Räume für die Nachbarschaft
Seit fast einem Jahr betreibt das Stadtteilkomitee Lichtenberg das Café Wostok
Von Peter Nowak
Wostok – der Name lädt zum Fragen ein. Tatsächlich ist das Café, das vor knapp einem Jahr in der Weitlingstraße 97 in Lichtenberg eröffnet hat, nach dem sowjetischen Raumschiff benannt, das mit dem ersten bemannten Raumflug in die Geschichte eingegangen ist.
Wenn das Café geschlossen hat, sieht man an den Rollläden das sorgfältig aufgemalte Bild eines Raumschiffs. Das Stadtteilkomitee Lichtenberg, das das Café betreibt, hat sich viel Mühe gegeben, um das Wostok so zu gestalten, dass Nachbar/innen gerne vorbeikommen. „Wir haben für die Renovierung länger als vorgesehen gebraucht, dadurch verzögerte sich die Eröffnung“, sagt Bea vom Stadtteilkomitee.
Ursprünglich nannte man sich Kiezkommune Lichtenberg. „Aber dann haben wir uns gefragt, ob der Name nicht zu utopisch klingt. Schließlich sind wir weit von einer Kommune für den ganzen Stadtteil entfernt, obwohl wir an dem Ziel aber festhalten“, begründet Bea die Umbenennung in Stadtteilkomitee. Jeden Freitag und Samstag ist das Wostok von 16 – 20 Uhr geöffnet. Mehrere Nachbar/innen schnippeln Gemüse. Sie gehören zu den regelmäßigen Gästen und helfen jeden Samstag beim Vorbereiten des Essens. Vorher wird gemeinsam entschieden, was gekocht wird. Für Jutta, die in der Nachbarschaft wohnt, ist der Samstag im Wostok mittlerweile ein wichtiger Termin geworden. „Hier kann ich mich mit anderen Menschen austauschen und sitze nicht allein in der Wohnung“, sagt sie.
Räume zu schaffen, in denen sich die Anwohner/innen austauschen können, war das Ziel des Lichtenberger Stadtteilkomitees bei der Gründung des Wostok. Sie suchten sich bewusst die Weitlingstraße aus. Bea nennt mehrere Gründe für die Wahl des Ortes. „Hier waren die Mieten für ein Ladenlokal noch bezahlbar. Zudem gibt es nicht viele linke Projekte in der Straße.“ Diese wird mittlerweile von vielen Imbissen und kleinen Einzelhandelsläden gesäumt.
Raus aus der linken Blase
Ziel des Stadtteilkomitees war und ist es, die „linke Blase“ zu verlassen und mit Menschen in Kontakt zu kommen, die nicht zum üblichen Zielpublikum linker Einrichtungen gehören. Die Weitlingstraße war vor über 30 Jahren durch ein von Neonazis besetztes Haus auch bundesweit in die Schlagzeilen geraten. Dagegen richtete sich auch eine erste Demonstration, die von west- und ostdeutschen Antifaschist/innen gemeinsam organisiert wurde, was nicht konfliktfrei verlief. Das ist Geschichte. Doch es gibt auch noch heute eine rechtsoffene Szene im Kiez. Das Wostok hat allerdings noch keine Drohungen aus dieser Richtung bekommen. Dabei zeigt das monatliche Programm, dass das Stadtteilkomitee sich klar links positioniert. So gibt es regelmäßig ein feministisches Café und einen Singeabend mit Liedern aus der Arbeiter/innenbewegung. Regelmäßig werden auch Lektüreabende angeboten, die aber anders ablaufen, als sie von eher akademisch geprägten Linken bekannt sind. Es gibt keine Vorträge, zu denen das Publikum höchstens einige Fragen am Schluss stellen kann. Im Wostok werden die regelmäßigen Besucher/innen von Anfang an mit einbezogen. So heißt es in der Ankündigung zum Lektüreabend im Juli: „Ihr habt Zeitungsartikel, Bücher, Podcasts oder andere Beiträge, über die ihr euch austauschen möchtet. Kommt vorbei und wir besprechen sie gemeinsam“. Einige Menschen aus dem Stadtteilkomitee steuerten einen Text von Clara Zetkin bei. „Die kannten einige Besucher/innen noch aus der DDR und schnell entspann sich eine interessante Debatte“, berichtet Bea über den Ablauf. Es sei auch schnell darum gegangen, wie aktuell die Texte von Clara Zetkin auch heute noch sind.
Zum Selbstverständnis des Stadtteilkomitees gehört nicht nur die Einbeziehung der Besucher/innen in die Planung des Programms, sondern auch der ständige Austausch mit den Stadtteilkomitees im Wedding (Mieterecho 430/ Mai 2023), Kreuzberg und Neukölln. Das ist viel Arbeit für die kleine Gruppe. Doch am 23. September wird erst einmal das einjährige Jubiläum des Wostok gefeiert. Dann lädt das Stadtteilkomitee ab 14 Uhr zum Herbstfest auf den Nöldnerplatz ganz in der Nähe des Café ein. Eingeladen ist auch die Lichtenberger Bezirksgruppe der Berliner MieterGemeinschaft, die sich regelmäßig im Wostok zu ihren monatlichen Mitgliederversammlung trifft.
MieterEcho 435 / August 2023