Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 432 / Mai 2023

Im Klammergriff der Sozialdemokratie

Seit der Wiedervereinigung prägen – von kurzen Unterbrechungen abgesehen – SPD-Senator/innen die Wohnungspolitik in Berlin

Von Andrej Holm

Der Koalitionsvertrag von CDU und SPD sieht das bezahlbare Wohnen als „die große soziale Herausforderung“ für Berlin und setzt auf schnellen Neubau und strategischen Ankauf, um das Angebot zu erweitern. Die Parteispitze der SPD reklamiert für sich einen Koalitionsvertrag mit „sozialdemokratischer Handschrift“ , und wie fast durchgehend in den vergangenen 30 Jahren wird auch die Leitung der zuständigen Senatsverwaltung wieder von der SPD gestellt. Ein Rückblick zeigt, dass SPD-Senator/innen keine Garanten für eine soziale Wohnungs- und Baupolitik waren.   

Seit der Wiedervereinigung 1990 gab es insgesamt neun Regierungen in sehr verschiedenen Koalitionen. Nur eines blieb unverändert: Egal, wie die Wahlen in Berlin ausgingen, die SPD saß immer mit am Regierungstisch. Bis auf zwei Ausnahmen in den Jahren 1996 bis 1999 (Jürgen Klemann, CDU) und 2017 bis 2021 (Katrin Lompscher/Sebastian Scheel, Die Linke) wurde auch die für Bau und Wohnungsfragen zuständige Stadtverwaltung fast durchgehend von der SPD geführt.

In der zweiten Regierungszeit von Eberhard Diepgen (CDU, 1991 bis 2001) gaben sich gleich drei Senatoren die Klinke in die Hand. Von 1991 bis 1995 führte der ausgebildete Psychologe, Historiker und Pädagoge Wolfgang Nagel (SPD) die Senatsverwaltung. Mit der Bezeichnung Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen waren die Aufgaben des Ressorts noch relativ genau umschrieben.

Nagel, der zuvor die Pressestelle des Deutschen Instituts für Urbanistik (DIFU) geleitet hatte und als Vorsitzender des Ausschusses für Wohnungspolitik und Stadtentwicklung im Landesverband der SPD fungierte, galt als gut vernetzt. Für den erwarteten Wachstumsschub der künftigen Hauptstadt wurden trotz rückläufigen Bevölkerungszahlen fast 60.000 Wohnungen fertiggestellt und die Weichen für Entwicklungsgebiete Wasserstadt Oberhavel, Rummelsburger Bucht und Karow Nord gestellt, die unter dem massiven Einsatz von öffentlichen Geldern angeschoben wurden. Entscheidender für die Stadtentwicklung in dieser Zeit war aber die Privatisierung und Neuaufteilung der innerstädtischen Grundstücke in Ostberlin, die der Immobilienwirtschaft ermöglichten, ihren Traum vom Neuen Berlin umzusetzen.

Lukrative Anschlussverwendung

Auch damals wurde auf Beschleunigungsverfahren und mit dem Koordinationsausschuss Innenstadt (KOAI) auf Parallelstrukturen zur eigentlichen Verwaltung gesetzt, um ein investitionsfreundliches Klima für den Umbau der Stadt zu schaffen. Mit den Bürotürmen am Potsdamer Platz und den Neubauprojekten in der Friedrichstraße hat diese Politik bis heute ihre Spuren in der Stadt hinterlassen.

