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MieterEcho 430 / Februar 2023

Mit bewussten Täuschungen gegen Mietenregulierung

Behauptungen zu vermeintlich negativen Auswirkungen des Mietendeckels sind nachweislich falsch

Von Sigmar Gude   

Kaum war der Mietendeckel in Kraft, kursierten in der Öffentlichkeit Nachrichten und angebliche Beweise dafür, dass der Mietendeckel für die Wohnungsversorgung und die Berliner Mieter/innen nachteilige Auswirkungen habe. Der gravierendste Vorwurf, der auch heute noch regelmäßig gegen den Mietendeckel erhoben wird, war die Behauptung, er habe binnen kurzem zu einem enormen Angebotsrückgang bei den hiervon betroffenen Wohnungen geführt. Nur noch ca. die Hälfte der frei gewordenen Wohnungen würden zur Wiedervermietung angeboten, die anderen nicht wieder vermietet und so dem Wohnungsmarkt entzogen. Das Ergebnis sei also ein Fiasko für den Gesetzgeber und eine Katastrophe für die Vielzahl Wohnungssuchender, die jetzt noch weniger Chancen auf eine Wohnung hätten.   

Schauen wir uns mit den heute zugänglichen Daten das Ganze an, müssen wir feststellen, dass es sich um die größten Fake-News handelt, die im Zusammenhang mit dem Mietendeckel verbreitet wurden, denn an der Behauptung des Angebotsrückgangs stimmt nichts. Dies ist heute aber nicht nur für die Bewertung eines Mietendeckels von Interesse, sondern es ist ein treffendes Beispiel für das Zusammenspiel von Wirtschaftsinteressen, wirtschaftswissenschaftlichen Ideologien und Kritiklosigkeit der Medien bei der Diskreditierung von Vorschlägen zur Begrenzung der horrenden Mietpreissteigerungen. 

Denn die Fake-News wurden nicht nur von Interessenvertretern der Immobilienwirtschaft, sondern auch – und das ist der eigentliche Skandal in dieser Geschichte – von zwei der bekanntesten, öffentlich geförderten Wirtschaftsforschungsinstitute in Deutschland, dem DIW und dem ifo, verbreitet – mit zwei Veröffentlichungen, die üblichen Mindestanforderungen an wissenschaftliches Arbeiten in keiner Weise genügen. Diese unheilige Allianz, die immer wieder zusammenkommt, wenn wohnungspolitische Alternativen in der Öffentlichkeit bekämpft werden sollen, zu thematisieren, ist –  über die nachträgliche Korrektur der Falschbehauptung im Zusammenhang mit dem Mietendeckel hinaus – von aktueller Bedeutung. 

Umzüge nur geringfügig gesunken

Ausgangspunkt der These eines Angebotsrückgangs war die Feststellung des Marktführers für Immobilienanzeigen ImmoScout24, die Zahl der Anzeigen für Mietwohnungen sei in dem vom Mietdeckel betroffenen Segment der vor 2014 erstellten Wohnungen dramatisch – um 47,4% – zurückgegangen. Hinsichtlich der Ursache und der damit verbundenen negativen Auswirkungen legt sich ImmoScout24 eindeutig fest: „Das Gesamtangebot an preiswertem Wohnraum hat sich durch den Mietendeckel verringert. Damit verschärft die gesetzliche Regelung die Wohnungssuche in Berlin“, so der Geschäftsführer von ImmoScout24 am 2. März 2021 auf dem Portal „Anlegen in Immobilien“. Somit habe der Mietendeckel sein Ziel verfehlt und das Gegenteil bewirkt. Auffällig ist, dass auch in keiner anderen Veröffentlichung, die sich auf ImmoScout24 – und auf die ebenfalls auf Anzeigen basierende gleichgerichtete Analyse der empirica AG – beziehen, auch nur angedeutet, geschweige denn fundiert überprüft wird, dass es andere Erklärungen für den Anzeigenrückgang geben könnte. So war schon im Vorfeld diskutiert und Immobilienbesitzern unverblümt geraten worden, den Mietendeckel zu ignorieren und andere Vertriebswege zu nutzen, die nicht wie Anzeigen öffentlich zugänglich und damit kontrollierbar seien. 

Auf diese kurzschlüssige und einseitige Interpretation sprangen in der Folge eine Vielzahl von Zeitungen und Informationsdiensten an. Heute gilt dies in der Öffentlichkeit als gesichertes, unumstößliches Wissen zum Mietendeckel. Umso stärker, als mit dem DIW und dem ifo zwei der größten Wirtschaftsforschungsinstitute der Behauptung ihre wissenschaftliche Weihe verliehen zu haben scheinen. So sahen sich auch die Berliner Zeitung am 12. April 2022 und der Tagesspiegel am 13. April 2022 nochmals veranlasst, die Veröffentlichung des ifo zu übernehmen, in der der enorme Angebotsrückgang behauptet wurde.

