Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 429 / Januar 2023

Der Fernsehturm und sein Freiraum

Neues Buch zu Geschichte und Gegenwart im Zentrum Berlins

Von Karin Baumert

Der Berliner Fernsehturm – DAS gesamtstädtische Symbol – „dat is Berlin” . Steht man aber vor ihm und schaut hoch und dann wieder runter, sagen die einen: „Oh wie schön, diese Weite, dieser Blick, ach schade um den Palast der Republik .” Die anderen sagen: „Is dat Konzept oder kann dat weg?” Dieser Konflikt rund um den Fernsehturm scheint für die nächsten Jahre beruhigt. Am Molkenmarkt tobt er gerade weiter.

Dieses Buch war überfällig. Es ist dem Autor hoch anzurechnen, dass er sich auf den Weg gemacht hat und die erste zusammenhängende Untersuchung nach zahlreichen Einzeluntersuchungen nun in einer Publikation vorstellt. Aber Matthias Grünzig leistet mehr als das Zusammensetzen eines Puzzles. Er schafft es, den einmaligen Wert dieses im Osten als „städtebauliche Spange“ bezeichneten Raumes zwischen den Begrenzungen durch die Bebauung entlang der Karl-Liebknecht-Straße und der Rathauspassage in seiner Einmaligkeit zu würdigen. Dazu hat er sich die Mühe gemacht, noch lebende Zeitzeugen der Planungs- und Bauprozesse zu befragen. 

Der Autor beginnt mit dem Zeitgeist der Moderne und dem Wettstreit zwischen Ost- und Westberlin. Er beschreibt das städtebauliche Konzept rund um den Fernsehturm als Ausdruck einer Idealstadt der Moderne und ihrer Nachkriegsgeschichte. Dabei lässt er uns teilhaben an der konfliktreichen Entwicklung neuer Ansätze und inhaltlicher Ambitionen. Das Ostberliner Stadtzentrum war nicht nur Ort für preiswerten Wohnraum und schloss damit direkt an die Karl-Marx-Allee an. Hier sollten auch die Väter einer neuen Gesellschaftsutopie mit dem Marx-Engels-Denkmal gewürdigt werden. Nun steht das Denkmal wieder auf seinem Platz.

Grünzig geht im Weiteren auf die einzelnen städtebaulichen Elemente rund um den Fernsehturm ein, um dann zu den Stärken des Gesamtensembles zurückzukehren. In Zeiten von Klimawandel, Verdichtung und Aufwertung der Städte liefert uns der Autor in seinem Abschnitt zur Entwicklung nach 1990 einen wunderbaren – kurzen, aber sehr prägnanten – Überblick zum Wettlauf mit dem Kapital und deren ideologischem Manifest, dem Planwerk Innenstadt. Was als städtebauliche Debatte seinerzeit so daher kam, war nichts weiter als die Grundlage für eine weitere Verdichtung der Innenstadt, nachdem das Bauland am Rande Berlins erschöpft schien. Mit dem Leitbild eines restaurativen Stadtbildes der Bürgerstadt wurde gebaut und gemetert – der Osten war nicht nur im Zuge des Kalten Krieges scheinbar besiegt, sondern seine Werte ein für allemal niedergezwungen.

Ein Freiraum als hohes Gut

Das Besondere an diesem Buch ist, dass es auch den Menschen, die bisher im Umfeld des Fernsehturms eine Wüste wahrnehmen, eine Erklärung über die Hintergründe liefert. Auch Sehgewohnheiten und Alltagsrituale sind stärker von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geprägt, als die Werbung uns verheißen will. Der Freiraum rund um den Fernsehturm, wie ihn Grünzig uns aufblättert, ist mehr als eine scheinbar leere Fläche. Das ist nicht hoch genug zu würdigen, muss an dieser Stelle aber auch mit kleinen Bemerkungen erläutert werden. 

Die Planungen in der DDR sind zwar von politischen Entscheidungen geprägt worden, aber damit war die Freiheit der Architekten und Stadtplaner weit weniger beschnitten, als es heute Grundstückspreise und Auftragsvorgaben tun. Auch ist die jetzt zeitgemäße Abwägung von Bebauungsplänen immer durch den sogenannten „Ankerinvestor” wesentlich geprägt. Planungsleistungen der Kommune werden nicht selten von ihm finanziert. Ganz zu schweigen von der Interessenkollision zwischen Investor und abweichenden städtebaulichen Konzepten, wie aktuell am Alexanderplatz. 

Aber natürlich ist es ein dickes Brett, sich von der „freiheitlich“ gefühlten Kapitalplanung in einen „Städtebau für alle” vorzukämpfen. Hoffen wir für uns alle, dass der Freiraum als Zeugnis einer Geschichte, die es schon einmal gab, erhalten bleibt und damit einen Beitrag für das Vorwärtskämpfen liefern kann. Denn auch das ist die aufklärerische Leistung dieser Publikation: Es gab in der DDR auch Bürgerinitiativen. Diese kämpften um einen Spielplatz hinter der Karl-Liebknecht-Straße – und den gibt es heute noch. Viel Spaß beim Spielen und ein großes Dankeschön an Matthias Grünzig!

 

Der Fernsehturm und sein Freiraum
Geschichte und Gegenwart im Zentrum Berlins
Matthias Grünzig

Lukas Verlag Berlin, September 2022
265 Seiten, broschiert, 29,80 Euro


MieterEcho 429 / Januar 2023

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