Im Gesundheitswesen droht weiterer Kahlschlag
Karl Lauterbachs Reformpläne beinhalten die Schließung von bundesweit rund 700 Kliniken
Von Laura Valentukeviciute und Jorinde Schulz
Nichts weniger als eine Revolution im Krankenhauswesen kündigte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im November des vergangenen Jahres an. Die gescheiterte Fallpauschalenfinanzierung sollte endlich zugunsten einer Entökonomisierung im Sinne der Daseinsvorsorge überwunden werden. Kurz darauf, am 6. Dezember, stellten Lauterbach und die Mitglieder seiner „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ ihre Reformvorschläge zur Finanzierung und Struktur der Krankenhauslandschaft vor. Sollten diese wie vorgeschlagen umgesetzt werden, bedeutet das tatsächlich weitreichende Veränderungen. Diese lassen sich allerdings vielmehr als Kahlschlag denn als Revolution bezeichnen.
„Die Welle der Schließung hat sowieso schon begonnen“, verteidigte Lauterbach am 23. Februar lapidar seine Reformvorschläge gegen die Kritik, dass mit ihnen circa ein Drittel der Kliniken wegfallen sollen. Erstaunlich ist das nicht nur, weil diese Aussage von genau dem Minister stammt, der das Zepter in der Hand hält, um die grassierenden Krankenhausschließungen zu stoppen. Es zeigt auch, dass Lauterbach sich seiner Verantwortung für die Schließungen möglichst entziehen will – obwohl er persönlich für die Einführung der DRG-Fallpauschalenfinanzierung (DRG – Diagnosis Related Groups) gesorgt hat, die den Krankenhauskahlschlag maßgeblich vorantreiben. Lauterbach wollte jetzt wohl der Minister der guten Nachrichten sein, als er die Abschaffung der DRG-Fallpauschalen versprach – auch wenn das mit der Wahrheit wenig zu tun hat. Denn die Fallpauschalenfinanzierung soll nur zu einem kleineren Teil und nur in manchen Kliniken oder Abteilungen durch Vorhaltefinanzierung ersetzt werden. Also Mitteln, die unabhängig von der Anzahl behandelter Fälle fließen.
Gerade die negativen Auswirkungen der Fallpauschalen wie Leistungsdruck, Mengenausweitung oder riesiger Verwaltungsaufwand bleiben weiterhin bestehen. Die Versuche des Ministers, die Auswirkungen seiner budget-gedeckelten, neoliberalen Reform positiv darzustellen – sie soll angeblich zur besseren Qualität in der medizinischen Versorgung führen – machen stutzig. Es lohnt sich also, sich die Folgen der geplanten Reform näher anzuschauen.
Leistungsspektrum wird eingeschränkt
Das Reformkonzept enthält drei Vorschläge. Der erste beinhaltet ein Zwei-Säulen-Modell aus Vorhaltung und Fallpauschalen. Dieses Modell behebt die Finanzmisere der Kliniken in keiner Weise. Denn Lauterbach will die Reform kostenneutral gestalten, im Klartext: Das Budget ist gedeckelt. Die Vorhaltefinanzierung wird die finanziellen Probleme der betroffenen Kliniken daher nicht lösen, da sie die jetzige Finanzierung über die Fallpauschalen nicht ablöst, sondern sie bloß anteilig ersetzt. Mehr Geld wird bei den Krankenhäusern dadurch nicht ankommen.
Die beiden weiteren Vorschläge – Einführung von Krankenhausleveln und Leistungsgruppen – zielen direkt darauf ab, die Zahl der Kliniken radikal zu reduzieren. Positiv formuliert sollen mit bundesweiten Leveln die Krankenhäuser standardisiert und die in jedem Bundesland unterschiedlichen Definitionen von Regelversorger, Schwerpunkt- oder Maximalversorger vereinheitlicht werden.
So weit, so gut. Folgenschwer ist jedoch, dass die Krankenhäuser des niedrigsten Levels 1 in ihrem Leistungsspektrum entweder massiv eingeschränkt werden oder als Akutkrankenhäuser ganz verschwinden sollen. Die unnötig komplizierten Bezeichnungen Level 1i und Level 1n dienen dem Zweck, diesen Umstand zu verschleiern.
Einrichtungen des Levels 1i sollen laut Reformvorschlägen nicht unbedingt ärztlich, sondern von speziell ausgebildeten Pflegekräften geleitet werden und nur über stationäre Pflegebetten verfügen. Auf Abruf wird lediglich ambulante ärztliche Behandlung geleistet. Die Einrichtungen des Levels 1i werden somit keine ärztliche Verfügbarkeit an sieben Tagen die Woche rund um die Uhr gewährleisten und daher vielfach nicht in der Lage sein, bei Notfällen zu helfen. Das i-Tüpfelchen ist dabei der Kommissionsvorschlag, in diesen Einrichtungen auch die Angehörigen in die Pflege einzubeziehen.
