Siedlungsdruck oder Siedlungsschmerz in Wandlitz?
Das Wachstum stellt die Gemeinde vor zahlreiche Infrastrukturprobleme
Von Kerstin Berbig
Wandlitz ist seit ein paar Jahren ein beliebter Wohnort für „Großstädter/innen“ geworden. Es gibt/gab viel Grün, wir haben beliebte Badeseen und die Infrastruktur ist beim ersten Draufschauen auch vorhanden. Es scheint, man könnte in kürzester Zeit in Berlin sein und auch ein Flughafen ist über den vorhandenen Autobahnanschluss gut erreichbar.
Soweit so gut. Ich kann verstehen, warum man der Großstadt entfliehen möchte, auch ich arbeite in Berlin. Aber können wir als Umlandgemeinde das stemmen? Ich denke, wir haben unsere Belastungsgrenze erreicht, und so denken viele Einwohner/innen der Gemeinde, allen voran die der beiden großen Ortsteile Basdorf und Wandlitz. Wir müssen eingestehen, dass die Beteiligung, auch von Einwohner/innen der Gemeinde, die direkt oder indirekt von Bauvorhaben betroffen sind, nicht in ausreichendem Maße erfolgt ist. Viele fühlen sich übergangen, sehen eine starke Belastung unserer Natur und ein Schwinden der Vielfalt unserer Flora und Fauna. Schutzgebiete werden mit „kleinen Tricks“ umgewandelt oder sind plötzlich nicht mehr in erhaltenswertem Zustand. Sind sie erst einmal verschwunden, kann fleißig gebaut werden.
Eine nicht repräsentative Umfrage unter Wandlitzer Einwohner/innen, durchgeführt durch unsere Fraktionsgemeinschaft Die Linke/B90/Grüne/UWG ergab, dass die Befragten nicht pauschal gegen den Wohnungsbau sind. Sie sehen, dass bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden muss. Aber bevor weitere Bauvorhaben angeschoben werden, sollte unbedingt in die Infrastruktur investiert werden, so die Mehrheit der Befragten. Dazu ist vor allem der Ausbau des ÖPNV notwendig, denn die Autokolonnen, die sich in den Morgen- und Abendstunden durch die Orte entlang der L 100/ B109 quälen, belasten nicht nur Arbeitnehmer/innen. Viele Einwohner/innen sind einfach nur noch genervt, wenn Straßen nicht sicher überquert werden können, da häufig riskant überholt und gerast wird.
Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV): Die Anbindung an Berlin erfolgt von Basdorf aus im 30-Minuten-Takt auf der Schiene durch die Niederbarnimer Eisenbahn. Bis Wandlitzsee bzw. Klosterfelde kommt man noch im Stundentakt. Den Ortsteil Zerpenschleuse erreicht man dann nur noch alle zwei Stunden. Der ÖPNV hat sich nicht wesentlich weiter entwickelt. Es gibt für den Ortsteil Wandlitz eine Plusbuslinie, die in kurzen Abständen zwischen Bernau und Wandlitz verkehrt. In den kleineren Ortsteilen wie Prenden und Stolzenhagen ist es der Schülerverkehr, der morgens und am Nachmittag regelmäßig zumindestens in der Schulzeit verkehrt. In den Ferien kann man froh sein, wenn zweimal am Tag ein Bus fährt. Änderungen oder Anpassungen gerade für diesen Bereich sind vorgesehen, scheitern aber immer wieder an Bürokratie und Planungsdauer.
Wohnraum: Es ist unübersehbar, dass es immer schwieriger wird, bezahlbare Wohnungen zu finden. Ein Blick in die Immobilienportale im Internet genügt. Mieten ab 14 Euro/qm Nettokaltmiete sind mittlerweile keine Seltenheit und für so manch eine/n Wandlitzer/in nicht mehr bezahlbar. Es fehlt an barrierefreien Wohnungen und auch unsere Infrastruktur hält leider einige Barrieren für Menschen mit Handicap bereit, seien es fehlende Absenkungen an Überwegen, nicht vorhandene Akustikampeln für Menschen mit Sehbehinderung oder aber fehlende Rampen.
Natur: Die voranschreitende Bebauung verringert den Grünanteil in der Gemeinde. Es gibt massive Fällungen von Bäumen, Aufforstungen werden zwar vereinbart, finden aber fast nie in der Gemeinde statt, da es nicht genug Ausgleichsflächen gibt. Innerhalb der letzten 10 Jahre sind nach Auskunft der Forstverwaltung innerorts (!) mehr als 12 Hektar bewaldete Flächen verschwunden. Es entstehen oftmals große Wohnkomplexe, einhergehend mit einer starken Versiegelung von Flächen. Dies alles führt dazu, dass das Regenwasser bei Starkregen nicht versickern kann. Stattdessen landet es dann in den Kellern oder auf dem versiegelten Grundstück selbst. Investoren treiben die beschriebene „Rodungspolitik“ voran. Das stellt die Gemeindevertreter/innen vor die Frage, ob die Natur weiter in diesem Maß zerstört werden darf oder hier Einhalt geboten werden muss.
