Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 431 / April 2023

Nachverdichtung am Fließband?

Ein Bauprojekt der Degewo in Marienfelde könnte zum Präzedenzfall werden

Von Christine Scherzinger

Immer mehr Anwohner/innen setzen sich in Berlin für den Erhalt von Grünflächen ein. Bäume, Büsche und Rasenflächen leisten einen Beitrag für erträgliches Stadtklima und Artenschutz und sind für eine ältere und immobilere Nachbarschaft oft die einzige Möglichkeit, in den Genuss von Grün zu kommen. 

Doch das scheint den Berliner Senat und die städtische Wohnungsbaugesellschaft Degewo wenig zu interessieren. In Marienfelde wurden an der Beyrodtstraße/Welterpfad rund 25 Bäume im Januar 2023 gefällt. Das frühere grüne Kleinod gleicht nun einer Wüste. Die Anwohner/innen wollten die Flächen erhalten, aber sie wurden von der Degewo, die dort einen Neubau mit 25 Wohnungen errichten will, nicht ernstgenommen.

Seit 2020 kämpften die Nachbarn in Marienfelde um den Erhalt der kleinen Grünfläche und um mehr Beteiligung. Sie haben sich immer wieder an die Bezirks- und Landespolitik gewandt und das Gespräch mit der Degewo gesucht.

In einem Brandbrief an Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) wiesen die Bürger/innen auf den Nutzen dieser Grünfläche hin, auf die Verantwortung der Politik, aber auch auf fehlende Bürgerbeteiligung der städtischen Wohnungsbaugesellschaft. Auch waren artenschutzrechtliche Fragen, inwieweit etwa Baumhöhlen von Fledermäusen vorhanden und genutzt werden, laut Aussagen der Anwohner/innen bis zur Fällung nicht geklärt.

Es wurde auf Antrag der Anwohner/innen auch eine Einwohnerversammlung einberufen. Das Bezirksamt hatte den Bauantrag der Degewo im bisherigen Umfang bereits abgelehnt und sah einen Dreigeschosser vor. Diese Idee wurde als Kompromiss von allen Akteur/innen akzeptiert.

Jedoch waren bei der Einwohnerversammlung weder Vertreter/innen des Senats noch der Degewo anwesend, um die Anregungen aufnehmen. Die Degewo ist auf keinen Wunsch der eigenen Mieterschaft eingegangen.

Rechtslage gegen Partizipation

 

Eine Genehmigung des Bauantrags erfolgte schließlich auf Senatsebene auf der Basis des neuen Baulandmobilisierungsgesetzes. Weder die Umgebungsbebauung noch die Angaben im Bebauungsplan spielen für den Neubau eine Rolle, sondern ausschließlich das Argument, dass aufgrund des angespannten Wohnungsmarktes neuer Wohnraum geschaffen werden müsse. Eine öffentliche Beteiligung ist dabei weder für die Einwohner/innen angedacht, noch für Träger öffentlicher Belange, die sich zu dem Vorhaben äußern könnten, um so den Rechtsweg für Klagemöglichkeiten zu eröffnen.

Mit diesem Nachverdichtungsvorhaben wird in Berlin ein Präzedenzfall geschaffen. Das Bauprojekt wurde gegen den Willen des Bezirks und den Bedenken der Bewohnerschaft durchgedrückt. Das Bezirksamt muss nun den Anweisungen des Senats folgen. Das kann in Berlin Nachverdichtungen am Fließband zur Folge haben, wenn die Bezirke und Anwohner/nnen sich nicht dagegen wehren können. Übrig bleiben Traurigkeit und Fassungslosigkeit, wie es zwei Anwohner/innen schildern: „Nun sind Tatsachen geschaffen worden: Bäume wurden gefällt, Sträucher, Büsche und Hecken entfernt. Eine Brache ist vor unserem Balkon entstanden, auf der demnächst ein viergeschossiges Haus errichtet werden soll. Es wird uns Licht und Luft nehmen, das Grün und damit auch der Lebensraum für viele Tiere sind vernichtet.  

Auch wir wissen, dass Wohnungen gebraucht werden. Der Slogan ‚Nachverdichtung mit Augenmaß‘, die in Aussicht gestellte Partizipation und der gesunde Menschenverstand haben uns angetrieben, Kompromissvorschläge zu machen und das Gespräch mit der Degewo, dem Bezirk und dem Senat zu suchen. Leider müssen wir feststellen, dass unsere Vorschläge, Höhe und Lage des neuen Hauses so zu verändern, dass Wohnqualität auch für Bestandsmieter erhalten bleibt, von der Degewo und dem Senat noch nicht einmal diskutiert werden. Das macht nicht nur traurig und auch wütend. Es lässt an der Demokratie zweifeln.“

Und wie weiter? Auch wenn vielen Nachbar/innen das Grün und ein Stück ihres Ortes genommen wurde, versuchen sie weiter zumindest eine Planungsalternative durchzusetzen. Dazu braucht es jedoch den politischen Willen auf allen Ebenen und die Bereitschaft der Degewo, ihren eigenen Mieter/innen auf Augenhöhe zu begegnen und endlich das zu erfüllen, was eine öffentliche Wohnungsbaugesellschaft tun sollte: Ihren sozialen und partizipativen Auftrag mit den Mieter/innen zu erfüllen.    

 

Christine Scherzinger ist promovierte Stadtgeographin und arbeitet unter anderem als Lehrbeauftrage an der FU Berlin. Sie sitzt für Die Linke in der Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg.


MieterEcho 431 / April 2023

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