Es ist davon auszugehen, dass die bundesweit 657 Krankenhäuser, die derzeit laut dem Gemeinsamen Bundesausschuss die Anforderungen an eine gestufte Notfallversorgung nicht erfüllen, zu Level-1i-Einrichtungen degradiert werden und somit aufhören, als Krankenhäuser zu existieren.
Kliniken des Levels 1n sollen zwar als Krankenhäuser erhalten bleiben, allerdings nur auf Basisniveau in den Bereichen Innere Medizin, Chirurgie und Notfallversorgung. Geburtshilfe soll nur noch in den Kliniken des Levels 2 und 3 angeboten werden. Das ist einer der größten versteckten Skandale der geplanten Reform: Die komplette Streichung der Kreißsäle aus dem Level 1 bedeutet den Abbau der schon heute stark ausgedünnten Geburtsstationen von aktuell 810 auf nur noch 428.
Ein weiterer Grundpfeiler der Reform ist die Einteilung des Behandlungsspektrums der Krankenhäuser in 128 Leistungsgruppen. Damit solle zum Beispiel die bisherige Innere Medizin in mehrere Bereiche aufgesplittet werden. Von der kleinteiligen Spezialisierung verspricht sich die Kommission eine höhere Qualität. Tatsächlich wird damit der Qualitätsbegriff vor allem quantifiziert, also auf die Behandlungsmenge verengt. Krankenhäuser, welche die rigiden Mengenvorgaben nicht erfüllen, dürfen bestimmte Behandlungen nicht mehr durchführen, auch wenn sie Kompetenz und Erfahrung haben. Ihnen droht zudem die Herabstufung auf ein niedrigeres Level, mit den oben beschriebenen Konsequenzen.
Damit würden über Jahre aufgebaute Kompetenzen schlagartig zerstört werden. In der Praxis könnte das zu skurrilen Situationen führen: Fällt während einer Operation der Bauchspeicheldrüse der Herzschrittmacher aus, muss auch in der Leistungsgruppe für Herzkrankheiten schnell behandelt werden. Ist das Krankenhaus für diese Leistungsgruppe nicht zugelassen, darf es die Behandlung nicht durchführen. Behandelt es dennoch, wird es von den Krankenkassen finanziell abgestraft. Außerdem kann der Druck, zum Jahresende noch die erforderlichen Mengenvorgaben erfüllen zu müssen, zu medizinisch nicht notwendigen Operationen führen.
Kliniksterben In Berlin erwartet
Alle drei Reformvorschläge erfordern zusätzlichen Dokumentations- und Verwaltungsaufwand. Der Bürokratie-Wahn, mit dem medizinisches Personal bereits heute ein geschätztes Drittel der Arbeitszeit verbringt, wird also weiter wachsen. Besonders verwaltungsintensiv sollen die Leistungsgruppen werden: Sie müssen beantragt, begründet, dokumentiert und geprüft werden. Hinzu kommen Auseinandersetzungen mit dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen in Fällen wie der oben beschrieben Pankreas-Operation. All das entzieht den Krankenhäusern weitere personelle Ressourcen.
Die geplante Reform wird die Lage der Patient/innen drastisch verschlechtern. Mangelnde ärztliche Versorgung in den Einrichtungen des Levels 1, noch längere Anfahrtswege zu den Kliniken der Level 2 und 3, Unklarheit, welche Klinik bei welchen Notfällen und Krankheitsbildern aufgesucht werden soll und damit verbundene Abweisungen von Patient/innen. Unerträglich lange Wartezeiten auf Diagnosen und Behandlungen in den verbleibenden Kliniken und Rettungsstationen sind absehbar.
Schließungen und Klinikkonzentration werden nicht nur zu Problemen im ländlichen Raum führen. In den Ballungsgebieten wird es für Patient/innen zu Staus in den verbleibenden Kliniken kommen. Laut einer im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft erstellten Auswirkungsanalyse würden zum Beispiel in Berlin nach der Umsetzung der Reform von mehr als 50 Plankrankenhäusern mit über 60 Standorten nur 7 übrig bleiben. Plankrankenhäuser sind Kliniken, die vom Staat als notwendig eingestuft werden und Anspruch auf öffentliche Gelder für Bauten und Technik haben.
Geburtshilfe würde statt in 18 Kliniken nur noch in 7 angeboten werden, die Kardiologie würde von 26 auf 8 Standorte reduziert. Berlins Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) kritisierte, dass die Reformvorschläge „die Qualität der Gesundheitsversorgung in Berlin gefährden“ würden. Von alleine wird aber nichts passieren. Damit Lauterbach von seinen Kahlschlag-Plänen abrückt, muss der gesellschaftliche Protest noch lauter werden.
Laura Valentukeviciute und Jorinde Schulz arbeiten für die Initiative „Gemeingut in BürgerInnenhand“ (GiB).
MieterEcho 431 / April 2023