Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 432 / Mai 2023

Über kurz oder lang muss jeder zum Amt

Berlin braucht dringend eine Verwaltungsreform mit Transparenz und Kompetenz

Von Hendrikje Klein

Das ging ja schon mal nach hinten los. Die Berliner CDU hatte nach der gewonnenen Wiederholungswahl allen Ernstes die Leiterin der Hauptstadtrepräsentanz des US-Unternehmens Microsoft, Tanja Böhm, in die Verhandlungsgruppe für einen Koalitionsvertrag mit der SPD zum Thema Verwaltungsreform und Digitalisierung delegiert. Nach nur einer Runde musste sie sich dort wieder verabschieden – zu groß war der Protest dagegen, ausgerechnet die deutsche Cheflobbyistin des ohnehin viel zu einflussreichen Tech-Konzerns an vorderster Front verhandeln zu lassen.

Doch trotz des schnellen Rückzugs von Frau Böhm kann keine Entwarnung gegeben werden – die derzeitige Abhängigkeit nicht nur der Berliner Verwaltung von Microsoft mit seinen Office-Anwendungen und dem Betriebssystem Windows ist bereits jetzt schon verheerend. Darum sollte klar sein, dass ein zentrales Ziel der Reformen auch eine größere Unabhängigkeit von Unternehmen wie Microsoft sein muss. Doch nicht nur die Personalie Böhm ist ein Zeichen dafür, dass der künftige Senat aus CDU und SPD einem problematischen Lobbyismus Tür und Tor öffnen will.

Doch der Reihe nach. In ihrem Koalitionsvertrag nach der Wahl im Herbst 2021 hatte sich die Koalition aus SPD, Grünen und Linken auf eine umfassende Verwaltungsreform mit dem Ziel verständigt, Prozesse und Verfahren zu vereinfachen, zu beschleunigen und die Zuständigkeiten von Land und Bezirken klar zu regeln. Parallel dazu sollte die technische Modernisierung in Angriff genommen werden. Denn längst liegt hier einiges im Argen. Dazu ein paar Beispiele: Von der Beantragung einer Geburtsurkunde – Voraussetzung für Anträge auf Kindergeld und Elterngeld – bis zum ersten Zahlungseingang auf dem Konto können schon mal vier Monate vergehen. Die Bearbeitung eines Wohngeldantrags beträgt in Berlin derzeit stolze sieben Wochen. Und auf einen Wohnberechtigungsschein muss man rund vier Wochen warten – wenn man denn die Herausforderungen beim Ausfüllen der Antragsunterlagen gleich im ersten Anlauf gemeistert hat. Auch sollte ein Termin beim Bürgeramt innerhalb von 14 Tagen keine Utopie bleiben.

Digitalisierung ist der Schlüssel

Ein zentraler Baustein auf dem Weg zu mehr Schnelligkeit, Transparenz und Kompetenz ist die Digitalisierung der Verwaltung. Die bisherige Koalition hatte mit Dr. Ralf Kleindiek einen „Chief Digital Officer“ im Rang eines Staatssekretärs berufen, der diesen Modernisierungsprozess managen sollte und der auch weiß, dass für eine digital souveräne Stadt offene Software-Standards (Open Source) unverzichtbar sind. Vereinbart wurde daher, bei jeder Softwarebeschaffung nach Open Source-Alternativen zu suchen und speziell für die Verwaltung erarbeitete Software unter freien Lizenzen der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen.

Noch vor der Wiederholungswahl am 12. Februar dieses Jahres hatte der Berliner Senat ein Eckpunktepapier zur Reform der Berliner Verwaltung beschlossen. Demnach soll das Allgemeine Zuständigkeitsgesetz noch in diesem Jahr durch ein „Gesetz über die Aufgaben der Berliner Verwaltung“ abgelöst werden. Die Aufgabenverteilung und Zusammenarbeit der Berliner Verwaltung würde in diesem neuen Gesetz neu aufgestellt und verbindlich festgelegt werden. In der Sache geht es darin um verbindliche Zielvereinbarungen für einheitliche Leistungsstandards für die Bürger/innen in ganz Berlin, die transparente Neuordnung der Zuständigkeiten zwischen Senat und Bezirken, die Einführung einer teilweisen (Fach-)Aufsicht über die Bezirke durch den Senat, ein modernes Personalmanagement und die Stärkung der Bezirke durch konsequente Umsetzung des „Konnexitätsprinzips“ – einem Grundsatz im Staatsrecht, der besagt, dass Aufgaben- und Finanzverantwortung jeweils zusammengehören. Auch ein Prüfauftrag zur Einführung politischer Bezirksämter und der Richtlinienkompetenz der Bezirksbürgermeister/innen wurde beschlossen. Bezirksämter würden dann nicht mehr nach Parteienproporz, sondern auf der Basis von Koalitionen gebildet werden.

