Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 434 / Juli 2023

Der Durchschnitt regiert Berlin

 

Von Andrej Holm

Seit 2005 gibt es einen gesamtstädtischen Mietspiegel in Berlin. Auseinandersetzungen um die Erhebung der Daten und die Berechnungsmethoden gab es fast immer – einen nicht qualifizierten Mietspiegel noch nie. Ohne die Anerkennung von Mieterverbänden und den Interessenvertretungen der Vermieterseite legt die Senatsverwaltung im Alleingang eine Fortschreibung des Mietspiegels vor und treibt die Mietspiegelwerte in bisher unbekannte Höhen von durchschnittlich 7,19 Euro/qm.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Berliner Mietspiegel wird eine durchschnittliche Miete von 7 Euro/qm überschritten. Da sich sowohl die Vertretungen der Mieterorganisationen als auch der Vermieterverbände aus den Beratungen zur Fortschreibung des Mietspiegels verabschiedet hatten, musste die zuständige Senatsverwaltung im Alleingang entscheiden, wie hoch die Mietsteigerungsmöglichkeiten ausfallen. Senator Christian Gaebler gibt in der Senatsveröffentlichung zum Mietspiegel Einblick in seine Vorgehensweise: „Durch Verwendung geeigneter Indizes ergab sich eine Entwicklung von 2,7% pro Jahr – in der Summe 5,4% für zwei Jahre. Diese Entwicklung liegt im langjährigen Mittel der Mietspiegel seit 2000.“

Das „langjährige Mittel“ und der „Durchschnitt“ sind Lieblingskonzepte der sozialdemokratischen Wohnungspolitik. Schon in den 1960er Jahren ließ die SPD in den Stadterneuerungsprogrammen ganze Altbauviertel abreißen, weil die Bevölkerungsstruktur nicht dem Durchschnitt der Berliner Bevölkerung entsprach. Aktuell befürchten viele Sozialdemokraten den Verlust der sozialen Mischung und wollen verhindern, dass überdurchschnittlich viele Mieter/innen mit geringen Einkommen in bestimmte Quartiere ziehen. Und auch die Ausweitung der WBS-Grenzen für einen neugeschaffenen „dritten Förderweg“ der Berliner Wohnraumförderung mit Einstiegsmieten von 11,50 Euro/qm wird mit Verweis auf den Durchschnitt begründet, weil nun endlich auch Haushalte mit durchschnittlichen Einkommen in den Genuss der Wohnraumförderung kommen.

Der „Durchschnitt“ ist das kleine Geschwisterkind von „Mittelmaß“ und „Mittelweg“ und steht leider viel zu oft für eine Politik, die vorgibt, sich um alle zu kümmern, aber all jene übersieht, die eben keine durchschnittlichen Einkommen erzielen und deshalb auch auf unterdurchschnittliche Mietpreise angewiesen sind.

Mietspiegel mit kontinuierlichen Erhöhungen 

Ein Blick auf die Entwicklung der Mittelwerte der Berliner Mietspiegel verweist auf einen relativ kontinuierlichen Anstieg in den letzten knapp 20 Jahren. Seit 2005 sind die in den Mietspiegeln erfassten Bestandsmieten von 4,49 Euro/qm auf 7,16 Euro/qm gestiegen – das entspricht einem Anstieg um fast 60%. Auf Jahreswerte umgerechnet entspricht das den durchschnittlichen 2,7% Mietanstieg, die uns auch Gaeblers Mietspiegel aktuell verordnet.  

In wirtschaftspolitischen Debatten und auch von der Immobilienlobby wird regelmäßig auf die allgemeine Preisentwicklung und die Lohnsteigerungen der letzten Jahre verwiesen, um die Mietsteigerungen zu rechtfertigten. Aus der Vermietersicht macht das auch Sinn, denn die Zielgruppe der Berufstätigen verspricht eine stabile Mietzahlung. Doch auch Auszubildende, Arbeitslose und Rentner/innen brauchen eine Wohnung und müssen in die wohnungspolitische Gesamtrechnung aufgenommen werden. Da bei weitem nicht alle Haushalte ein Einkommen aus der Erwerbsarbeit erzielen, muss die Mietentwicklung nicht mit den Bruttolohnentwicklungen, sondern mit den verfügbaren Haushaltseinkommen verglichen werden, weil die auch Transferleistungen, Renten, Kindergeld und BAFöG-Zahlungen berücksichtigen.

Die Zahlen seit 2005 zeigen, dass die mittleren Mietspiegelmieten eine höhere Steigerungsdynamik (+59%) aufweisen als die mittleren Einkommen in Berlin (+48%). Die allgemeine Preisentwicklung lag im selben Zeitraum sogar noch deutlich unter diesen Werten (+39%).

Doch die soziale Dimension der Mietpreissteigerungen geht tiefer als der Befund, dass die Mietpreise schneller steigen als die Einkommen. Während die Vergleichsmietenlogik des bundesdeutschen Mietrechts eine tendenzielle Angleichung der Mieten an die jeweiligen Mittelwerte bewirkt, polarisieren sich die Einkommen in den letzten Jahren immer deutlicher. Sehr simpel gesprochen müssen auch Haushalte mit deutlich unterdurchschnittlichen Einkommen durchschnittliche Mieten zahlen. Wenn also die Mieten im Durchschnitt steigen, dann schwinden vor allem die Möglichkeiten für Haushalte mit weniger Einkommen, zu leistbaren Mieten zu wohnen.

