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MieterEcho 429 / Januar 2023

Editorial

Editorial MieterEcho

Liebe Leserinnen und Leser,

Hans G Helms hatte in dem 1992 von ihm herausgegebenen Sammelband „Die Stadt als Gabentisch“ vergleichende Beobachtungen zwischen Marzahn und Manhattan angestellt und dabei die „stadtgestaltende“ Macht marktwirtschaftlicher Prozesse verdeutlicht. Immer noch eine lohnenswerte Lektüre.

Die „unternehmerische Stadt“ agierte marktgerecht, ihre Verwaltung und Dienstleistungen wurden bis zur Sinnlosigkeit verschlankt und das öffentliche Eigentum, soweit es nur möglich war, privatisiert. Die Verkäufe galten als erfolgreiche Vermögensaktivierung zur Haushaltsentlastung. Zur Wendezeit war der richtige Mann für eine solche Aktivierung des Berliner Immobilienvermögens der aus Lübeck stammende Sozialdemokrat Hans Stimmann. Die politische Linie der Stadtplanung dieses Senatsbaudirektors war Privatisierung um jeden Preis und die weltweite Präsentation des reich gedeckten Gabentischs. Die lokale Variante des Ausverkaufs firmierte als „kritische Rekonstruktion“. Der Vertreter dieser Theorie, Dieter Hoffmann-Axthelm, erkannte das Zeitfenster für die Übertragung des Grund und Bodens der historischen Mitte an eine betuchte Mittelschicht und war maßgeblich an der Ausarbeitung des Planwerks Innenstadt beteiligt.

Mit diesem finsteren Konstrukt sollte die „kritische Rekonstruktion“ gelingen. Kritisch ist daran gar nichts und rekonstruiert wird ebenso wenig. Die „Kritik“ soll verbergen, dass es weder um die Vergangenheit noch um eine fortschrittliche Zukunft, sondern nur um eine aktuelle Strategie der Vermarktung geht. Die „Rekonstruktion“ nutzt die vergangene Parzellierung zum portfoliogerechten Verkauf der Grundstücke an vermögende Erwerber. Die sozialdemokratische Senatorin für Stadtentwicklung Ingeborg Junge-Reyer aus Breckerfeld fügte ihre Vision von „Townhouses“ hinzu und das ganze Gemisch vergegenständlichte sich u.a. in dem Quartier um die Friedrichswerdersche Kirche. Eine Gegend von niedrigster urbaner Qualität war damit entstanden. 

Der städtische Gabentisch ist noch immer nicht leer und die Berliner Altstadt noch nicht vollständig verhunzt. Molkenmarkt, Marx-Engels-Forum, das Rathausforum und das Gebiet um die in den Rang einer globalen architektonischen Ikone erhobenen schrumpligen Bauakademie sind Areale, die sich wirtschaftlich und politisch lohnend verwerten lassen. Mit der Sozialdemokratin Franziska Giffey als Regierender Bürgermeisterin und der rückwärtsgewandten Architektin Petra Kahlfeldt als Senatsbaudirektorin könnte das gelingen. Verstärkung haben die in vorderster Front agierenden sozialdemokratischen Aktivisten der konservativ-wirtschaftlichen Stadtplanung wie Tobias Nöfer, Benedikt Göbel und Co. in diesem Jahr durch Marie-Luise Schwarz-Schilling erhalten. Sie ist vielen Berliner/innen noch immer durch die Umweltbelastung ihres Batterie-Unternehmens Sonnenschein in sehr gemischter Erinnerung. Offenbar aber für diese selbsternannte Stadtentwicklerin eine gute Voraussetzung, um die Altstadt von Berlin zu gestalten.

Ihr MieterEcho


MieterEcho 429 / Januar 2023