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MieterEcho 429 / Januar 2023

Hufeisen vor dem Humboldt

 

Von Henrike Naumann

Die Entscheidung für die Errichtung eines „Einheits- und Freiheitsdenkmals“ wurde 2010 getroffen. Nur ein Jahr später wurde mit der Selbstenttarnung des „Nationalsozialistische(n) Untergrund(s)“ (NSU) die extreme Rechte wieder sichtbar. 2014 fing mit Fackelläufen im Erzgebirge eine Bewegung an, die dann als Pegida Dresden weltweit berühmt wurde. 2019 veröffentlichte die AfD bei der Bundestagswahl ihr geschichtspolitisches Programm unter dem Titel „Vollende die Wende!“ mit dem sie die Erinnerung an 30 Jahre Friedliche Revolution zur Vorstufe einer völkischen Revolution erklärte sowie Bundesrepublik und DDR gleichsetzte. 

Ich bin Künstlerin und interessiere mich für öffentliche Wettbewerbe, die zu Kunst am Bau oder Kunst im öffentlichen Raum führen. Ich selbst habe mich bisher nicht beteiligt, finde es aber extrem spannend, mich mit den Auswahlprozessen und den Begründungen zu beschäftigen. Durch eigene Jurytätigkeit in Berlin erfuhr ich, dass sich alle Beteiligten die Unterlagen immer besorgen und nachverfolgen können, wie und warum  Entscheidungen schließlich getroffen wurden. 

Ich weiß deswegen auch, dass aufgrund der unterschiedlichen geschichts- und kunstpolitischen Interessen oft Kompromisse zustande kommen und Kunstwerke ausgewählt werden, auf die sich alle irgendwie einigen können und so dass niemand zu enttäuscht ist. Leider sind diese Werke mitunter unglückliche Fälle für die städtische Gesellschaft. Ich bin zwar einerseits froh, dass hier vor dem Stadtschloss nicht ein solches Kompromisswerk wie etwa der „Kniende“ von Stephan Balkenhol aufgestellt wird, andererseits ist die sogenannte „Einheitswippe“ längst nicht frei von einigen Ecken und Kanten, mit denen ich mich schon seit einer Weile beschäftige. Was ist das Problem? Zum einen die Inschrift „Wir sind das Volk, wir sind ein Volk“. Diese Inschrift drückt eine Auffassung von Gesellschaft aus, die sich durch den Volksbegriff verbindet. Solche völkischen Vorstellungen von Gemeinschaft sind nicht erst seit dem Sturm auf das Reichstagsgebäude mit Reichskriegsflaggen ein Horror für mich, sondern mich stört auch die Wippe. Was ist das eigentlich für ein Bild von einer demokratischen Gesellschaft als Gleichgewicht? Das Gleichgewicht ist fragil, es kann nach rechts oder nach links kippen, aber eigentlich gehalten wird es durch eine starke Mitte: das ist eine skulpturale Vorstellung von Gesellschaft, die sich an der Hufeisentheorie orientiert. Insofern ist die Wippe für mich wie eine Form gewordene Extremismustheorie. 

Das ist auch ein Thema, mit dem ich mich beschäftige, weil alle, die sich politisch engagieren, mit Gleichsetzungen von Faschismus und Antifaschismus konfrontiert werden: Rechts und Links als die (vermeintlich) zwei großen extremen Bedrohungen, die durch eine starke Mitte verhindert werden müssen. Diese Idee bzw. Theorie einer starken unpolitischen bürgerlichen Mitte haben Uwe Backes und Eckhard Jesse seit den 1980ern verbreitet. Das ganze Weltbild zeigt sich in dem Buchcover, bei dem das braune und das rote Extrem die Gesellschaft zerreißt, die von der weißen Mitte zusammengehalten werden muss. Die künstlerische Frage ist: Wie zeige ich, was demokratische Gesellschaft ausmacht? Aber auch: Wie zeige ich, dass dieses Weltbild der Extremismustheorie auch von den Polizeibehörden wie dem Verfassungsschutz übernommen wurden? Das sind Fragen, die mich in meiner künstlerischen Arbeit umtreiben. 2018 hat die AfD einen Antrag im Bundestag eingebracht, um das Einheitsdenkmal zu stoppen und einen neuen Wettbewerb auszurufen. In diesem Antrag beziehen sich die Abgeordneten der AfD auf den Künstler Joseph Beuys. Sie argumentieren, dass das Denkmal „Bürger in Bewegung“ gar keine Soziale Plastik im beuysschen Sinne sei. Als Soziale Plastik verstehen sie einen kunsttheoretischen Begriff zur Bezeichnung von Kunst, die den Anspruch verfolgt, auf die Gesellschaft gestaltend einzuwirken. Die Bürgerbewegung von '89 sei die Soziale Plastik gewesen, das Denkmal könne es nicht sein. 

Das heißt, die Bezugnahme auf Beuys, dessen eigene Geschichte ja auch voller völkischer Verkettungen und unaufgearbeiteter biografischer NS-Bezüge ist, bringt für mich in diesem ganzen komplexen Gefüge die Problematik von Darstellung von demokratischen Monumenten auf den Punkt. Wie kann ein demokratisches Monument aussehen? Und welche gesellschaftlichen Folgen hat es, wenn es sich dabei bewusst oder unbewusst auf einen völkischen Gemeinschaftsbegriff bezieht?  

 

Meine Gedanken zum „Einheitsdenkmal“ habe ich im Rahmen des kritischen Stadtrundgangs „Rechte Räume“, welcher im November 2021 durch Berlins Mitte führte, zum ersten Mal öffentlich formuliert.

Rechte Räume ist ein Projekt von Philipp Krüpe / Stephan Trüby (IGmA, Universität Stuttgart) und Theater findet Stadt e.V. in Kooperation mit dem Maxim Gorki Theater. Es ist Teil der Initiative DRAUSSENSTADT, gefördert vom Berliner Projektfonds Urbane Praxis sowie von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa. 
rechteraeume.net

Henrike Naumann wurde 1984 in Zwickau (DDR) geboren. Sie lebt undarbeitet in Berlin. Henrike Naumann reflektiert gesellschaftspolitische Probleme auf der Ebene von Design und Interieur und erkundet das Reibungsverhältnis entgegengesetzter politischer Meinungen im Umgang mit Geschmack und persönlicher Alltags-ästhetik. In ihren immersiven Installationen arrangiert sie Möbel und Objekte zu szenografischen Räumen, in welche sie Video- und Soundarbeiten integriert. In Ostdeutschland aufgewachsen, erlebte Henrike Naumann in den 90er Jahren Neonazis als dominante Jugendkultur. Ihre Praxis reflektiert die Mechanismen der Radikalisierung und deren Zusammenhang mit persönlicher Erfahrung.
henrikenaumann.com

 

 


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