Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 430 / Februar 2023

„Ich wünsche mir die ADO zurück“

Heerstraße Nord: Für die Mieter/innen hat sich durch die Rekommunalisierung ihrer Wohnungen kaum etwas verbessert

Von Philipp Möller

Im äußersten Westen Spandaus, nur einen Steinwurf von der Landesgrenze zu Brandenburg entfernt, liegt die Großsiedlung „Heerstraße Nord“ . Sie umfasst mehr als 8.000 Wohnungen und ist schon von Weitem durch ihre markanten Punkthochhäuser zu erkennen. Wie die meisten Großsiedlungen wurde sie ab 1962 vorwiegend als sozialer Wohnungsbau von landeseigenen und freigemeinnützigen Wohnungsunternehmen sowie Genossenschaften errichtet. Während der Privatisierungswelle der 2000er Jahre verscherbelten die städtischen Unternehmen GSW und Bewoge mehr als Hälfte der Wohnungen in der Heerstraße Nord an internationale Finanzinvestoren. Lediglich 1.850 Wohnungen verblieben bei der kommunalen Gewobag und etwa 1.000 Wohnungen bei verschiedenen kleineren gemeinnützigen Trägern und Genossenschaften. Die privatisierten Wohnungen wechselten seit dem Verkauf mehrmals ihre Eigentümer. 3.500 Wohneinheiten landeten schließlich in der Hand der ADO Properties, die die Wohnungen 2019 zu einem Vielfachen des bei der Privatisierung bezahlten Preises zurück an die Stadt verkaufte.     


Die Heerstraße Nord bietet damit ein gutes Beispiel für einen Verwertungskreislauf, der mit der Privatisierung zu Niedrigpreisen startete und bei der Rekommunalisierung zu Höchstpreisen vorerst endet. In Zeiten rasant steigender Immobilienwerte lohnte es sich für die Konzerne, Wohnungen in großen Siedlungen anzukaufen, bei Instandhaltungen zu sparen und Mieten aus staatlichen Transferleistungen zu kassieren, um sie anschließend als Exit-Option wieder an die Stadt zu veräußern. „Zurück bleiben heruntergewirtschaftete Wohnungsbestände und völlig überschuldete öffentliche Haushalte“, beschrieb Carl Waßmuth von der Initiative „Gemeingut in BürgerInnenhand“ diesen Prozess in einem Beitrag in der Zeitschrift Lunapark21. 

Zwar profitieren die Mieter/innen nach der Übernahme von einigen politischen Vorgaben für die landeseigenen Wohnungsunternehmen (LWU). So verhängte der Senat im Dezember 2022 ein einjähriges Mietenmoratorium für die 355.000 städtischen Wohnungen. Auch die soziale Wohnraumversorgung in der Stadt verbessert sich durch die Ausweitung öffentlicher Wohnungsbestände. Rund 2/3 der Wiedervermietungen im Bestand müssen an WBS-Berechtigte erfolgen. 2021 wurden dadurch mehr als 9.600 landeseigene Wohnungen an Haushalte mit geringen Einkommen vergeben. Dennoch bringen die Rückkäufe nicht automatisch Verbesserungen bei der Wohnqualität, wie sich am Beispiel der Heerstraße Nord zeigt.

Marode Aufzüge und Spielplätze

„Vor der Rekommunalisierung lautete das Versprechen: Mit der Gewobag kommt ein landeseigenes Unternehmen. Das sind die Guten“, berichtet Sven Winter, der sich als Mieterbeirat und Quartiersrat in der Großsiedlung engagiert. Die Hoffnungen der Mieter/innen wichen jedoch schnell der Ernüchterung. Die zahlreichen Missstände in der Siedlung haben sich seit der Übernahme durch die Gewobag kaum verbessert, manche Probleme sind neu hinzugekommen. Kaputte Aufzüge werden nur notdürftig repariert, einige stehen wochenlang still. Die Beseitigung von Sperrmüll verläuft schleppend. Klingelanlagen funktionieren nicht, das Servicecenter ist kaum erreichbar. Ausgelöst durch eine anhaltende Brandserie hat sich ein Gefühl der Unsicherheit in der Siedlung breitgemacht. Die Gewobag hatte nach der Übernahme den Vertrag mit dem Sicherheitsdienst auslaufen lassen und einen neuen erst nach einer Unterschriftensammlung des Mieterbeirats wieder angestellt. 

Mit dessen Arbeit sind die Mietervertreter/innen jedoch unzufrieden. Er sei ein „teurer Spaziergänger“, sorge aber nicht für die gewünschte Sicherheit, erklärt Sven Winter. Die Polizei hat mittlerweile dutzende Kameras in der Siedlung installiert. Die Brandserie konnte dennoch bislang nicht aufgeklärt werden. Die Reparaturen der zahlreichen Brandschäden in Hauseingängen und Kellerräumen ziehen sich häufig in die Länge. Monatelang bleiben zerstörte Postkästen unbenutzbar oder hängen verschmorte Kabel über den Eingangsbereichen. Nach zahlreichen Medienberichten, Mieterversammlungen und Interventionen durch die Politik reagierte die Gewobag mit der Einsetzung eines „Notfallbrandhausmeisters“. Erfolge dieser Maßnahme sind aber bislang kaum spürbar, berichten die Mietervertreter/innen, die durch ihr Engagement viele Missstände in der Siedlung am Stadtrand überhaupt erst in die Öffentlichkeit bringen.