Nach seiner Amtszeit blieb Nagel der Immobilienwirtschaft und der Friedrichstraße treu und heuerte als Projektentwickler bei einem Unternehmen der Fundus-Gruppe von Anno August Jagdfeld an. In deren Verwaltung steht unter anderem das Quartier 206 in der Friedrichstraße, das erst durch das beherzte Handeln der Senatsverwaltung in den frühen 1990er Jahren ermöglicht wurde. Im Jahr 2003 erwarb eine IPC 206 Betriebs GmbH einen kurz vor der Insolvenz stehenden Ankermieter im Gebäude im Rahmen eines Unternehmenskaufvertrages. Geschäftsführer des Erwerbers war Wolfgang Nagel. Von 1996 bis 1999 folgte die Amtszeit von Wolfgang Klemann (CDU), der das inzwischen in Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr umbenannte Ressort als Senator leitete. Der ausgebildete Jurist war zuvor stellvertretender Leiter eines Arbeitsamtes in Westberlin und Bürgermeister in Zehlendorf und brachte keine besondere Expertise für den Wohnungsbau und die Stadtentwicklung mit. Die war auch nicht wirklich notwendig: Neubauinvestitionen brauchten keine stadtpolitischen Impulse, sondern folgten den attraktiven Steuerabschreibungsbedingungen, die Ende der 1990er Jahre private Investitionen nach Ostdeutschland locken sollten.

Trotz seiner mit vier Jahren relativ kurzen Amtszeit entwickelte sich Klemann zum Bauweltmeister unter den Bausenator/innen der letzten 30 Jahre. Über 85.000 Wohnungen wurden zwischen 1996 und 1999 fertiggestellt. Auch für die beginnenden Privatisierungen der öffentlichen Wohnungsunternehmen waren keine vertieften Fachkenntnisse der Bau- und Wohnungspolitik gefragt. Über 85.000 öffentliche Wohnungen wurden in seiner Amtszeit verkauft. Darunter auch die Teilprivatisierung der 1924 gegründeten Gehag mit der als Weltkulturerbe gelisteten Hufeisensiedlung, der Wohnstadt Carl Legien und Beständen in der Gropiusstadt. Auch für Klemann gab es eine Anschlussverwendung in der Immobilienbranche: Er war von 1999 bis 2006 im Vorstand der von ihm privatisierten Gehag.

Von 1999 bis 2004 lag die Verantwortung der nun in Senatsverwaltung für Stadtentwicklung umbenannten Behörde in den Händen von Peter Strieder (SPD). Der gelernte Jurist war zuvor schon Bürgermeister von Kreuzberg und Senator für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie. Mit der Zusammenfassung der verschiedenen Zuständigkeiten unter dem Oberbegriff „Stadtentwicklung“ verschwand das Bauen und Wohnen komplett aus den Titeln der Senatsverwaltungen. Das war insofern konsequent, denn es wurde kaum noch gebaut, die öffentlichen Wohnungen wurden weiter privatisiert und die Förderprogramme des Sozialen Wohnungsbaus komplett eingestellt.

In der Amtszeit von Strieder wurden gerade mal 28.000 Wohnungen fertiggestellt – das entsprach einer mageren Neubauleistung von etwa 5.700 pro Jahr. Dafür wurden im selben Zeitraum fast 130.000 Wohnungen der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften privatisiert – darunter die 64.000 Wohnungen der GSW, die als komplette Wohnungsbaugesellschaft an ein internationales Finanzkonsortium verkauft wurde. Da auslaufende Bindungen im Sozialen Wohnungsbau nicht mehr durch geförderte Neubauprojekte kompensiert wurden, verringerte sich die Zahl der Sozialwohnungen in der Ära Strieder um über 40.000 Einheiten. Dieser Raubbau an den sozialen und öffentlichen Wohnungsbeständen kann als eine Allparteien-Koalition verstanden werden, denn Strieder war Senator in der CDU-SPD-Koalition (1999 bis 2001), in der von der PDS tolerierten Minderheitsregierung von SPD und Grünen (2001) sowie der rot-roten Koalition aus SPD und PDS.

