Auch wenn er sich nun aus dem operativen Geschäft zurückzieht, wird man ihn als einen derjenigen in Erinnerung behalten, die schuld daran sind, dass an vielen Orten das urbane Gewebe aus quirligen Kiezen, nicht-kommerziellen Freiräumen und rebellischer Subkultur, das Berlin nach 1990 für viele so einzigartig gemacht hat, angegriffen und zerstört wurde. 
Dass er auch hier so einfach damit durchkommt, ist alles andere als sicher. Nachbar/innen haben sich in der Initiative „No Hype, No Hide“ zusammengeschlossen und wollen unter der Losung „Wer hier kauft, kauft Ärger“ Widerstand organisieren. Und das ist im Reiche-Kiez keine bloße Ankündigung. Das ist ein Versprechen.

 

Tom Küstner studierte Philosophie, Soziologie und Neuere Geschichte in Berlin. Er ist seit vielen Jahren in wohnungs- und mietenpolitischen Initiativen in Berlin aktiv.


MieterEcho 432 / Mai 2023