Klassenpolitik am Hermannplatz
Interview mit Katalin Gennburg, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linken im Abgeordnetenhaus
MieterEcho: Im August 2020 schloss der damalige rot-rot-grüne Senat eine Absichtserklärung mit der von René Benko geführten Signa Holding ab, der Eigentümerin des Warenhauskonzerns Galeria Karstadt Kaufhof. Sie nannten es „Letter of Intent“. Welche gemeinsamen Interessen hatten denn diese Partner?
Katalin Gennburg: Die Absichtserklärung war von der Hoffnung getragen, politischen Einfluss auf die Absicherung der Arbeitsplätze der Beschäftigten zu nehmen. Dafür sicherte die Regierung dem Investor ein umfangreiches Baurecht zu. Das war wirklich ein Geschenk an den Investor und ich habe das als Abgeordnete immer abgelehnt und infrage gestellt, genau wie unsere Partei auch.Verbunden damit war allerdings auch die Hoffnung vieler Gewerkschafter/innen, dass damit angesichts der Gescheanke an den Eigentümer der Wunsch nach der Sicherung der Arbeitsplätze aufgeht. Das Baurecht war ein Zugeständnis an den Eigentümer René Benko.
Konnte der Deal mit Benko aufgehen?
Das Spannungsfeld am Hermannplatz und auch an anderen Standorten von Galeria Karstadt Kaufhof, zwischen Immobilienverwertung einerseits und der Arbeitsplatzsicherung andererseits, war nicht wirklich aufzulösen. Obwohl gerade die Gewerkschaft das bis heute fordert und deswegen war sie an dem Deal interessiert – muss man drei Jahre später mit Blick auf die vielen Standorte bundesweit sagen: Signa will nur die attraktiven Grundstücke verwerten und hat null Interesse an der Nahversorgung der Städte durch Warenhausstandorte. Das Problem ist doch: Das Baurecht als Eigentumsgarantie hat keinen Gegenwert, den die Stadt einklagen könnte. Bereits nach einem Aufstellungsbeschluss zur Bauleitplanung, der als Absichtserklärung der Kommune eröffnet wird, hat sich das für den Immobilienkonzern bereits kapitalisiert.
Der Investor kann dann mit diesem materiellen Wert wirtschaften, z. B. Fonds auflegen oder auch gewinnbringend weiter verkaufen. Im Gegenzug gibt es auf der Seite der Arbeitnehmer/innen kein Recht, das die Sicherheit der Arbeitsplätze juristisch in gleicher Weise festschreibt. Der Deal zum Baurecht zwischen der Stadt und dem Investor ist für diesen bereits in trockenen Tüchern. Die Zukunft der Arbeitsplätze bleibt ein Binnenverhältnis zwischen Unternehmen und Beschäftigten. Da kann die Stadt nicht eingreifen. Darum können die Arbeitsplätze damit nicht dauerhaft gesichert werden.
Das liegt auf der Hand. Hat sich die Linke mit dieser Problematik nicht beschäftigt?
Mehrere Parteitage der Linken haben sich damit beschäftigt. Die Pläne von Signa zum geplanten Monumentalbau wurden abgelehnt. Die umliegenden Kieze mit ihrer vielfältigen und diversen Bevölkerungsstruktur sowie das lokale Gewerbe und die Arbeitsplätze vor Ort sollen geschützt werden. Wir wollen eine behutsame Weiterentwicklung des Hermannplatzes, die den heutigen sozialen und ökologischen Notwendigkeiten gerecht wird und sich an den Bedarfen und Problemen der aktuellen Nutzer/innen und Bewohner/innen orientiert.
Sind die Linken, die an dem Deal beteiligt waren, also dem Charme von Benko erlegen?
Benko steht für einen Immobilienverwertungskonzern und ist für zahlreiche Geschäfte mit Politiker/innen bekannt. Auf den Parteitagen wurde zum Deal zwar eine klare Position bezogen. In der Situation zu Anbeginn der Pandemie und inmitten einer Debatte über die Zukunft der Innenstädte versus Onlinehandel war leider kaum Platz für die Frage nach dem Partner und dass Benko bereits vorbestraft ist und einen schlechten Ruf hat. Zusätzlich sind auch unsere Senatsvertreter/innen dann einer rot-rot-grünen Regierungslogik gefolgt und das war falsch. Wer dem Vertragspartner Benko glaubt, übersieht die Aufwertungslogik, in der die Verdrängung eine Methode ist. Hier wird eine neue Stadt für „neue“, also reiche, Bürger/innen geplant. Da hätte ich mir von den an der Regierung beteiligten Linken mehr Klarheit gewünscht und ein kritisches Bewusstsein über die Gentrifizierungspolitik à la SPD der letzten Jahrzehnte, denn das ist seit den 90er Jahren die Stadtentwicklungspolitik der Sozialdemokratie: Aufwertung durch Verdrängung!
