Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 425 / Juli 2022

Vom Reuterkiez an die Sonnenallee

Nachbarschaftliche Stadtteilarbeit von unten in Nordneukölln

Interview mit einem Aktiven der Allee 154

MieterEcho: Wie habt ihr den Verlust des Nachbarschaftsladens Friedel54 verkraftet und wie war der Weg zur Allee 154?

Allee 154: Die Kündigung war 2015, die Räumung 2017. Auf den Tag genau drei Jahre nach der Räumung wurde der neue Mietvertrag unterzeichnet. Der jetzige Laden ist jedoch nicht die neue Friedel. Es gibt eine Kontinuität von bestimmten Menschen, doch hier sind viel mehr Gruppen beteiligt. Zudem ist das Haus ein Vorkaufshaus mit einer aktiven Hausgemeinschaft: Sie sollten von Akelius gekauft werden und so kam die Akelius-Mieter/innen-Vernetzung auf uns zu und stellte den Kontakt her.

Woher kommen die Aktiven der Allee 154?

Der Laden ist von Neuköllner/innen getragen. Die Friedel war sehr subkulturell geprägt, das Konzept ist verändert. Die Allee 154 ist viel heller, einladender, barriereärmer, kinderfreundlicher. Anfangs gab es intensive Diskussionen zum Thema Alkohol. Die sind nicht konfliktfrei abgelaufen, doch letzten Endes schenken wir keinen Alkohol aus – das macht einen deutlichen Unterschied. Es ist ein linker Laden – das soll er auch sein – und wird von der Nachbarschaft angenommen. 

In welcher Weise ist der Laden organisiert?

Die Gruppen, die den Laden nutzen, verwalten diesen durch ein Plenum und direkte Absprachen. Es gibt keine zentrale Gruppe, die Pläne entwirft. Wenn Gruppen noch einen Raum suchen, können sie gerne vor Ort nachfragen oder uns anschreiben.

So wächst ein breites Angebot aus KüfA – Essen gegen Spende –, Infoveranstaltungen, Geschwisterbibliothek, Siebdruckwerkstatt, einer wöchentlichen Keramik-AG und vielem mehr. Es gibt eine Sozial- und eine anwaltliche Strafrechtsberatung, sowie zweimal im Monat eine nicht-anwaltliche Mieterberatung. Für das Offizielle gibt es einen Verein, der den Mietvertrag unterzeichnen konnte und Spenden annimmt.    

Hat die Allee 154 ein größeres Einzugsgebiet, ist sie also ein Stadtteil- oder eher ein Nachbarschaftsladen, zum Beispiel auch für Kinder vor Ort?

Das Einzugsgebiet ist schwer einzuschätzen, aber Kinder kommen immer mehr. Die Sonnenallee hat wenige öffentliche, unkommerzielle Räume – das merkt man schon. Manche Personen kümmern sich sehr um die Kinder und sind kontinuierlich da. Durch diese persönlichen Beziehungen entsteht die Bindung an den Laden. Es ergeben sich oft schöne Abende, manche kommen zum Essen und Quatschen, andere zu den politischen Veranstaltungen. Dazwischen rennen die Kinder herum, mittlerweile kommen auch ab und an deren Mütter. Gerade wenn Ferien sind, die Eltern jedoch arbeiten müssen – dann ist hier viel Betrieb.

Habt ihr Förderungen, zum Beispiel vom Bezirk?

Nein, wir wollen nicht von staatlichen Strukturen abhängig sein. Wir finanzieren uns über Förderbeiträge unserer Mitglieder und über Spenden – die jederzeit herzlich willkommen sind.  

Wie würdest du die Entwicklung in Nordneukölln und um die Sonnenallee einschätzen? Merkt ihr, dass Verdrängung weiter geht?

Ich bin kein Soziologe, aber wer merkt das nicht? Wir kommen ursprünglich aus dem Reuterkiez, dort herrscht ein hoher Aufwertungsdruck. Das Gewerbe wird hochpreisiger. In die Friedel54 kam nach uns eine Goldschmiede. Es gibt eine große Fluktuation an Menschen, was es schwer macht, nachbarschaftliche Strukturen aufzubauen oder aufrecht zu erhalten. Auf den Straßen sind wenig ältere, dafür immer mehr junge, hippe Menschen, die alle möglichen europäischen Sprachen sprechen – was nicht heißt, dass alle davon wohlhabend sind.

An der Sonnenallee haben sich gefühlt mehr Alteingesessene gehalten. Die große palästinensische und libanesische Präsenz wurde nach 2015 durch syrische Geschäfte ergänzt und bleibt trotz rassistischer Razzien stabil. Es wird zwar auch wohlhabender und etablierter, die Läden werden schöner, aber es bleibt einfach ein deutschlandweites Zentrum dieser Diaspora: Es wäre schön, wenn unsere sozialen Kämpfe gegen Rassismus, Armut, Kriege und Verdrängung in Zukunft mehr zusammen finden. Vielleicht kann der Laden dafür ein Ort werden.

Vielen Dank.

Das Interview führte Matthias Coers.

 

Weitere Infos und Termine: kiezladen.org


MieterEcho 425 / Juli 2022

Teaserspalte

Berliner MieterGemeinschaft e.V.
Möckernstraße 92
10963 Berlin

Tel.: 030 - 21 00 25 84
Fax: 030 - 216 85 15

Email: me(at)bmgev.de

Ferienwohnungen

Unsere Umfrage

Falls sich eine oder mehrere Ferienwohnung(en) in Ihrem Haus befinden, berichten Sie uns davon und schildern Sie Ihre Erfahrungen in unserer Online-Umfrage.