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MieterEcho 422 / Februar 2022

Rolle rückwärts beim Mieterschutz

Reinickendorf: „Ampel“-Zählgemeinschaft aus SPD, Grünen und FDP will keine weiteren Milieuschutzgebiete

Von Felix Lederle

Erstmals seit vielen Jahren hat die CDU im Bezirksamt und in der BVV in Reinickendorf keine eigene Mehrheit mehr. Die drei Mitglieder von SPD und Grünen im Bezirksamt können die drei Mitglieder der CDU überstimmen, weil die Stimme des SPD-Bezirksbürgermeisters ab dieser Legislatur doppelt zählt und in der BVV besitzt die gebildete Zählgemeinschaft aus SPD, Grünen und FDP eine denkbar knappe Ein-Stimmen-Mehrheit. An einer Zählgemeinschaft mit breiterer Mehrheit beteiligt sich Die Linke nicht, weil Wahlkampfversprechen wie der Einsatz für Milieuschutzgebiete oder eine schrittweise Rekommunalisierung der Schulreinigung für uns auch nach Wahlen bindend sind.

Aus linker Sicht ist das Zählgemeinschaftspapier der „Ampel“, das auch im Bereich des Klimaschutzes weit hinter den wissenschaftlich ermittelten Bedarfen zurückbleibt, enttäuschend, auch wenn es in manchen Bereichen zweifellos auch Anknüpfungspunkte für progressive Politik enthält.

Positiv ist im Bereich der Stadtentwicklungspolitik zu bewerten, dass „Bebauungsplänen grundsätzlich Vorrang vor der Erteilung von planungsrechtlichen Befreiungen“ eingeräumt wird, was beispielsweise für die Entwicklung des Geländes der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik mit seinen vielen Schutzbelangen die Abkehr von einer Bebauung nach §34 bedeutet, sodass es dort nun zu einem verbindlichen Bürgerbeteiligungsverfahren kommen wird. Zu begrüßen ist auch, dass fortgeschrieben werden soll, dass öffentliche Liegenschaften „grundsätzlich im öffentlichen Vermögen verbleiben“. Positiv ist, dass die Forderung der Linksfraktion, ein Naturschutzgebiet am Flughafensee und in der Tegeler Stadtheide einzurichten, Eingang in das Zählgemeinschaftspapier gefunden hat.  

Bedauerlich ist, dass das Papier keine klare Aussage trifft, alle Kleingartenanlagen im Bezirk zu sichern, obwohl dies in der letzten Legislatur Konsens unter allen BVV-Fraktionen war. Enttäuschend ist, dass die Bekämpfung illegaler Ferienwohnungen im Papier nicht benannt wird, obwohl Reinickendorf auf diesem Gebiet im Bezirksvergleich nachweislich besonders schlecht dasteht. Unklar ist, mit welchen Planungs- und Baukapazitäten sowie Mitteln des Bezirks die Ampel ihren „Schwerpunkt“ realisieren möchte, ein eigenes Wohnheim für Studierende und Auszubildende zu errichten und ob dies mehr als eine wohlfeile Absichtserklärung ist.

FDP hat sich durchgesetzt

Die FDP konnte in den Verhandlungen durchsetzen, dass es in der Vereinbarung heißt: „Weitere soziale Erhaltungssatzungen werden nicht festgesetzt und keine Aufstellungsbeschlüsse gefasst.“ Der Erlass von sozialen Erhaltungssatzungen für Milieuschutzgebiete ist allerdings das mit Abstand schärfste Schwert der Kommunalpolitik gegen Gentrifizierung und für Mieterschutz. Auf die Nutzung dieses wichtigen politischen Steuerungsinstruments grundsätzlich zu verzichten, bedeutet einen Rückschritt in Sachen Mieterschutz in Reinickendorf. Denn in der letzten Legislatur wurden im Ergebnis einer pragmatischen Zusammenarbeit zwischen dem CDU-Bürgermeister und den BVV-Fraktionen von CDU, SPD, Grünen und Die Linke endlich die ersten beiden Milieuschutzgebiete im Bezirk eingerichtet.

In Reinickendorf gibt es folglich beim Thema Milieuschutz gemeinsame Kritik von CDU und Die Linke an der Ampel. Mieterschutz in der Mieterstadt Berlin ist angesichts der auch durch internationale Spekulation explodierenden Mietpreise eine zentrale Herausforderung, die nicht allein durch das Mantra vom „Bauen, Bauen, Bauen“ gemeistert werden kann. Die Mietpreisexplosion betrifft viele Menschen mit unterschiedlichen parteipolitischen Präferenzen bis weit in den Mittelstand, was zuletzt in dem eindrucksvollen Abstimmungsergebnis des Volksbegehrens zum Ausdruck gekommen ist. Da die Reinickendorfer Ampel das Instrument der sozialen Erhaltungssatzung grundsätzlich nicht mehr verwenden möchte, wird es auch gemeinsame BVV-Initiativen von CDU und Linksfraktion für mehr Milieuschutz und damit Mieterschutz geben.  

 

Felix Lederle ist Vorsitzender der Linksfraktion in der Bezirksverordnetenversammlung Reinickendorf.


MieterEcho 422 / Februar 2022