Soziales: Der dörfliche Charakter, der vielen Einwohner/innen wichtig ist, wo jeder jeden kennt, wo man sich hilft und auch mal ein Gespräch über den Gartenzaun führt, geht immer mehr verloren. In manchen der entstehenden Wohnkomplexe,scheint der Einzug von Familien mit Kindern nicht gewünscht, wie in Wandlitz oder in Basdorf, wo der Investor nicht einmal einen Spielplatz mitplant.
Das Freizeitangebot für Kinder und Jugendliche beschränkt sich auf Sportvereine. Diese sind aber auch aufgrund der Platzkapazitäten an ihren Leistungsgrenzen. Kinder- und Jugendtreffs sind in der Gemeinde Mangelware und es fehlt an Streetworkern, die den Jugendlichen helfen, ihre Kreativität bei einer sinnvollen Beschäftigung auszuleben. Das beste (schlimmste) Beispiel dafür ist der Jugendclub Wandlitz. Dieser wird seit 30 Jahren an ständig wechselnden Orten im Ortsteil Wandlitz immer wieder neu geplant. Der Jugendclub in Basdorf ist zu klein, eine Änderung nicht vorgesehen und in Klosterfelde können sich die Jugendlichen an ein paar Tagen in der Woche in der Freiwilligen Feuerwehr treffen. Aber sie haben keine Räume, die sie selbst gestalten können bzw. die den Bedürfnissen von Jugendlichen gerecht werden.
Kitas und Schulen: Kitaplätze sind Mangelware und auch wenn neue Kitas gebaut werden, reichen die Plätze bei weitem nicht aus. Unsere Grundschulen platzen aus allen Nähten. Einige unserer gemeindlichen Kitas und die Schulhorte werden seit Jahren mit Ausnahmeregelungen betrieben und ein Ende ist nicht absehbar. Noch schwieriger ist der Besuch einer weiterführenden Schule. Es gibt ein Gymnasium in Wandlitz, aber nicht jedes Kind kann oder möchte dorthin wechseln. Die Oberschule in Klosterfelde muss dringend erweitert werden, da diese sich die Gebäude mit der Grundschule teilt. Das Bestreben einiger Gemeindevertreter/innen nach einer Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe wird bisher durch den Landkreis abgelehnt, obwohl die Schülerzahlen eine solche Schule hergeben. Viele Eltern entscheiden daher für den Schulbesuch ihrer Kinder im benachbarten Landkreis Oberhavel. Dort gibt es eine Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe. Da es dorthin keine reguläre Busverbindung gibt, bedeutet das aber auch für Eltern und Kinder täglich eine große logistische Herausforderung.
Versorgungssicherheit mit Trinkwasser: Der Niederbarnimer Wasser- und Abwasserzweckverband NWA hat zugesagt, dass es keine Einschränkungen bei der Trinkwasserversorgung durch neue Wohnungen geben wird. Aber in den zurückliegenden Jahren hat sich gezeigt, dass das so nicht stimmt. Ein Sprengverbot für Gärten, das bisher von Mai bis August galt, soll jetzt für das ganze Jahr gelten. Es gibt Probleme mit den Trinkwasserleitungen. Im letzten Jahr kam schwarzes Wasser aus den Leitungen, was dazu führte, dass diese in einem sehr engen Rhythmus gespült werden mussten. Durch den erhöhten Druck bei höherem Verbrauch hatten sich Ablagerungen aus den Leitungen gelöst. Etliche Einwohner/innen konnten über Wochen das Wasser aus den Trinkwasserleitungen weder zum Kochen noch zum Trinken nutzen.
Achsenentwicklung: Wandlitz liegt auf einer der Entwicklungsachsen, die die Stadt Berlin und die hauptstadtnahen Regionen verbinden soll. Durch die Gemeinsame Landesplanung (vgl. S. 5 in diesem Heft) wurde die Entwicklung eines Achsenkonzepts angeregt. Die Gemeindevertretung musste aber erst einfordern, Planung und Bauvorhaben mitentwickeln und bestimmen zu können. Wir mussten in der letzten Zeit feststellen, dass oftmals Entscheidungen für oder gegen eine Wohnbebauung nicht mit dem Leitbild, das wir uns als Gemeinde gegeben haben, in Einklang gebracht werden konnten. Das Leitbild hat zwar keinen verbindlichen Charakter für weitere Bauvorhaben, soll aber für uns der Maßstab sein, wie wir die Entwicklung unserer Gemeinde gestalten wollen. Es ist aus unserer Sicht extrem wichtig, die Entwicklung unserer Gemeinde nicht aus der Hand zu geben.
Kerstin Berbig ist seit 31 Jahren in der Kommunalpolitik tätig. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt im sozialen Bereich, das heißt der Umsetzung der Barrierefreiheit, der Teilhabe von Menschen mit Handycap und des bezahlbaren Wohnens.
MieterEcho 423 / April 2022