Privatisierungsschub unter „rot-rot“

Wegen umstrittener Subventionen für das Tempodrom musste Peter Strieder 2004 zurücktreten. Dem Immobiliensektor blieb er dennoch erhalten und ließ sich als Berater für umstrittene Bauprojekte in der Leipziger Straße und am Checkpoint Charlie einspannen und in den Aufsichtsrat des Berliner Projektentwicklers EUREF AG berufen. Zudem setzte er sich 2010 für eine notwendige Zustimmung der Berliner Landesregierung zum Börsengang der GSW ein.

Von 2004 bis 2011 stand mit Ingeborg Junge-Reyer (SPD) eine ausgebildete Verwaltungswissenschaftlerin an der Spitze der Senatsverwaltung. Sie war zuvor Stadträtin in Kreuzberg, Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales und Frauen und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Junge-Reyer setzte den bisherigen Kurs der Abwicklung und des Nichtbauens fort. In den sieben Jahren ihrer Amtszeit wurden nicht einmal 27.000 Wohnungen (3.800 pro Jahr) fertiggestellt. Dem standen Privatisierung von 35.000 Wohnungen und der Abbau von über 80.000 Sozialwohnungen gegenüber.

Mit einem von ihr eingebrachten Gesetz zur vorzeitigen Ablösung von Förderdarlehen beschleunigte sie zudem das Abschmelzen der Sozialwohnungsbestände in Berlin. Anders als bei ihren Vorgängern sind keine späteren Aktivitäten für die Immobilienwirtschaft bekannt geworden. Junge-Reyer wurde im Jahr 2015 von der Berliner Regierung auf Honorarbasis als Koordinatorin für die Unterbringung geflüchteter Jugendlicher eingesetzt.

Von 2011 bis 2016 regierte die SPD in einer Koalition mit der CDU, und die nun in Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt benannte Riesenverwaltung wurde zunächst von Michael Müller und ab 2014 von Andreas Geisel (beide SPD) geleitet. Der gelernte Bürokaufmann und Drucker Michael Müller war in den zehn Jahren der rot-roten Regierungskoalition Fraktionsvorsitzender und seit 2004 auch Landesparteivorsitzender der SPD. Nach dessen Berufung zum Regierenden Bürgermeister im Jahr 2014 übernahm mit Geisel zum ersten Mal ein Ostdeutscher das Amt des Senators für Stadtentwicklung. In der DDR hatte er als Fernmeldetechniker ein Studium der Ökonomie des Nachrichtenwesens abgeschlossen und kam in den Jahren nach der Wende als Mitarbeiter in der Liegenschaftsabteilung der Oberpostdirektion zum ersten Mal in Kontakt mit Immobilienthemen. Nach einem Aufbaustudium der Betriebswirtschaftslehre und einer Zeit als freier Mitarbeiter bei der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers wechselte er 1995 in das Feld der Politik und wurde Stadtrat und später Bürgermeister in Lichtenberg.

In den Jahren von Müller und Geisel wurde mit über 35.000 Fertigstellungen (rund 7.000 pro Jahr) der Wohnungsbau in Berlin langsam wieder angekurbelt. Zudem wurde der Ausverkauf der landeseigenen Wohnungen umgekehrt. Durch den Ankauf von Wohnungsbeständen wurde der Bestand der landeseigenen Wohnungsunternehmen sogar um 35.000 Wohnungen ausgeweitet. Eine Lösung für den Sozialen Wohnungsbau gab es auch in dieser Zeit nicht und der Bestand verringerte sich um weitere 35.000 Wohnungen. Die Wohnungsfragen erhielten in diesem Zeitraum wieder eine stärkere Bedeutung, doch setzte der SPD-geführte Senat neben der Stärkung der landeseigenen Wohnungsunternehmen vor allem auf den privaten Neubau von Wohnungen.

