Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 426 / August 2022

Schwaches Mietrecht, starke Investoren

Der griechische Immobilienmarkt zwischen Tourismus und internationalem Ausverkauf

Interview mit Tonia Katerini

MieterEcho: Aus hiesiger Perspektive ist Griechenland ein Land, das man meist zu Reisezwecken besucht. Mediale Aufmerksamkeit hat es in der Zeit der Krise und des Spardiktats durch die Europäische Union bekommen. Was ist aktuell relevant?

Tonia Katerini: Der Tourismus ist in Griechenland und Athen ein entscheidender Faktor. Einige Häuser von Airbnb sind im Zuge der Corona-Krise auf den Wohnungsmarkt zurückgekehrt, allerdings mit teuren Mieten – renoviert und neu möbliert. Für Menschen mit geringem Einkommen und Bedarf nach erschwinglichem Wohnraum hatte dies keine Bedeutung. 

Wir sehen jetzt allerdings ein anderes Phänomen: Leerstehende Gebäude, darunter alte Büros in heruntergekommenen Gegenden, werden nun von Unternehmen aufgekauft, um daraus kleine Boutique-Hotels und andere, sehr kostspielige Unterkünfte zu machen.

Wer sind die Nutzergruppen – Start-ups, Digitalwirtschaft?

Sicherlich gibt es einige Räume für Digitalarbeiter/innen, doch die meisten sind auf Tourist/innen ausgerichtet, die immer zahlreicher kommen. Denn Athen ist im Vergleich zu anderen europäischen Städten sehr günstig. Zudem kann man die Stadtreise mit einem Urlaub auf den Inseln verbinden. Viele kommen für drei bis vier Tage nach Athen und setzen dann über.

Gibt es in den Gebäuden keine Wohnungen für die Bevölkerung?

Es sind reine Ferienwohnungen. Meist haben sie eine Art Dachgarten für Bars, um bspw. die Akropolis zu sehen. Bei passender Größe finden sich oft auch Swimmingpools auf dem Dach. 

Dazu kommt, dass es in Athen überhaupt keinen Mieterschutz mehr gibt, außer einer Schutzklausel, dass es keine Vertragsdauer von unter drei Jahren geben darf. Vom nächsten Tag an kann der Eigentümer Sie ohne Gerichtsverfahren vor die Tür setzen. Vor der Krise von 2008 gab es zahlreiche Mieterschutzmaßnahmen, die aber durch die Politik der Troika zunichte gemacht wurden – der Markt sollte nicht kontrolliert werden.

Zuvor konnte der Eigentümer bei Vertragsende höchstens einen Aufschlag von 10% verlangen. Wenn Sie bereit waren, dieses Geld zu zahlen, konnte der Eigentümer Sie nicht loswerden. Die einzigen Kündigungsmöglichkeiten waren gerichtlich bestätigter Zahlungsverzug und Eigenbedarf.

Die starke Immobilienlobby scheint ihre Interessen unbegrenzt durchsetzen zu können?

Es gibt in Griechenland keine starken Mietervereinigungen. Hingegen ist das nationale Komitee der Eigentümer sehr stark. Es ist hier schwierig, eine große Mieterbewegung aufzubauen. Man kann den großen Eigentümern nur schwer die Stirn bieten, da es viele Kleineigentümer gibt. Eine Bewegung könnte lediglich den Staat auffordern, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen. Dabei wäre es nötig, die großen Eigentümer von den kleinen zu unterscheiden, denn in Griechenland sind 30 bis 40% der Eigentümer Kleineigentümer, die ein oder zwei Wohnungen besitzen. Oft bessern sie mit den Mieteinnahmen ihre kleine Rente auf. 

Die Orientierung auf Wohneigentum ist in Griechenland von hoher Bedeutung. Woher kommt das?

In Griechenland wurde, wie in anderen Ländern Südeuropas, das mediterrane Wohnmodell angewandt. Zu Beginn der Krise lag die Wohneigentumsquote in Griechenland bei 86%. Die meisten Mieter/innen rechneten damit, dass sie eines Tages ihr eigenes Haus besitzen würden. Mieter/in zu sein galt als Übergangsphase.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebten wir in Griechenland einen Urbanisierungsboom. Viele Menschen aus dem landwirtschaftlichen Raum kamen in die Städte. Zu jener Zeit haben die USA mit dem Marshallplan große Kapitalströme ins Land gelenkt, um die politische Kontrolle zu erlangen. Es sollte der private Bausektor gefördert werden, so wurden keine hohen Steuern erhoben und Gesetze erlassen, als Anreize zum Bau von günstigen Eigentumswohnungen. Gekauft wurde nicht über Kredite, sondern mit dem eigenen Einkommen. Selbst Arbeiter/innen konnten durch den Verkauf von alten Häusern oder Land in ihren Dörfern eine Wohnung in den Städten erwerben. Außerdem wurde den ärmsten Menschen sogar erlaubt, illegale Bauten zu errichten.

Heute ist der Wohnungsmarkt zunehmend kreditfinanziert. Wie kam es dazu?

