Logo Berliner Mietergemeinschaft e.V.
MieterEcho 428 / November 2022

Wohnungspolitik in der Sackgasse

Das „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ der Bundesregierung will mit falschen Instrumenten unrealistische Ziele erreichen

Von Andrej Holm

Mitte Oktober veröffentlichte das neugegründete Bundesministerium für Bauen, Wohnen und Stadtentwicklung das Abschlussdokument von Diskussionsrunden zwischen Politik, Wirtschaft und Verbänden, die auf Einladung der Ministerin Klara Geywitz (SPD) zu einem „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ zusammengeführt wurden. Das Ergebnispapier dokumentiert die Ratlosigkeit der Politik in der Wohnungsfrage.

Für einige galt es als Zeichen der Hoffnung, dass Fragen des Bauens und Wohnens nicht mehr als Teilaufgabe der Innenpolitik angesehen wurden, sondern in einem eigenständigen Ministerium bearbeitet werden sollten. Eine knappes Jahr nach dem Start des neuen Ministeriums gibt das Bündnis-Dokument einen ersten Einblick in die Arbeitsweise und Ausrichtung des neuen Bundesministeriums.

Im Vergleich zum Vorgänger-Bündnis („Wohnraumoffensive – bezahlbares Bauen und Wohnen“ seit 2014), das fast ausschließlich aus Diskussionen mit den Verbänden der Bau- und Wohnungswirtschaft bestand, wurden an dem aktuellen Bündnis auch einige zivilgesellschaftliche Akteure beteiligt. Neben dem Mieterbund und verschiedenen Gewerkschaften nahmen auch Wohlfahrtsverbände, Akteure aus dem Bereich des genossenschaftlichen und gemeinschaftlichen Bauens, der Kirchen sowie der Deutsche Naturschutzring an den Beratungen teil.

Diese veränderte Zusammensetzung hat jedoch nur einen geringen Einfluss auf die verabschiedete Agenda des Bündnisses: Bezahlbarer Wohnraum soll auch weiterhin vorrangig über den Neubau von Wohnungen erreicht werden. Schon in der Einleitung wird an die Ziele des Koalitionsvertrages erinnert, 400.000 Wohnungen pro Jahr fertigzustellen. Etwa 100.000 davon sollen als öffentlich geförderte Wohnungen erstellt werden. Ziel sei es, den Bedarf an „bezahlbarem, bedarfsgerechtem und klimafreundlichem Wohnraum“ zu decken. Wie schon im Koalitionsvertrag der Bundesampel fehlen auch beim Wohnraumbündnis eine klare Definition der Ziele und eine fundierte Herleitung oder Begründung der Zielzahlen. So bleibt weitgehend unklar, welche Wohnungen für wen als „bezahlbar“, „bedarfsgerecht“ oder „klimafreundlich“ gelten. 

Kaum realisierbare Neubauziele

Mit der Ankündigung, künftig auch verstärkt Eigentumswohnungen zu fördern, ist zudem offen, ob die angekündigte Zahl der 100.000 geförderten Wohnungen sich auf Sozialmietwohnungen oder auf alle geförderten Wohnungen bezieht. Ungeklärt ist auch, ob die im Koalitionsvertrag und im Bündnis ausgegebenen Ziele überhaupt geeignet sind, die Lage der sozialen Wohnversorgung zu verbessern. Auswertungen der Mikrozensusdaten haben für 2018 allein in den Großstädten ein soziales Versorgungsdefizit für 4,4 Millionen Haushalte ergeben, die in zu kleinen oder zu teuren Wohnungen lebten. Wenn diese Versorgungslücken durch die Programme des geförderten Wohnungsbaus geschlossen werden sollen, würde es über 40 Jahre dauern, um mit dem jetzt vorgegebenen Tempo alle Haushalte mit bezahlbaren Wohnungen zu versorgen. 

Verglichen mit den Förderaktivitäten der letzten Jahre jedoch würden 100.000 Förderwohnungen pro Jahr eine Vervierfachung der bisherigen Förderzahlen bedeuten. Ein Blick auf den zeitlichen Verlauf zeigt, dass seit 2018 die Förderzahlen sogar leicht rückläufig sind – so dass völlig unklar ist, wie ohne eine strukturelle Veränderung eine höhere Anzahl an bezahlbaren Wohnungen errichtet werden könnte.

In den vergangenen 5 Jahren stellte der Bund zwischen 1 und 1,5 Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung. Bis 2026 sollen die Fördermittel auf insgesamt 14,5 Milliarden aufgestockt werden, das entspricht knapp 3 Milliarden pro Jahr und liegt damit gut doppelt so hoch wie das bisherige Fördervolumen. Aber angesichts der zu erwartenden Preissteigerungen beim Wohnungsbau ist die Erwartung, mit einem doppelten Budget die vierfache Menge an geförderten Wohnungen zu erstellen, völlig abwegig. 