Das Verschwinden der preiswerten Wohnungen

Ein Blick auf die Entwicklung der letzten 10 Jahre zeigt, wie massiv sich der Bestand an preiswerten Wohnungen in Berlin verringert hat. Der Mietspiegel von 2013 war der letzte Mietspiegel, der für einen noch entspannten Wohnungsmarkt stand. Seit 2015 reklamierten die Berliner Regierungen – völlig zu Recht – die Anwendung von mietrechtlichen und städtebaurechtlichen Sonderinstrumenten, die mit einer angespannten Wohnungsmarktlage begründet werden mussten.

Die Preisentwicklung der im Mietspiegel erfassten Wohnungen spiegelt die angespannte Marktlage deutlich wider. So gab es 2013 noch neun Mietspiegelfelder mit Mittelwerten von unter 5,00 Euro/qm. Jeweils vier davon lagen in den Baualtersgruppen von 1965 bis 1972 sowie in den Beständen, die zwischen 1973 und 1990 in Ostberlin gebaut wurden. Dazu kamen noch die Wohnungen der Baualtersgruppe 1950 bis 1964 mit Wohnungsgrößen zwischen 40 und 60 qm in einfacher Lage, im aktuellen Mietspiegel gibt es kein Mietspiegelfeld mehr mit so günstigen Mieten. Die neun Felder mit den günstigsten Wohnungen hatten im Mietspiegel 2013 einen Mittelwert von 4,65 Euro/qm. Im aktuellen Mietspiegel gehören die Wohnungen immer noch zu den günstigsten, doch die Mieten sind um fast 25% gestiegen und liegen inzwischen bei 5,78 Euro/qm. Für eine durchschnittliche Wohnung mit 67 qm entspricht das einer Mieterhöhung von etwa 75 Euro im Monat oder fast 900 Euro pro Jahr. Für Durchschnittsverdiener/innen vielleicht kein Problem. Für Mieter/innen, die schon immer jeden Cent zweimal umdrehen mussten, bevor sie ihn ausgeben konnten, ist das ein ganz erheblicher Betrag, der an anderen Stellen der Lebensführung fehlt.

Auch in der Mietpreisklasse zwischen 5,00 und 6,00 Euro/qm ist ein deutliches Abschmelzen der preiswerten Wohnungen sichtbar. Waren es 2013 noch 31 Mietspiegelfelder in fast allen Baualtersklassen, sind es 2023 nur noch zehn, die sich im Wesentlichen in den Großsiedlungen in Ostberlin und den ehemaligen Sozialwohnungen aus der Zeit zwischen 1965 und 1972 konzentrieren. Auch in diesen Beständen sind die Mieten zwischen 2013 (5,44 Euro/qm) und 2023 (6,83 Euro/qm) um etwa 25% gestiegen. Das entspricht in einer Berliner Durchschnittswohnung einer Mieterhöhung von über 90 Euro im Monat oder 1.100 Euro im Jahr. 

Deutlich verringert haben sich auch die Mietspiegelbereiche, in denen Mietpreise zwischen 6,00 und 7,00 Euro/qm ausgewiesen wurden. Das sind Mieten, die in etwa in der Höhe der Einstiegsmieten des Sozialen Wohnungsbaus (erster Förderweg) liegen. Im Mietspiegel 2013 gab es noch 27 Mietspiegelfelder auf diesem Mietniveau – im Mietspiegel 2023 sind es nur noch 19 Felder.

Wenn die Mieten im Durchschnitt steigen, verschwinden nicht nur die bisher günstigen Wohnungen, es kommen auch viele Wohnungen mit bisher nicht erreichten Miethöhen hinzu. So gab es im Jahr 2013 nur ein einziges Mietspiegelfeld mit Mittelwertmieten von über 8,00 Euro/qm (Neubau über 90 qm in guten Lagen). Der Mietspiegel 2023 weist insgesamt 35 Mietspiegelfelder mit solch hohen Mietpreisen aus. Die verteilen sich auf die Baualtersgruppen mit Fertigstellungen bis 1949, auf den ehemaligen Sozialen Wohnungsbau zwischen 1973 und 1990 in Westberlin sowie auf alle nach 1991 gebauten Wohnungen.

Der Mietspiegel 2023 steht für das Mittelmaß der Berliner Wohnungspolitik, die nicht einmal eine ordentliche Erhebung für einen qualifizierten Mietspiegel zustande bekommt. Dafür steht der „einfache“ Mietspiegel für relativ einfache Wahrheiten. Auch eine durchschnittlich moderate Mietentwicklung bedeutet vor allem eines: Das massive Abschmelzen von bisher günstigen Wohnungen und die weitere Verschärfung der sozialen Wohnungskrise.  

 

Quelle: Statistik Berlin-Brandenburg 2023: Statistischer Bericht P I 10 - j / 21
Statistisches Bundesamt 2023: Verraucherpreisindizes für Deutschland, Lange Reihen. Grafik: nmp


MieterEcho 434 / Juli 2023

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