Die Einführung des politischen Bezirksamts ist seit Jahrzehnten eine immer wieder diskutierte Reform mit wechselnden Positionierungen von Parteien und immer auch fehlenden Mehrheiten, denn dafür wäre auch eine Verfassungsänderung notwendig. Die FDP wollte aus der Debatte im Vorfeld der Wiederholungswahl politisches Kapital schlagen, als sie kurz vor Weihnachten in einem Positionspapier die generelle Abschaffung der Bezirksämter forderte. Sie nutzte in dem Papier für ihre Vorschläge durchweg das Narrativ eines “Failed state“, einem Staat, der seine grundlegenden Funktionen nicht mehr erfüllen könne, um damit schwere Eingriffe in Demokratie und Ordnung begründen zu können. Eine Strategie, die für konservative und neoliberale Ideologen typisch ist.

Genutzt hat es der FDP allerdings nicht. Im Gegenteil, sie flog mit nur 4,6% der Stimmen ganz aus dem Parlament und ist auch in den Bezirksverordnetenversammlungen nur noch marginal vertreten. Für sie dürfte die Erkenntnis bitter gewesen sein, dass ein komplexes Vorhaben wie die Verwaltungsreform in keiner Weise für populistische Kampagnen taugt.

Dagegen steht die Forderung nach starken Bezirken und einer verbindlichen, verlässlichen Bezirkspolitik. Von zentraler Bedeutung ist dabei die ausreichende Finanzierung der den Bezirken zugewiesenen Aufgabenbereiche und des erforderlichen Personals. Eine Reform der Finanzsystematik, in der die Qualität der Leistungserbringung in den Mittelpunkt gerückt wird, ist dabei unerlässlich. Die Ablösung des bisherigen Proporz-Bezirksamts, in dem, wie in Pankow geschehen, auch schon mal Stadträt/innen aus fünf Parteien das Bezirksamt bildeten, durch ein politisches Bezirksamt, erfordert die Erfüllung weitreichender Bedingungen, damit sie funktionieren kann.

Reform weckt Begehrlichkeiten

Mit der aktuell geltenden Finanzverfassung wäre das nicht zu machen, denn es setzt eine relevante Haushaltssouveränität der Bezirke bei Einnahmen und Ausgaben voraus. Damit würde Berlin als gemeinsame Stadt infrage gestellt werden, was aber nicht das Ziel sein kann. Die Linkspartei sieht eine Entscheidung darüber, für die eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit im Parlament nötig wäre, am Ende der Agenda zur Verwaltungsreform.

Niemand kann bis heute seriös sagen, wie viel Geld für all das in die Hand genommen werden muss. Sicher ist nur: Es wird sehr, sehr viel sein. Da, wo Machtpositionen neu definiert werden und massive öffentliche Investitionen im Raum stehen, sammeln sich auch sehr vielfältige Akteure, um daran zu partizipieren. Viele Lobbyisten insistieren gern mit dem generösen Versprechen, nur das Beste für Berlin und seine Bürger/innen zu wollen. Doch nicht immer sind die Interessen so eindeutig wie etwa bei der Microsoft-Repräsentantin der CDU. Oder bei den FDP-Vorschlägen, die vor allem den Nutzwert der Verwaltung für wirtschaftsstarke Unternehmen in den Mittelpunkt stellen. 
Massiv in die Debatte über eine Verwaltungsreform hat sich auch die „Stiftung Zukunft“ eingebracht. Getragen wird sie hauptsächlich von Personen, die irgendwann in öffentlicher Verantwortung für die Stadt tätig waren und auch heute noch trotz des Fehlens jeglichen Mandats gern Taktgeber im Transformationsprozess Berlins sein wollen. Derartige Akteure spinnen mit großer Geste ein Netzwerk parallel zu den demokratisch legitimierten Strukturen, von dem bis heute nicht wirklich ersichtlich ist, welchen und wessen Interessen es dienen soll. Auch wenn das Tun in der Selbstdarstellung als ein rein bürgerschaftliches Engagement im Interesse aller Berliner/innen beschrieben wird, sollte man nicht aus den Augen verlieren, dass es letztlich immer auch um Partikularinteressen geht. 
Doch ungeachtet dessen ist es natürlich wichtig und richtig, dass der umfassende Reformprozess in der Stadt von so vielen Akteuren wie möglich auch kritisch begleitet wird. Nicht alle Ideen, die am Schreibtisch erdacht und für gut befunden wurden, sind praxistauglich. Kompetenz und Transparenz dürfen deshalb nicht nur das Ziel der Verwaltungsreform sein, sondern bilden auch eine grundsätzliche Voraussetzung dafür.

 

Hendrikje Klein ist Diplom-Verwaltungswirtin und als Sprecherin der Fraktion Die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus für Personal und Verwaltung sowie Bürger/innenbeteiligung tätig.


MieterEcho 432 / Mai 2023

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