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MieterEcho 432 / Mai 2023

Eine ganz besondere Stadtrundfahrt

Das Berliner Bündnis gegen Abriss organisierte eine Bustour zu verschiedenen von Abriss bedrohten Häusern

Von Peter Nowak

Rund 60 Menschen, darunter viele Aktivist/innen der Mieter/innenbewegung, trafen sich am 2. April an der Baustelle des Hauses der Statistik in Berlin-Mitte zu einer Bustour. In den nächsten vier Stunden ging es kreuz und quer durch Berlin zu Orten, an denen gut erhaltene, oft erst vor kurzer Zeit sanierte Gebäude abgerissen werden sollen oder bereits verschwunden sind. In den vergangenen 5 Jahren wurden in Berlin rund 10.000 Wohnungen abgerissen.   

Dagegen hat sich vor einigen Monaten das Bündnis gegen Abriss in Berlin gegründet, das auch die Bustour organisiert hat. Sebastian Diaz de Delon, einer der Mitbegründer des Bündnisses, erklärt gegenüber MieterEcho die Intentionen der Gruppe. Zum einen würden die bestehenden Wohngebäude durch sehr viel höherpreisigen Neubau ersetzt. Zudem verursache der Abriss, die Entsorgung und der Neubau von Gebäuden einen enormen Ressourcenaufwand, der angesichts der Klimakrise nicht zu rechtfertigen sei.

„Wir haben das Bündnis gegen Abriss gegründet, um die große Zahl an bedrohten Gebäuden und Bewohner/innen in ganz Berlin deutlich zu machen und den Austausch untereinander zu ermöglichen. Wir wollen so die einzelnen lokalen Kämpfe um den Erhalt der Häuser stärken, sowie eine generelle Kritik an der gegenwärtigen Praxis von Abriss und anschließendem Neubau üben“, so Diaz de Delon. Die ökologische Problematik habe dabei einen sehr hohen Stellenwert: „Der Gebäudesektor verursacht 40% des gesamten CO2-Ausstoßes in Deutschland. Durch Abrisse wird die in den Gebäuden bei ihrem Bau aufgewendete und seitdem im Gebäude gespeicherte ‚graue Energie‘ freigesetzt. Dazu kommt, dass der Neubau erneut Energie und wertvolle Ressourcen verbraucht. Und über 40% des gesamten deutschen Abfalls sind Bau- und Abbruch-Abfälle. Die Klimakrise verlange nach einem „radikalen Wandel im Umgang mit Bestandsgebäuden“.

Abriss bedeutet oft Verdrängung

Doch auch soziale Gründe sprechen für ihn dafür, sich gegen die Abrisspolitik zu wenden, da bestehende Wohngebäude mit teilweise noch recht günstigen Mieten durch hochpreisigen Neubau ersetzt werden, was unweigerlich zu Verdrängung von Menschen mit geringeren Einkommen führe, so Delon.

Deutlich wird das auf einer der Stationen der Anti-Abriss-Tour in der beträchtlich aufgewerteten Kurfürstenstraße in Schöneberg. In diesem Gebiet leben fast ein Drittel der Anwohner von Transferleistungen. Das Bündnis gegen Abriss fordert den Erhalt beziehungsweise den Umbau zu Wohnzwecken von fünf Gebäuden entlang der Kurfürstenstraße. Dazu gehören das sogenannte LSD-Gebäude, das Woolworth-Gebäude, die alten Hotels President und Sylter Hof sowie das Bürohaus an der Urania 4 – 10.

Es ist nicht die erste Aktion des Bündnisses in diesem Kiez. Bereits im Februar 2023 gab es eine Demonstration, die unter dem Motto „Rettet die Westplatte“ vom U-Bahnhof Kurfürstenstraße zur Urania zog. Mit der Parole wollte man ausdrücken, dass es Häuser in Plattenbauweise nicht nur in Ost-, sondern auch in Westberlin gab und dass sie erhalten werden sollten. Abriss und Neubau ist gerade bei Wohngebäuden ein äußerst lukratives Geschäftsmodell. Die Geschossflächen auf einem Grundstück werden maximiert, zudem steigt der Quadratmeterpreis deutlich.

Zwar sieht das in Berlin geltende Zweckentfremdungsverbotsgesetz vor, die Abrissgenehmigung für nutzbaren Wohnraum an die Schaffung bezahlbaren Ersatzwohnraums zu koppeln. Doch diese Festlegung hat sich als nicht gerichtsfest erwiesen, was in Investorenkreisen für anhaltende Sektlaune gesorgt hat. Andere politische Steuerungsinstrumente, um Abriss zu regulieren, gibt es derzeit nicht, und sind weder von der Bundes- noch von der neuen Landesregierung zu erwarten. Auch in anderen Stadtteilen, die bei der Bustour besucht wurden, wird massiv die Abrissbirne in Stellung gebracht, wie betroffene Mieter/innen den Teilnehmer/innen berichteten. Das Bündnis gegen Abriss wird jedenfalls keine Ruhe geben und sich weiter bei der Vernetzung betroffener Häuser und der Vorbereitung von Aktionen engagieren. Denn angesichts der dramatischen sozialen und ökologischen Situation braucht Berlin wenigstens ein Abrissmoratorium.


MieterEcho 432 / Mai 2023