Verantwortlich für die Mängel bei Reparaturen und Instandhaltungen ist der ausgegliederte Hausmeisterservice, die fletwerk GmbH, dessen Agieren zu viel Frust unter den Mieter/innen führt. Das Outsourcing von Mieterservice und -verwaltung ist eine Hinterlassenschaft des politisch forcierten Umbaus der LWU in den 1990er und 2000er Jahren, der sie auf einen Gewinnkurs trimmen sollte. Zwar haben sich die politischen Vorzeichen seither verändert, von der Privatisierung hin zur Ausweitung öffentlicher Bestände und kommunalem Neubau sowie einem teilweisen Insourcing von Dienstleistungen. Jedoch wurden längst nicht alle ausgegliederten Abteilungen zurück in die Unternehmen geholt, und die Ankäufe zu Marktpreisen sowie die massiven Investitionen in den Neubau führten besonders bei der Gewobag zu einer hohen Verschuldung. Das führt zu einem neuerlichen Kostendruck bei allen LWU. In der Folge sparen die Unternehmen bei der Instandhaltung. In der Heerstraße Nord zeigt sich das neben den Mängeln bei Reparaturen und Mieterservice auch bei den Investitionen ins Wohnumfeld. Seit dem Rückkauf wurden zahlreiche Sportplätze in der Siedlung geschlossen und kaputte Spielgeräte auf Spielplätzen entfernt, ohne sie zu erneuern. Die zurückbleibenden, leeren Sandkästen und umzäunten Fußballplätze säumen die Innenhöfe als Symbole des Sparkurses. 

Unter einigen Mieter/innen in der Heerstraße Nord hat sich die Stimmung gegenüber der Rekommunalisierung mittlerweile gedreht. „Ich wünsche mir die ADO zurück“ sagt Gunda Struwe, ebenfalls Mieterbeirätin der Großsiedlung. Viele Nachbar/innen würden das ähnlich sehen, meint die Mietervertreterin. Dabei werde jedoch oft ausgeblendet, dass bereits in den Jahren vor der Rekommunalisierung eine große Unzufriedenheit in der Mieterschaft über kaputte Aufzüge, Wasserschäden und eine mangelhafte Hausreinigung herrschte, berichtet der vor Ort tätige Sozialarbeiter Tom Liebelt. In den Monaten vor dem Verkauf habe die ADO das Quartier verwahrlosen lassen, Wartungen und Reparaturen hätten nicht mehr stattgefunden, berichtet auch der Mieterbeirat.   

Bessere Finanzierung notwendig

Zwar kann die jahrelange Vernachlässigung der Wohnungen durch die privaten Voreigentümer nicht sofort behoben werden und eingeleitete Maßnahmen, etwa zur verbesserten Beseitigung von Sperrmüll, brauchen eine gewisse Zeit, um zu wirken. Dennoch sollte der wachsende Unmut in der Mieterschaft als Warnsignal verstanden werden, dass allein der Eigentümerwechsel von privat zu öffentlich nicht ausreicht, wenn nicht auch bei den LWU strukturelle Veränderungen erfolgen. Neoliberalen bieten die offensichtlichen Probleme in den städtischen Wohnungsbeständen zudem ein willkommenes Einfallstor, um Zweifel an einer öffentlichen Wohnraumversorgung zu sähen oder gar Reprivatisierungen ins Spiel zu bringen. 

Statt durch Einsparungen beim Mieterservice und Instandhaltungen unzufriedene Mieter/innen zu produzieren, braucht es neue Modelle bei der Finanzierung der LWU und eine Stärkung von Beteiligungsgremien, in denen Mieter/innen die Probleme ansprechen können. Bislang machte das Land Berlin von seiner Möglichkeit einer direkten Finanzierung der städtischen Wohnungsbaugesellschaften, mit Ausnahme der Subventionierung von einzelnen Vorkaufsfällen, kaum Gebrauch.

Ein erster Schritt in diese Richtung ist die Subventionierung des zuletzt verhängten Mietenstopps mit 11 Millionen Euro aus dem Haushalt, als Teil des Entlastungspakets des Senats. Investitionen in den kommunalen Neubau oder die energetische Modernisierung bedürften ebenfalls einer entsprechenden finanziellen Unterfütterung, um den Kostendruck bei den LWU zu lindern. Wirkliche Verbesserungen für die Mieter/innen dürfte es erst dann geben, wenn die Politik der Wahrheit ins Gesicht sieht: Eine gute Wohnungspolitik kostet viel Geld. 

 


MieterEcho 430 / Februar 2023

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