Blindflug im sozialen Wohnungsbau
Neue Förderung für private Investoren ist wenig nachhaltig und geht zulasten der sozialen Bedarfe
Von Philipp Möller und Sebastian Gerhardt
CDU und SPD haben seit langem den Traum, private Investoren für den sozialen Wohnungsbau zu begeistern. Mit der Regierungsübernahme durch die schwarz-rote Koalition und den neuen Wohnungsbauförderungsbestimmungen (WFB 2023) wittern sie nun ihre Chance, diesen Traum Realität werden zu lassen.
Um private Bauherren für das jahrelang verschmähte Segment des geförderten Wohnungsbaus zu begeistern, wird die Wirtschaftlichkeit der Förderung enorm verbessert. Denn renditeorientierte Investoren lassen sich nur für den sozialen Wohnungsbau gewinnen, wenn die Konditionen auch tatsächlich Gewinne abwerfen. Dafür greift das Land nun tief in die Tasche.
Der Fördermittelaufwand steigt mit der WFB 2023 auf bis zu 300.000 Euro pro Wohnung und versechsfacht sich damit gegenüber 2014 nahezu. Bei Baukosten von bis zu 4.200 Euro/qm muss durch diesen immensen Fördermitteleinsatz kein zusätzliches Fremdkapital auf dem Markt beschafft werden. Lediglich das notwendige Eigenkapital von 20% müssen Investoren fortan mitbringen, dieses wird jedoch durch den üppigen Fördermittelaufwand stärker verzinst als zuvor. Die Förderung besteht je nach Förderweg aus zinslosen und niedrigverzinsten Darlehen der öffentlichen Investitionsbank IBB und einem nicht rückzahlbaren Baukostenzuschuss von bis 1.800 Euro/qm. Eine weitere Neuerung sind die dynamisierten Kostenansätze, wonach die Fördermittel nahezu automatisch mit steigenden Baukosten anwachsen. Eine parlamentarische Kontrolle über den Hauptausschuss, der zuvor neue Mittel freigeben musste, wurde ersatzlos gestrichen. Damit droht die Wohnungsbauförderung zu einem Fass ohne Boden zu werden, zumal Bauherren nicht mehr angehalten sind, möglichst kosteneffizient zu bauen.
Neuer Förderweg für Mittelstand
Neu geförderte Wohnungen werden mit den WFB 2023 während der Förderphase fast ausschließlich durch öffentliche Gelder finanziert, dennoch unterliegen die so geförderten Wohnungen nur einer befristeten Miet- und Sozialbindung von 30 Jahren. Im Anschluss bleibt laut eigenen Berechnungen eine Restschuld von etwa 40.000 Euro pro Wohnung. Um diese zu refinanzieren, müssen die Investoren Fremdkapital aufnehmen, womit Mietsprünge nach dem Auslaufen der Sozialbindung programmiert sind. Das gilt vor allem, wenn es sich bei den Bauherren um private Unternehmen handelt, um deren Gunst der Senat derzeit buhlt.
Um das Ziel von 5.000 geförderten Wohnungen zu erreichen, haben Investoren mit den WFB 2023 nun drei Förderwege zur Auswahl. Die Förderwege 1 und 2 beginnen bei Einstiegsmieten von 7 Euro/qm beziehungsweise 9,50 Euro/qm. Beide Einstiegsmieten wurden gegenüber den vorherigen WFB 2022 leicht angehoben. Der erste Förderweg richtet sich an Haushalte mit einem Einkommen bis maximal 140% der Bundeseinkommensgrenzen für einen Wohnberechtigungsschein (WBS). Für den zweiten Förderweg sind Mieter/innen mit Einkommen von 140 bis 180% der Bundeseinkommensgrenzen anspruchsberechtigt, das sind für einen Ein-Personenhaushalt zwischen 1.400 und 1.800 Euro monatliches Nettoeinkommen.
Zusätzlich wurde ein neuer, dritter Förderweg geschaffen. Dieser richtet sich an Haushalte mit mittleren Einkommen und dürfte für private Investoren und Genossenschaften besonders interessant sein, denn für diese Träger stellen die „klassischen“ Sozialmieter mit geringen Einkommen häufig keine attraktive Zielgruppe dar. Für einen Zwei-Personenhaushalt liegt die Grenze für den dritten Förderweg bei 39.600 Euro verfügbarem Nettoeinkommen im Jahr. Die Einstiegsmieten liegen bei 11,50 Euro/qm. Um den dritten Förderweg in Anspruch zu nehmen, müssen Investoren auch einen Mindestanteil von 30% Sozialwohnungen im ersten Förderweg errichten.
