Wenn die Decke arg kurz bleibt
Neuregelungen für Wohnkostenübernahme beim Bürgergeld bringen kaum Entlastung
Von Giulia Borri und Markus Wahle
Im Januar sind die ersten Änderungen zum Neuen Bürgergeld in Kraft getreten. Sie betreffen unter anderem das Vermögen, für das die Freibeträge erhöht und eine Karenzzeit eingeführt wurden. Sowie für die Kosten der Unterkunft, bei denen ebenfalls künftig eine Übergangsfrist gilt. Doch wie wirken diese Änderungen?
Spätestens seit Beginn der Pandemie beobachten wir, dass zunehmend Menschen in Armut leben, die bisher eher dem gesellschaftlichen Mittelstand zugeordnet wurden. Die steigende Inflation beschleunigt diese Entwicklung. Diese gesellschaftliche Veränderung spiegelt sich nun auch in den gesetzlichen Änderungen wieder. Durch das Bürgergeld wurde die Privilegierung von selbst genutztem Wohneigentum bei der Vermögensanrechnung deutlich ausgeweitet.
Das ist gut am Beispiel einer alleinstehenden Person mit einer selbst bewohnten Eigentumswohnung erkennbar: Nach bisheriger Rechtslage galt eine Eigentumswohnung von bis zu 80 qm nicht als anrechenbares Vermögen, nach aktueller Rechtslage wird hingegen eine Eigentumswohnung von bis zu 130 qm geschont. Die gleichzeitige Erhöhung der Einkommens-Freibeträge (bis zu 47 Euro pro Monat) gleicht hingegen die seit der letzten Änderung (2017) entstandenen Kaufkraftverluste kaum aus.
Die bezüglich der Mietkosten eingeführte Karenzzeit sieht vor, dass die Miete (ohne Heizkosten) während des ersten Jahres in tatsächlicher Höhe übernommen wird. Erst danach findet eine Überprüfung der Kosten – mit der Folge einer möglichen „Deckelung“ – statt. Von dieser Regelung bleiben allerdings jene Haushalte ausgeschlossen, deren Mietkostenübernahme bereits vor der Pandemie abgesenkt, neu festgesetzt oder gedeckelt wurde. Diese Haushalte mussten bereits während der Pandemie einen Teil ihrer Miete aus eigenen Kräften stemmen und werden es weiter tun müssen.
Kaum Chancen auf dem Wohnungsmarkt
Für viele Haushalte bedeutet die Deckelung der Mietkostenübernahme häufig den ersten Schritt in prekäre Wohnverhältnisse: Wenn ein Teil der Miete aus dem Regelsatz gezahlt werden muss, wird es oft unmöglich, auch noch die nächste Betriebskostennachforderung aus dem verbleibenden Budget zu decken.
Dies führt häufig zu Wohnungs- oder gar Obdachlosigkeit. Oft über Zwischenetappen wie Kurzzeitzmiete, Couch-Hopping, Gartenlaube, ASOG-Unterkunft bis hin dann zu Straße, Zelt oder Parkbank.
Um Obdachlosigkeit entgegenzuwirken, hat das Land Berlin eine Ausweitung der sogenannten Experimentierklausel beschlossen: Wenn nach einer intensiven Wohnungssuche in sechs Monaten keine Wohnung angemietet werden kann, die bis zu 20% über dem Angemessenheitsrichtwert liegt, können unter weiteren Voraussetzungen auch höhere Mieten anerkannt werden, insbesondere bei Familien mit Kindern. Dies mag diesen Familien helfen, nicht aber den zahlenmäßig am stärksten von Obdachlosigkeit betroffenen Gruppen, also Paaren ohne Kindern und vor allem Singles.
Die Bestimmung der sozialrechtlich angemessenen Kosten der Unterkunft folgt in Berlin seit Jahren dem Mietspiegel. Der Mietspiegel wird alle zwei Jahre aktualisiert. Die Daten des gegenwärtig geltenden Mietspiegels wurden zum 1. September 2020 erhoben und sind inzwischen über zweieinhalb Jahre alt. Die sozialrechtliche Angemessenheit der Wohnung richtet sich also nach Werten, die nicht nur unangemessen, sondern auch aufgrund der sprunghaften Preisentwicklung bei Neuvermietungen obsolet sind. Infolge dieser völlig unzureichenden Berechnungsweise der „Angemessenheit“ von Kaltmieten ist es für Leistungsbeziehende kaum möglich, eine tatsächlich anmiet- und finanzierbare Wohnung in Berlin zu finden.
Für wohnungslose Personen wird dieses Problem durch die bei Neuanmietung geforderte Mietschuldenfreiheitsbescheinigung noch verschärft. Um diesen Personen auf dem Wohnungsmarkt überhaupt eine Chance zu eröffnen, bedarf es dann wesentlich teurerer Maßnahmen, wie der Anmietung von Trägerwohnungen oder die Aufnahme in das Programm „Housing first“, in dem es aber kaum Plätze gibt.
Giulia Borri und Markus Wahle sind bei der mobilen Beratung des Berliner Arbeitslosenzentrums e.V. tätig.
MieterEcho 431 / April 2023