Nun ist die Linke in der Opposition und hat bereits einen Antrag eingebracht, in dem sie die Vereinbarung aufgrund der erneuten Insolvenz der Galeria Karstadt Kaufhof GmbH für hinfällig erklärt. Woher der Sinneswandel?
Eine linke Stadtentwicklungspolitik ist antikapitalistisch und muss der Spur des Geldes folgen, soziale Räume für die Stadt gestalten und sich von den Machtspielen mit dem Baufilz abgrenzen. Es geht uns immer um die Bestandssicherung und die Interessen der betroffenen Mieter/innen, Arbeiter/innen und Nutzer/innen.
Der neue Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) hat mit einer Presseerklärung die frühzeitige Bürgerbeteiligung zum Hermannplatz eingeläutet. Gibt es nun doch noch eine Chance für die Stimme der politischen Öffentlichkeit?
Diese Bürgerbeteiligung ist eine Farce. Es geht hier um die Interessen einer politischen Klasse. Darum wird die Bürgerbeteiligung formal durchgeführt und auch medial ausgeschlachtet, aber den Einwendungen der Bürger wird damit kein Gewicht und keine Stimme gegeben. Das Verfahren von Signa war von Beginn an antidemokratisch und ist ohne Abstimmungen im Parlament gelaufen – im Gegenteil wollte man uns Abgeordnete auf einen undemokratischen Deal verpflichten.
Die Instrumente einer demokratischen Stadtplanung und die Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung sind Standards aus den 70er Jahren, die seinerzeit auch erkämpft worden sind. Sie werden von der rechten SPD seit den 90er Jahren unterlaufen. Seit der Zeit des Staatssekretärs Hans Stimmann sind die Grundlagen für eine reaktionäre Stadtentwicklung gelegt worden, in der die Partizipation nur noch ein Feigenblatt ist. Träger dieser Architekturdebatte war und ist eine politisch vernetzte Immobilienbranche.
Bereits in der ersten Abgeordnetenhaussitzung unter der schwarz-roten Regierung haben Sie dazu Transparenz gefordert.
Benko ist in seinem exklusiven Zugang zur Macht nicht allein. In der rot-rot-grünen Regierung unter Michael Müller (SPD) wurde zwar versucht, Standards der Beteiligung neu aufzulegen, einiges schien möglich. Aber mit Franziska Giffey sind alle Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung wieder unwirksam geworden. Man denke nur an das Aussitzen des Volksentscheids „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. Die pseudodemokratische Abwägung in einem eindeutig besetzten Gremium hatte nie die Absicht, den Volksentscheid umzusetzen. Natürlich fangen wir sofort an, ein kritisches Auge darauf zu werfen.
Können wir da von einer politischen Klasse sprechen?
Mit der Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt ist eine Vertreterin dieser politischen Klasse an die Spitze der Stadtentwicklung getreten, als Teil der politisch eingebundenen Architektenschaft. Diese Büros erhalten die Aufträge. Auch ihr Mann verdient direkt an den Aufträgen aus dem Senat, während Kahlfeldt in Aufsichtsräten und anderen Gremien lukrative Aufträge vergibt. Diese Architektenschaft ist politisch klar verortet und will beispielsweise die Ostmoderne in der Mitte der Stadt schleifen – und mit der Rekonstruktion von Kaiserstadt und Mittelalter selbst viel Geld verdienen, nicht nur in Berlin. Ein Architektendiskurs mit feudal anmutendem Schloss gegen die bestehenden Stadtteile und ihre Bewohner und für die Kapitaleliten ist nur der Startpunkt für diese Truppenteile und dagegen müssen wir Widerstand organisieren.
Was ist der Plan der Linken in der Opposition?
Wir werden den Baufilz unter die Lupe nehmen und demaskieren, auch bundesweit. Denn auch in Frankfurt a. M. war z. B. das Büro Kahlfeldt an der historisierenden Rekonstruktion des Römers in der Innenstadt beteiligt. In Potsdam wird eine revanchistische Stadtstruktur auf Kosten der städtebaulichen Moderne betrieben. Es sind immer die gleichen Büros, die gleichen Professoren in einem Architekturdiskurs, der öffentliche Räume unter Beteiligung von Städtebauförderungsmitteln als Kapitalanlage vermarkten will. Sie verschweigen gern, dass ihre Spender rechts anschlussfähig sind, wie das im Falle der vermeintlichen Schlossrekonstruktion in Berlin bereits öffentlich wurde.
Es ist immer dasselbe Prinzip: Die Verdrängung einkommensarmer Menschen für neue, historisierend verkleidete Kapitalrenditeobjekte, die die Kaiserzeit glorifizieren und mit öffentlichen Geldern belohnt werden.
Wir danken für das Gespräch.
Das Interview führte Karin Baumert, Stadtsoziologin und politische Aktivistin.
Katalin Gennburg ist stadtpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus. 2016 errang sie erstmals ein Direktmandat im Wahlkreis Treptow-Köpenick 1, das sie 2021 und 2023 verteidigte.
MieterEcho 433 / Juni 2023