Mit der Schaffung des dritten Förderwegs baut der Senat die Wohnungsbauförderung unter dem Deckmantel des sozialen Wohnungsbaus zu einem Förderprogramm für deutlich breitere Schichten inklusive der Mittelschicht um. Damit verabschiedet er sich von dem ursprünglichen Ziel des Wiedereinstiegs in die Wohnungsbauförderung. Dieses bestand darin, sozialen Wohnungsbau für untere Einkommensschichten zu schaffen, um die jährlich auslaufenden Bindungen des alten sozialen Wohnungsbaus im Bestand zu kompensieren. Mit einer Einstiegsmiete von 11,50 Euro/qm dürften die Wohnungen des dritten Förderwegs für Mieter/innen in den alten Sozialwohnungsbeständen kaum leistbar sein. Schließlich sind dort lediglich Haushalte in den Einkommensgrenzen des WBS 140 für eine Sozialwohnung anspruchsberechtigt. Allein in den nächsten zwei Jahren laufen rund 14.000 Bindungen im alten sozialen Wohnungsbau aus.
Angesichts der aktuellen Entwicklung der Baupreise und der galoppierenden Zinsen, die Quadratmeterpreise von durchschnittlich 20 Euro/qm nach sich ziehen, ist es zwar durchaus sinnvoll, auch Bauprojekte für die Mittelschicht zu fördern. Jedoch entfernt sich die Wohnungsbauförderung durch die deutliche Anhebung der Einkommensgrenzen zunehmend von den dringendsten sozialen Bedarfen in der Stadt. Mit dem dritten Förderweg haben künftig 1.160.000 Haushalte und damit 58,5% aller Berliner Haushalte Anspruch auf eine geförderte Wohnung.
Die größten Wohnraumbedarfe liegen jedoch in den untersten Einkommensschichten. 93% der 54.600 WBS-Inhaber/innen haben einen WBS 100 bzw. 140 und sind damit auf eine Sozialwohnung aus dem alten sozialen Wohnungsbau oder einen Neubau aus dem 1. Förderweg angewiesen. Auch für Geflüchtete und Wohnungslose, für die die Unterbringung in Unterkünften aufgrund des akuten Mangels an bezahlbaren Wohnungen zum Dauerzustand geworden ist, bietet das neue Segment kein adäquates Angebot. Gleiches gilt für Menschen im Transferleistungsbezug.
Alternative kommunal bauen
Für die Bewilligung von bis zu 5.000 Sozialwohnungen pro Jahr will der Senat laut eigenen Angaben jährlich 1,5 Milliarden Euro bereitstellen. Doch erst in den Haushaltsverhandlungen nach der Sommerpause wird sich zeigen, wie ernst es der Senat tatsächlich mit seinen Neubauzielen wirklich meint. Zudem ist es vollkommen offen, ob es wirklich gelingt, private Investoren in den sozialen Wohnungsbau zu locken. Bereits die deutlich aufgestockten Mittel der alten Wohnungsbauförderrichtlinie (WFB 2022) wurden von Privaten weitgehend verschmäht. 89,5% der neuen Förderbewilligungen gingen auf das Konto der landeseigenen Wohnungsunternehmen.
Diese Tendenz reiht sich in die gesamte Entwicklung seit der Wiederaufnahme der Wohnungsbauförderung im Jahr 2014 ein. Ohnehin ist der geförderte Wohnungsbau durch öffentliche Wohnungsunternehmen deutlich nachhaltiger. Mietsprünge nach dem Auslaufen der Förderung können je nach Vorgaben des Gesellschafters abgedämpft werden oder gänzlich ausbleiben. Der Staat baut durch den kommunalen Wohnungsbau ein öffentliches Vermögen auf und kann den Wohnungsbestand durch entsprechende Vorgaben dauerhaft den sozialen Bedarfen entsprechend bewirtschaften.
Mit der Hoffnung auf den Einstieg privater Investoren bewegt sich Berlin auf einen Blindflug im sozialen Wohnungsbau zu. In der Vergangenheit lag das geringe Interesse von Privaten an der Wohnungsbauförderung in der jahrelangen Niedrigzinsphase begründet, die es schlicht kaum attraktiv machte, sozialen Wohnungsbau mit niedrigverzinsten Darlehen zu betreiben. Billige Kredite konnten stattdessen auch auf dem privaten Kapitalmarkt aufgenommen werden. Dies hat sich durch den Anstieg der Bauzinsen innerhalb des letzten Jahres auf aktuell etwa 4% verändert. Förderungen könnten angesichts der massiv gestiegenen Baukosten und hohen Zinsen von Marktkrediten an Attraktivität gewinnen. Zumal die Nachfrage nach den mietpreisvergünstigten Sozialwohnungen im Gegensatz zu freifinanzierten Neubauwohnungen, für die mittlerweile mit 20 Euro/qm kalkuliert wird, gesichert ist. Ob Private nun aber tatsächlich in den sozialen Wohnungsbau einsteigen, ist unsicher. Die stark einbrechenden Bautätigkeiten und Investitionen von privaten Projektentwicklern und großen Bestandshaltern erzählen eine andere Geschichte. Selbst im Falle eines vermehrten Zugriffs auf die Förderung durch Private würden mit viel öffentlichen Mitteln lediglich befristete Bindungen geschaffen und das Geld in private Taschen fließen, statt den öffentlichen Wohnungsbestand durch eine direkte Finanzierung des kommunalen Wohnungsbaus auszubauen.
Berechnungen zu dem Fördersystem unter: https://planwirtschaft.works
MieterEcho 435 / August 2023