Geisel setzte sich mehrfach aktiv für die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für größere Investitionsprojekte ein. So verhinderte er 2015 einen bezirklichen Bürgerentscheid zur Bebauung des Mauerparks, indem er die Planungshoheit des B-Planverfahrens durch die Senatsverwaltung übernahm. Der von diesen Entscheidungen begünstigte Investor Groth zahlte später größere Parteispenden an Geisels Ortsverband der SPD in Lichtenberg. In der Zeit der rot-grün-roten Regierungskoalition fungierte Andreas Geisel als Innensenator und war unter anderem für die monatelangen Verzögerungen bei der Prüfung des Antrags zum Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ verantwortlich. Müller wurde Regierender Bürgermeister und sitzt seit 2021 als Abgeordneter im Bundestag. Von 2016 bis 2021 wurde die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen von Katrin Lompscher und in den letzten Monaten von Sebastian Scheel (beide Die Linke) geleitet. Als Diplomingenieurin für Städtebau, ehemalige Baustadträtin in Lichtenberg und wohnungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion im Abgeordnetenhaus brachte Lompscher nicht nur Politikerfahrung, sondern auch Fachexpertise ins Amt. Nach ihrem Rücktritt wegen zu spät gezahlter Rückzahlungen von Vergütungen aus Aufsichtsratsfunktionen an die Landeskasse übernahm der bisherige Staatssekretär Sebastian Scheel die Aufgaben des Senators. Der studierte Philosoph und Wirtschaftswissenschaftler war bis 2017 Abgeordneter und parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion im Sächsischen Landtag.

Keine Lösung für Sozialen Wohnungsbau

Obwohl die wohnungspolitische Agenda in dieser Legislaturperiode über das simple „bauen, bauen, bauen“ hinausging und vor allem Mieterschutz (wie der gescheiterte Mietendeckel) und Stadtentwicklung (Erarbeitung der StEP Wohnen2030) im Vordergrund standen, wurde gebaut wie seit den 1990er Jahren nicht mehr. In der Amtszeit der von den Koalitionspartnern, der Opposition und den Hauptstadtmedian als „Nicht-Wohnungsbausenatorin“ bezeichneten Senatorin Lompscher (und ihres Nachfolgers) wurden über 70.000 Wohnungen fertiggestellt (rund 14.500 pro Jahr).

Durch Neubau und Aufkauf konnte zudem der Bestand der landeseigenen Wohnungsunternehmen um weitere 43.000 Wohnungen erhöht werden. Allein für den Umgang mit dem Sozialen Wohnungsbau wurde auch unter rot-grün-rot keine Lösung gefunden und der Bestand reduzierte sich um weitere 18.000 Wohnungen. Lompscher wurde nach ihrem Rücktritt als Senatorin in den Vorstand der Hermann-Henselmann-Stiftung berufen und bringt sich bis heute auf diesem Wege in die stadt- und wohnungspolitischen Debatten Berlins mit ein. Scheel ist über die Landesliste der Berliner Linken ins Abgeordnetenhaus eingezogen.

Seit der Regierungsbildung von rot-grün-rot nach der Wahl 2021 übernahm Geisel (SPD) zum zweiten Mal den Posten des Senators in der mal wieder umbenannten Behörde, die nun als Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen firmierte und erstmals seit 1999 wieder das „Bauen“ im Titel trug. Doch mit nur 16.500 fertiggestellten Wohnungen und rückläufigen Genehmigungszahlen wurde das von der SPD im Koalitionsvertrag durchgesetzte Ziel von 20.000 pro Jahr deutlich verfehlt.

In den 32 Regierungsjahren seit 1991 trug die SPD in 23 Jahren die Verantwortung für das Bau- und Wohnungsressort. Die Ressortleitungen durch Die Linke mit fünf Jahren (2017-2021) und die CDU mit vier Jahren (1996-1999) waren jeweils nur kurze Unterbrechungen. Ein Blick auf die Bilanz der einzelnen Parteien zeigt: Eine „sozialdemokratische Handschrift“ stand in den vergangenen drei Dekaden vor allem für weniger Neubau, mehr Privatisierung und den beschleunigten Abbau des Sozialen Wohnungsbaus.


MieterEcho 432 / Mai 2023

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