ImmoScout24 und empirica sowie DIW und ifo behaupten, ca. die Hälfte der freiwerdenden Wohnungen seien nicht erneut vermietet worden. Ein derartiger Rückgang der Wohnungsangebote hätte in jedem Falle zu einem etwa gleich großen Rückgang der Umzugsbewegungen, sowohl der Umzüge innerhalb Berlins als auch der Umzüge aus und nach Berlin, führen müssen. Geht man überschlägig von 150.000 Wohnungswechseln im Mietwohnungsbereich in Berlin pro Jahr aus, dann wären nach Einschätzung von DIW und ifo mindestens die Hälfte, also ca. 75.000 Wohnungen dem Markt entzogen worden und nicht wieder vermietet worden. Das Wanderungsvolumen, also die Summe aller Personen, die in Berliner Wohnungen ein- oder ausgezogen sind, hätte sich dann entsprechend halbieren müssen.

Demgegenüber ist die Zahl der Umzüge in Berlin 2020 gegenüber dem Vorjahr 2019 nur geringfügig, nämlich um rund 9%, zurückgegangen. Dieser Rückgang ist im wesentlichen coronabedingt gewesen. Auch das Statistische Bundesamt sieht in Corona den Hauptgrund für die Abnahme der Wanderungsbewegungen in Deutschland: Danach ist die Binnenwanderung in Deutschland 2020 um 9,5% gesunken, also in einer gleichen Größenordnung wie in Berlin. 

Die Behauptung also, der Mietendeckel in Berlin habe zu einem erheblichen oder gar dramatischen Rückgang des Angebots an Mietwohnungen geführt, ist demnach nachweislich falsch. Insgesamt hat sich der Umfang der Wanderungsbewegungen im gleichen Umfang wie im gesamten Bundesgebiet durch Corona verringert, eine Größenordnung, die weit unterhalb der Katastrophenzahlen von DIW und anderen liegt. 

Schaut man etwas detaillierter hin, so zeigt sich zudem, dass in den Berliner Bezirken die Innenstadtbezirke überproportional viele Zuzüge zu verzeichnen hatten, obwohl in ihnen der Anteil der Bestandswohnungen vor 2014, die ja angeblich einen Angebotsrückgang von ca. 50% zu verzeichnen gehabt haben sollen, besonders hoch ist. 

Am stärksten ist die Zuwanderung von außen gesunken (-14%). Dies ist angesichts des wirtschaftlichen Einbruchs durch Corona und dem dadurch bedingten Anstieg der Arbeitslosigkeit in Berlin zu erklären. Der regelmäßig hohe Zuwanderungsgewinn der letzten Jahre war durch das Wachstum an Arbeitsplätzen verursacht.

Standards missachtet

Trotzdem sind noch mehr Personen zugezogen als weggezogen (ca. 5.300). Auch dies zeigt: Es kann keine Zurückhaltung bei der Wiedervermietung gegeben haben.

Die vor allem von ImmoScout24 gemeldeten Rückgänge der Wohnungsanzeigen auf ihrer Plattform hatten offensichtlich ihre Ursache darin, dass Wohnungsanbieter in großem Umfang auf andere, nicht öffentliche Vertriebskanäle ausgewichen sind. Anders ist die Diskrepanz zwischen gemeldetem großem Rückgang der Anzeigen und dem geringen Rückgang der Umzüge nicht zu erklären. 

Dass neben den Privatunternehmen ImmoScout24 und empirica auch das DIW und das ifo als öffentliche Institution Studien publiziert haben, die die gleichen Behauptungen zum Rückgang der Anzeigen aufstellen, ohne andere Erklärungsmöglichkeiten überhaupt in Betracht zu ziehen, ist ein Skandal und entspricht nicht den wissenschaftlichen Mindestanforderungen an solche Institutionen. Bei einem korrekten wissenschaftlichen Vorgehen hätten andere Gründe für den Rückgang ernsthaft in Erwägung gezogen werden müssen: 1. Corona und  2. das Ausweichen der Anbieter auf andere Vertriebskanäle. Letzteres war doch von verschiedener Seite den Vermietern unverblümt empfohlen worden, um die Kontrolle von überhöhten Abschlüssen zu erschweren. Das DIW legt sich in der Schuldzuweisung eindeutig fest. „Die mit dem Mietendeckel einhergehende Angebotsverknappung ist alarmierend, da dadurch Menschen, die umziehen müssen (...) viel schwieriger als ohnehin schon eine Wohnung finden“. Die Autor/innen geben sich auch nicht die Mühe, anhand der Wanderungszahlen, die ihnen die statistischen Ämter sicherlich gern zur Verfügung gestellt hätten, ihre Thesen zu überprüfen. Stattdessen verwenden sie ihre Energie darauf, dem Berliner Senat ausgiebig Nachhilfeunterricht in „richtiger“ Wohnungspolitik zu geben. 

Insgesamt zeigt dieses Beispiel erneut, wie schnell und interessengeleitet gerade im Bereich Wohnungspolitik Falschinformationen produziert und kolportiert werden, um alternative Vorgehensweisen zu diskreditieren und abzuqualifizieren.  

 

Sigmar Gude ist Stadtforscher und war bis Ende 2022 Geschäftsführer der asum GmbH für angewandte Stadtforschung und Mieterberatung.


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