Anfang der 1990er betraten die Banken den griechischen Markt und begannen, Kredite zu vergeben. Das war noch bevor die sozialistische Regierung unter PASOK die Gehälter erhöhte. Die höheren Einkommen bewirkten wiederum einen Anstieg der Mieten. Also verlautbarten die Banken: „Du zahlst einfach den gleichen Betrag wie für die Miete, nimmst einen Kredit auf und eines Tages besitzt du ein Haus!“ Doch so funktionierte das nicht, die Profitrate bei Krediten war enorm. Die Kredite verteuerten die Häuser oftmals um das Dreifache, was es wiederum unmöglich machte, ein Haus ohne Kredit zu kaufen. Diese Immobilienpreis-Blase hielt bis 2008 an, als die Regierung den Bankrott des Landes verkündete. 

Welche Folgen hatte die Krise für die Bevölkerung?

Es wurden Gehälter gekürzt, sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor, und viele Menschen verloren ihre Arbeitsplätze. Damit begann das heute größte Wohnungsproblem Griechenlands: Menschen verlieren ihre Häuser aufgrund von Verschuldung. Viele Menschen haben Hypotheken auf ihre Erstwohnung aufgenommen. Dazu kommt die Verschuldung für Steuern und Versicherungssysteme. Die Banken haben ein Moratorium zwischen Staat und Banken durchgesetzt, dass zuerst die Schulden bei der Bank beglichen werden müssen.

Welche Proteste sind daraufhin entstanden?

Wir haben unsere Gruppe „Pleistiriasmoi Stop“ („Stoppt die Auktionen“) gegründet, mit zwei Hauptforderungen: Der Schutz der eigenen vier Wände müssten beibehalten und die Schulden der kleinen Eigentümer reduziert werden. Die Schulden sind durch die Gewinne der Banken massiv angestiegen, während diese Staatsgeld erhielten, um die Ausfälle der Eigentümer/innen zu decken. Doch das verbesserte nicht deren Situation, die Banken kassierten einfach das Geld. Zwischen 2013 und 2020 gab es Jahr für Jahr Verschlechterungen der Gesetzeslage. Am Anfang hieß es, dass Häuser von Menschen, deren Kredit eine bestimmte Summe übersteigt, nicht mehr geschützt werden. Dann wurde beschlossen, man werde keine Wohnungen mehr schützen, deren Marktpreis über einem bestimmten Betrag liegt. Im Jahr 2020 gab es dann ein neues Gesetz, welches jeglichen Schutz aufhebt.

Die Banken können jede/n in den Privatkonkurs treiben. Dann müssen die Menschen alle Gebäude in ihrem Besitz – das Haus, in dem sie leben, eine kleine Urlaubshütte, ein Geschäft für ihr Unternehmen – hergeben. All das wird versteigert, um die Schulden zu begleichen. Seit 2020 nehmen die Auktionen stark zu. Wegen Covid gab es zwar ein kleines Moratorium von sechs Monaten. Doch jetzt haben wir die erste Welle von Zwangsräumungen. Die Auktionen fanden früher vor Gerichten statt, und die Bewegung war in der Lage, sie zu stoppen. Jetzt werden die Versteigerungen online durchgeführt. Also konnten wir sie nicht mehr aufhalten und protestieren deshalb wie die Menschen in Spanien vor den Banken usw.

Wo seht ihr heute eure Aufgaben?

Die Menschen sind sehr verängstigt, da sie sich nicht vorstellen konnten, dass es so weit kommen würde. Wenn nun all diese Menschen auf den Mietmarkt kommen, wird sich das Problem der Mieter/innen verschärfen. Die Eigentumsquote an Wohnungen ist in nur 10 Jahren von 86% auf 76% gesunken. 

Auf der anderen Seite erleben wir einen großen Gentrifizierungsangriff. Es gibt etliche Großprojekte, die keiner staatlichen Kontrolle, keinen Gesetzen und keiner städtischen Diskussion unterliegen. Dazu gehört die Umwandlung des alten Flughafengeländes in eine Stadt mit 25.000 Einwohnern. Dort sollen Wohlbetuchte aus arabischen Ländern, China und anderswo hinziehen, um eine perfekte Stadt am Meer zu genießen, mit Kasinos, Luxus-Einkaufszentren und einem wunderschönen Park im Inneren. Der Staat hat das Gebiet zu einem sehr niedrigen Preis an das Unternehmen Lambda Development veräußert, ist aber verpflichtet, die gesamte Infrastruktur, das Wasser, die U-Bahn und die Straßen bereitzustellen. 

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führten Matthias Coers und Grischa Dallmer.

 

Tonia Katerini ist ehemalige Präsidentin der Vereinigung griechischer Architekt/innen und engagiert in Athen bei Pleistiriasmoi Stop gegen Zwangsversteigerungen, Räumungen und explodierende Wohnkosten, als Teil der European Action Coalition for the Right to Housing and to the City.
http://pleistiriasmoistop.blogspot.com
https://housingnotprofit.org


MieterEcho 426 / August 2022

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