Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 425 / Juli 2022

Städtische Ungleichheit, Verdrängung und Rassismus

Die Verknüpfung von rassistischen Zuschreibungen und Gentrifizierung in der Bezirkspolitik

Von Niloufar Tajeri

Wer in Neukölln wohnt, aufmerksam, kritisch und engagiert ist, weiß, dass städtische Ungleichheit entlang ethnischen, rassifizierten Merkmalen strukturiert ist. Die Wirkung ist an Klingelschildern abzulesen, an den Bio-Company-Filialen, die in den letzten Jahren auftauchten, auf den Straßen und Plätzen zu sehen. Neukölln wird nicht nur immer teurer sondern auch immer weißer und bürgerlicher. Und auch wer die Geschichte von Neukölln kennt, weiß das. In den 1970er Jahren, als die „Zuzugssperre“ in Kreuzberg eingeführt wurde, die es Menschen mit türkischem Pass verbot, in Kreuzberg zu wohnen, mussten sich diese Menschen im naheliegenden Bezirk Neukölln ansiedeln. Es besteht offensichtlich ein Zusammenhang zwischen Gentrifizierung und Verdrängung, Rassifizierung und Ethnizität.   

Die zivilgesellschaftliche Kritik an der Aufwertung der Karl-Marx-Straße bzw. der Ausweisung des Sanierungsgebiets Karl-Marx-Straße/Sonnenallee sowie die geplante Umgestaltung des Hermannplatzes samt Neubau setzt auch hier an: an der Verschränkung zwischen politisch konstruierter Gentrifizierung und Rassismus. Das Projekt des Karstadt-Neubaus am Hermannplatz macht auf eine sehr anschauliche Art sichtbar, wessen kulturelle Identität und Geschichte in Neukölln wiederhergestellt werden soll und wessen weggedrängt werden soll. Das geplante Gebäude imitiert den Art-Déco Bau von 1929 und ist Aufwertungs- und zugleich Verdrängungsfaktor: knapp 45.000 qm Büroflächen sollen dort entstehen, und wie wir von Großprojekten dieser Art wissen, wird es die Bodenpreise im gesamten Bezirk weiter nach oben drängen. Warum die Berliner SPD gemeinsam mit den Grünen und den Linken trotz massiver zivilgesellschaftlicher Kritik dennoch eine Absichtserklärung mit dem Eigentümer, der österreichischen Signa Holding, unterschrieben hat und nun einen Bebauungsplan umsetzt, das lässt sich nicht nur mit dem Handeln der Berliner Regierung als ideeller Gesamtkapitalist erklären – hinzu kommt ein struktureller und diskursiver Rassismus, was im Folgenden ausgeführt wird. 

„Urbane Panik“ vor vermeintlichen Ghettos

Besonders die Sozialwissenschaftlerin Defne Kadioğlu Polat zeigt auf, dass Gentrifizierung in Neukölln nur dann hinreichend verstanden werden kann, wenn wir Migrations- und Rassismusforschung hinzuziehen. Als „urbane Panik“ bezeichnet der Migrationsforscher Vassilis Tsianos die Konstruktion von Stadtteilen als bedrohliche Orte – als Schreckgespenster des vermeintlich homogenen, kriminellen „Ghettos“, die nach einem Durchgreifen auf unterschiedlichen Ebenen verlangen, unter anderem auf städtebaulicher und planerischer, um entsprechend „aufzuräumen“ und zu „durchmischen“. Neben polizeilichen Maßnahmen als Reaktion auf „urbane Paniken“ dienen Mittel und Funktionen der Stadterneuerung und der Städtebauförderung dazu, die Stadtviertel neu zu strukturieren. Dabei funktioniert die diskursive Abwertung des Stadtviertels und seiner Bewohner/innen – beispielsweise als „kriminell“, „integrationsunfähig“, „bildungsfern“ etc. – als Legitimation für Gentrifizierung. Das Paradigma der „sozialen Durchmischung“ bietet zudem ein willkommenes Instrument, um Gentrifizierung auf eine gezielte Art und Weise voranzutreiben, denn es besagt, dass es eine räumliche Ausgewogenheit sozialer Klassen geben sollte. In traditionell armen Bezirken bedeutet das, dass Besserverdienende angezogen werden sollen – die Verdrängung armer und marginalisierter ist somit Voraussetzung. 

Die Ermöglichung von Gentrifizierung auf einer kommunalen, stadtplanerischen Ebene und die gleichzeitige Legitimation dieser anhand rassistischer Diskurse ist in Neukölln eng verbunden mit der Amtszeit des von 2001 bis 2015 amtierenden Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowskys von der SPD. Seine mediale Stereotypisierung von migrantisch und muslimisch gelesenen Neuköllner/innen durch rassistische Zuschreibungen ist eng verschränkt mit seiner expliziten Befürwortung von Gentrifizierung.

