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MieterEcho 429 / Januar 2023

Wahlwiederholung kostet ihren Tribut

Bürgerdienste werden bis Februar teilweise erheblich eingeschränkt

Von Heiko Lindmüller

Spätestens seitdem der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin am 28. September seine „vorläufige Rechtseinschätzung“ zu den Wahlanfechtungsklagen veröffentlicht hatte, war allen Beteiligten klar, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit im Februar 2023 zu einer kompletten Wiederholung der Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen kommen wird. Am 16. November wurde dies durch die Urteilsverkündung endgültige Gewissheit.    


Für das Land und die Bezirke ist dies eine große Herausforderung. Eine auch nur teilweise Wiederholung der desaströsen Pannen bei der Wahl im September soll mit allen Mitteln verhindert werden und der Zeitdruck ist enorm. Schnell wurde klar, dass die Bezirkswahlämter dies mit ihrer personellen Ausstattung kaum stemmen können. Dabei geht es um Akquise und Schulung von rund 43.000 Wahlhelfer/innen, die Aktualisierung der Wählerverzeichnisse, organisatorische Vorbereitungen in über 2.200 Wahllokalen, Versand der Wahlbenachrichtigungen und der Stimmzettel für Briefwähler/innen und vieles andere mehr. 

Um das alles gewährleisten zu können, werden den Bürgern erhebliche Einschränkungen zugemutet. In fast allen Bezirken wurde Personal aus verschiedenen Abteilungen für die Wahlvorbereitung abgezogen und das hat teilweise drastische Konsequenzen. So wurden einige Bürgerämter bereits im Oktober und November teilweise komplett geschlossen, voraussichtlich bis zum 14. Februar.Das betrifft unter anderem die Bürgerämter „Helle Mitte“ (Marzahn-Hellersdorf), Kladow (Spandau), Wilmersdorfer Arcaden (Charlottenburg-Wilmersdorf), Reinickendorf-Ost, Neu-Hohenschönhausen (Lichtenberg) und Donaustraße (Neukölln). In diesen Einrichtungen vergebene Termine sollen jetzt auf andere Einrichtungen umgebucht werden, aber nicht zu den vereinbarten Zeitpunkten.

Nicht nur Bürgerämter betroffen

Weitere Bezirke haben angekündigt, dass man komplette Schließungen nach Möglichkeit vermeiden wolle, aber Öffnungszeiten und Serviceangebote teilweise deutlich reduzieren müsse. Zwar können Berliner/innen theoretisch wohnortunabhängig alle Bürgerämter der Stadt nutzen, aber die Terminvergabe im Internet verläuft erfahrungsgemäß recht chaotisch und nervenaufreibend, und nicht selten wäre die Wahrnehmung ergatterter Termine mit sehr langen Anfahrtszeiten verbunden. Das war auch schon vor der Wahlvorbereitung so und wird sich jetzt nochmal verschärfen.

Doch die Personalengpässe der Bezirkswahlämter müssen auch in anderen Bereichen irgendwie kompensiert werden. So werden in einigen Bezirken auch Bibliotheken geschlossen. Und es ist zudem damit zu rechnen, dass sich die Bearbeitungszeiten für gestellte Anträge drastisch verlängern werden. Besonders betroffen könnten Menschen sein, die jetzt Wohngeldanträge stellen, denn die Zahl der Bezugsberechtigten ist durch eine zum 1. Januar wirksam werdende Gesetzesänderung auf Bundesebene beträchtlich erweitert worden. In einigen Bezirken, allen voran Neukölln, müssen Bürger/innen schon jetzt mehr als vier Monate auf ihren Bescheid warten. Und für die jetzt anstehenden Neuberechnungen des Wohngeldes muss zunächst die Software komplett umgestellt werden, was in Berlin erfahrungsgemäß selten reibungslos vonstatten geht.

Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) kündigte bereits an, dass die Wohngeldreform nicht zum 1. Januar umsetzbar sein werde. Auch in diesem Fall ist die durch die Wahlwiederholung verschärfte Personallage ein zusätzlicher Stolperstein.

Wahrscheinlich mag Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey im jetzt angelaufenen Wahlkampf nur ungern an eines ihrer zentralen Wahlkampfversprechen vom Herbst 2021 erinnert werden. Denn da stand ein „Sofortprogramm“ für eine bürgernahe und effiziente Verwaltung mit schnellen Terminvergaben und Bearbeitungen nebst umfassender Digitalisierung sehr weit oben auf der Agenda. Wirklich geändert hat sich seitdem wenig bis nichts. Die besonderen Anforderungen durch die Wahlwiederholung – für die der Vorgängersenat und vor allem der damalige Innensenator Andreas Geisel die Verantwortung tragen – taugen da kaum als Ausrede. Doch für den Senat und die Bezirksämter geht es jetzt nur noch nach der Devise „Augen zu und durch“. Denn eine erneute Pannenwahl kann man sich nun wirklich nicht leisten – koste es, was es wolle.


MieterEcho 429 / Januar 2023