Ein Haus mit Vorbildcharakter
Die „Kiezspinne“ in Lichtenberg ist ein wichtiger Treffpunkt für die Bevölkerung
Von Peter Nowak
Das moderne Gebäude mit den großen Fenstern ganz am Ende der Schulze-Boysen-Straße in Berlin-Lichtenberg fällt schon optisch auf. Zudem ist bemerkenswert, dass keine großen Zäune den Zutritt zum Areal in der Schulze-Boysen-Straße 38 versperren. Schließlich soll das Nachbarschaftshaus Kiezspinne, das in dem Gebäude sein Domizil hat, für alle Menschen barrierefrei erreichbar sein.
Schon am Vormittag vertreiben sich viele Kinder und Jugendliche dort die Zeit. Einige spielen auf dem Rasen, andere besuchen in einem der Räume die angebotenen Kurse. Die Jugendarbeit ist eine wichtige Säule der Kiezspinne. Doch auch die ältere Generation nimmt die zahlreichen Angebote gerne wahr. Andere bieten selber eine Arbeitsgruppe an. Wie vielfältig die Auswahl ist, wird auf dem Faltblatt deutlich, das in dem lichtdurchfluteten Foyer der Kiezspinne ausliegt. Dort finden sich auch die Termine für die zahlreichen Selbsthilfegruppen für Beschwerden und Krankheiten aller Art, die sich in den Räumlichkeiten regelmäßig treffen. Die Liste beginnt bei A wie Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätstsyndrom (ADHS) im Erwachsenenalter und endet bei V für vietnamesische Senior/innen zum Thema Gesundheit. Denn seit der Gründung gehört es zu den Grundsätzen der Kiezspinne: Offen zu sein für alle Menschen, die in Lichtenberg wohnen, egal wo sie geboren wurden. Für Deutschtümelei aller Art ist dort kein Platz.
„Schließlich ist es für eine Person, die Depressionen oder Diabetes hat und sich vernetzen will, egal, ob sie in Berlin, Hanoi oder Kairo geboren ist“, sagt die Frau, die gerade am Tresen im Foyer arbeitet. Dort werden Getränke und auch ein Mittagstisch zu geringen Preisen angeboten. Auch hier wird darauf geachtet, dass vor allem die Menschen in der Nachbarschaft bedient werden. Schließlich heißt es in den Leitsätzen des Vereins, der 1993 in einem der wenigen alten Gebäude im Schulze-Boysen-Kiez gegründet wurde: „Verwurzelt im Lichtenberger Stadtteil Frankfurter Allee Süd sieht der Verein hier sein erstrangiges Tätigkeitsfeld mit dem Bestreben, gute Nachbarschaft zu entwickeln und eine Atmosphäre des Miteinanders zu fördern.“
Auch politische Gruppen im Stadtteil nutzen die Räumlichkeiten der Kiezspinne. So hat die Kiezversammlung Lichtenberg vor einigen Monaten dort eine Diskussionsveranstaltung über revolutionäre Stadtteilarbeit organisiert.
Finanzierung nicht gesichert
Im Jahr 2005 wurde die Kiezspinne dann auf dem Gelände einer ehemaligen Schule neu eröffnet. Sie war geschlossen worden, weil die Anzahl der Schüler/innen zurückgegangen war. Anders als in vielen anderen Stadtteilen wurde das Areal aber nicht privatisiert. Keine teuren Bürogebäude sind dort errichtet worden, sondern das barrierefreie Nachbarschaftshaus, das tatsächlich für alle Generationen offen ist. Rund 50 Beschäftigte kümmern sich dort um die unterschiedlichen Dinge. Einige bringen den Jugendlichen bei, wie sie sich möglichst datensparend im Internet bewegen. Andere unterstützen die verschiedenen Selbsthilfegruppen.
Zum 30jährigen Jubiläum der Vereinsgründung haben Mitarbeitende und Freund/innen der Kiezspinne einen eigenen Song kreiert: „Kaum zu glauben aber wahr, die Kiezspinne wird 30 Jahr“, heißt der Refrain. Der Generationswechsel ist auch im Vorstand vollzogen. Kürzlich hat der Sozialarbeiter Christian Gridel seinen Posten als Geschäftsführer des Vereins angetreten.
Doch ganz sorgenfrei kann das Nachbarschaftshaus nicht in die mittlere Zukunft blicken. Die Miete und die anfallenden Kosten werden aus einem Fonds beglichen, der für die Arbeit der Willkommenskultur und Integration angelegt wurde. Spätestens in 10 Jahren wird der Fond abgeschmolzen sein. „In einigen Jahren müssen wir mit dem Bezirk über unsere weitere Finanzierung sprechen“, sagt der Vorstandsvorsitzende Manfred Becker. Eine weitere Unsicherheit sind die Pläne des weiteren Ausbaus der A100. Die nächste Trasse soll in der Nähe enden. Wenn auch das Gelände selber davon nicht betroffen ist, so könnten doch Einschränkungen die Folge sein. Dabei müssten solche Einrichtungen eigentlich Vorbildcharakter für andere Stadtteile haben. Finanziert Kiezspinnen statt Autobahnen, müsste die Forderung sein.
MieterEcho 435 / August 2023