Die aktuellen Refinanzierungskosten für Neubauwohnungen in Berlin liegen inzwischen nach Einschätzungen des BBU zwischen 18 und 20 Euro/qm. Unter diesen Voraussetzungen ist absehbar, dass weder mit privaten Bauvorhaben noch durch die klassischen Förderprogramme eine dauerhaft leistbare Miete erreicht werden kann. Selbst die von der Immobilienlobby immer wieder vorgeschlagenen Konzepte einer Querfinanzierung – also extrem hohe Mieten in einzelnen Segmenten, um günstige Mieten in anderen Bereichen zu ermöglichen – dürften angesichts der aktuellen Finanzierungskosten nicht mehr aufgehen. Die Erstellung von leistbaren Wohnungen müsste also auf eine Finanzierung setzen, die auf eine von Kostenmieten und Marktpreisen unabhängige Bewirtschaftung zielt. So wie in anderen Bereichen der sozialen Infrastrukturen müssten auch Wohnungen im Rahmen von öffentlichen Investitionsprogrammen errichtet werden, wenn das politische Versprechen nach bezahlbaren und angemessenen Wohnungen eingelöst werden soll.

Doch statt auf die Entwicklung eines öffentlichen Investitionsprogramms für Wohnen als soziale Infrastruktur setzt die Bundesregierung auf ein Bündnis mit der Bau- und Wohnungswirtschaft und verhandelt mit ihnen über „Maßnahmen für eine Bau-, Investitions- und Innovationsoffensive“. Investitionen werden dabei gerade nicht als öffentliche Bauprojekte verstanden, sondern als private Investitionen, für die die Rahmenbedingungen optimiert werden sollen. So verpflichtet sich der Bund unter anderem, den Abschreibungssatz für neue Wohngebäude von 2 auf 3% anzuheben. Bauen soll sich wieder lohnen. Insgesamt werden im ersten Bericht des Bündnisses 183 Maßnahmen benannt, die von den Beteiligten umgesetzt oder zumindest weiter geprüft werden sollen. Wenig überraschend stehen Beschleunigungsinstrumente für die Planung, die Genehmigungsverfahren und die Bauausführung im Zentrum des Maßnahmenkatalogs.

Die Struktur des vom Bündnis beschlossenen Katalogs gibt einen tiefen Einblick in die grundsätzlichen Strukturen solcher Kooperationen zwischen der öffentlichen Hand, der Privatwirtschaft und Institutionen der Zivilgesellschaft. Bei 176 der 183 Maßnahmen werden Aktivitäten von Bund, Ländern oder Kommunen erwartet. Eine aktive Mitwirkung der anderen am Bündnis beteiligten Interessengruppen ist lediglich bei 30 Maßnahmen vorgesehen. 

Bündnis-Prozess als Politikersatz

Nur 7 Maßnahmen sind als sogenannte „Eigenbeiträge“ der Bündnisbeteiligten gekennzeichnet. Darunter „die Beratung der Städte und Gemeinden zu zentralen planungsrechtlichen Instrumenten“ durch die kommunalen Spitzenverbände oder der „Neubau von weiteren Wohnheimplätzen“ und die „energetische Sanierung von Wohnheimplätzen im Bestand“ durch das Deutsche Studentenwerk. Wobei der Neubau und die Sanierung von Wohnheimplätzen nur vorbehaltlich einer Förderung im Sozialen Wohnungsbau zugesagt werden. Von den gemeinnützigen Stiftungen wird die „Vereinbarung gestaffelter Erbbauzinsen zur Entlastung bzw. Ermöglichung von Projekten für das bezahlbare Wohnen“ als Eigenbeitrag versprochen. Im Kern bestehen die „Eigenbeiträge“ also in Aktivitäten, die von kommunalen Spitzenverbänden, dem Studentenwerk oder gemeinnützigen Stiftungen sowieso erwartet werden. Warum es dafür einen mehrmonatigen Bündnis-Prozess brauchte, erschließt sich nicht. 

Für die insgesamt 13 Verbände der Wohnungs- und Bauwirtschaft werden im gesamten Dokument nur drei explizite Aufgaben formuliert: eine Selbstverpflichtung zur „Ausweitung des Engagements bei der Berufsorientierung und Ausbildung“, eine „Intensivierung der Aus- und Weiterbildungs- sowie Qualifizierungstätigkeit durch die Neuausrichtung der Berufsbilder auf die Herausforderungen der Digitalisierung und des Klimawandels“ und  die Beteiligung des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW an der Ausschreibung und dem Abschluss einer Nachfolgevereinbarung zum Rahmenvertrag „Serielles und modulares Bauen“.  Auch dafür hätte es keine Bündnistreffen geben müssen.

Ein Zusammenkommen mit privatwirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Interessengruppen, die sich verpflichten, Dinge zu tun, die sie auch ohne Beratung mit staatlichen Institutionen umsetzen würden, ist kein Bündnis, sondern ein Politikersatz. Der Staat wird in solchen Bündnissen zum Instrument privater Interessen. Die aktuellen Herausforderungen bräuchten exakt den umgekehrten Weg: Eine klare politische Zielformulierung des öffentlichen Interesses, die Erarbeitung von möglichen Strategien und Instrumenten und dann erst der Aufbau von geeigneten Trägerstrukturen zur Umsetzung.        


MieterEcho 428 / November 2022