Defne Kadioğlu hat Neukölln unter der Fragestellung untersucht, welche Rolle rassifizierende, stigmatisierende Diskurse in staatlich organisierter Gentrifizierung spielen. Sie stellte fest, dass Stigma und die negative Debatte als „Problemviertel“ nicht nur territorial und generell an Neukölln hängen – das Stigma bleibt an manchen Körpern anders haften als an anderen, auch wenn sie am gleichen Ort leben. Migrantisch und muslimisch gelesene Menschen sind aus diesem Grund mehr als andere von Verdrängung und Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt betroffen. Das Stigma gilt Personen, denen eine spezifische Klassenzugehörigkeit in Verschränkung zu ethnischer Zugehörigkeit zugeschrieben wird und damit auch: vermeintliche Verhaltensweisen.

Gezielte Verdrängung ärmerer Menschen

Buschkowskys Haltung pro Gentrifizierung ist sicherlich im Zusammenhang mit der Verzögerung der Ausweisung von Milieuschutzgebieten in Neukölln seitens seiner Verwaltung zu sehen. Denn während die Mieten immer weiter anstiegen und in Friedrichshain-Kreuzberg ganze acht „städtebauliche Erhaltungsgebiete“ ausgewiesen wurden, sah Buschkowsky für Neukölln keinen Bedarf, wie die Taz 2013 berichtete. 2010 gab es die ersten Forderungen in Neukölln, Milieuschutzgebiete auszuweisen – es dauerte ganze sechs Jahre, bis in Nordneukölln zwei ausgewiesen wurden.

 Die Verzögerung der Umsetzung von Instrumenten zum Mieterschutz einerseits und die ausdrückliche Befürwortung von Gentrifizierung von spezifischen Personenkreisen andererseits kann als „sozialräumlicher Rassismus“ betrachtet werden, wie der Stadtsoziologe Çağan Varol bezogen auf die Keupstraße in Köln darlegt. Abgesehen davon, dass Heinz Buschkowsky Autor eines rassistischen, klassistischen Buchs über Neukölln ist, müssen wir uns vergegenwärtigen, dass er als regierender Bezirksbürgermeister gezielt „soziale Durchmischung“ vorantrieb: also das bundesweit durchaus gängige Vorgehen in vermeintlich homogenen „Problemvierteln“ gezielt besserverdienende Bewohner/innen anzusiedeln und ärmere Menschen zu verdrängen. In Neukölln ging und geht dies mit einer Ethnisierung und Kriminalisierung der ärmeren Bewohnerschaft einher und stellt daher nicht nur ein klassistisches Verständnis von Stadtentwicklung dar, sondern auch ein rassistisches. 

In Neukölln wird eine Form des Regierens sichtbar, die stadträumliche Ungleichheit institutionalisiert: Einige dürfen zentral wohnen und arbeiten, andere nicht. Manche haben kürzere Wege zur Arbeit, andere nicht, manche Zugang zu Schulen, Ämtern, sozialer und kultureller Infrastruktur, andere nicht. Diese Fragen können „leichter“ beantwortet werden, wenn es ein passendes Feindbild, ein Schreckensbild von Nachbar/innen gibt, die sich keine/r wünscht – das ist der Rassismus, mit dem städtische Ungleichheit gerechtfertigt wird. Die Rolle von Rassismus im Bezug auf Gentrifizierung ist, die sozialen Konsequenzen wie räumliche Verdrängung, ökonomische Ungleichheit sowie Ausgrenzung aus demokratischen Prozessen, inklusive der Stadtplanung und Beteiligungsprozessen, zu rechtfertigen oder gar als selbstverschuldet erscheinen zu lassen. Genau das leisten rassistische Diskurse in Verschränkung zu Stadterneuerungsmaßnahmen und Aufwertungsprojekten wie dem am Hermannplatz.

 

Niloufar Tajeri ist Architektin, Architekturtheoretikerin und Aktivistin und lebt in Berlin. Sie lehrt und forscht zu den Themen Postwachstum, urbane Aufstände und zu strukturellem Rassismus in der Architektur- und Planungspraxis.

Zum Weiterlesen:
Tsianos, Vassilis S. „Urbane Paniken. Zur Entstehung des antimuslimischen Urbanismus“. In Wer MACHT Demo_kratie? Kritische Beiträge zu Migration und Machtverhältnissen, herausgegeben von Duygu Gürsel und Zülfukar Çetin, 22–42. Kritik_Praxis 1. Münster: Edition Assemblage, 2013
Eksner, H. Julia. „Revisiting the ‘Ghetto’ in the New Berlin Republic: Immigrant Youths, Territorial Stigmatisation and the Devaluation of Local Educational Capital, 1999-2010: REVISITING THE ‘GHETTO’“. Social Anthropology 21, Nr. 3 (August 2013): 336–55. doi.org/10.1111/1469-8676.12032.
Kadıoğlu, Defne. „Producing Gentrifiable Neighborhoods: Race, Stigma and Struggle in Berlin-Neukölln“. Housing Studies, 23. Februar 2022, 1–23. doi.org/10.1080/02673037.2022.2042494


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