Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 426 / August 2022

Rechtsfreie Räume

Ein neues Buch untersucht das Konzept der Privatstädte

Von Jutta Blume

Unternehmen sollen in von ihnen selbst geführten Enklaven die Aufgaben des öffentlichen Sektors übernehmen, die Justiz soll in die Hände privater Schiedsgerichte gelegt werden, demokratische Teilhabe weitgehend außer Kraft gesetzt werden. In „Privatstädte“ beschäftigt sich der Soziologe Andreas Kemper mit den Akteur/innen der Privatstadt-Bewegung, ihrer Ideologie und ersten Privatstadtprojekten im zentralamerikanischen Honduras.

Das Buch beginnt mit einer Begriffsklärung. Kemper legt dar, dass die oft verwendeten Bezeichnungen „Libertarismus“ oder „Anarcho-Kapitalismus“ den Wesenskern der Ideologie der radikalen Kapitalist/innen verschleiern. Sowohl die ursprünglich sozial-anarchistischen Ideen des Libertarismus, als auch die herrschaftsfreie Gesellschaft des „Anarchismus“ werden in den Privatstädten nicht angestrebt. Die von Unternehmen gemanagten Städte wären ausschließlich kapitalistisch organisiert. „Der Kapitalismus ist zwangsläufig eine Herrschaftsform, da er durch das Privateigentum an Produktionsmitteln organisiert ist“, so Kemper. Die Ideologie hinter der Privatstadt-Bewegung nennt Kemper „Enklaven-Proprietarismus“. „Es geht dabei darum, Menschen innerhalb dieser Städte ihrer Rechte zu berauben, das heißt, ihnen die Mitbestimmung und die demokratische Verfügungsgewalt (...) zu entziehen.“ Damit geht die Idee der Privatstädte auch viel weiter als die von bereits realisierten Sonderwirtschaftszonen. 

Im zweiten Teil des Buches erläutert Kemper das honduranische Projekt der „Sonderzonen für Beschäftigung und Entwicklung“ (ZEDE), das 2013 ins Leben gerufen wurde. Diese Unternehmensenklaven im Staat sollen sich eine eigene Charta, eine Art Verfassung geben, die wiederum von einem intransparenten und von der Regierung auf unbestimmte Zeit ernannten internationalen Aufsichtsrat genehmigt wird. Dessen Mitglieder gehören zum größten Teil proprietaristischen Netzwerken an. 2020 wurde in Honduras der Start der ZEDE Próspera auf der Insel Roatán bekanntgegeben. Zu deren Charta heißt es bei Kemper: „In Próspera ist eine Form von Ständedemokratie vorgesehen.“ Wahlrecht für die Verwaltung ist dabei an die Größe des Landbesitzes gekoppelt. 

Modellprojekt in Honduras   

Interessant ist eine Reihe von Persönlichkeiten und Institutionen, die die Entwicklung der Privatstadt Próspera vorangetrieben haben, dazu zählt der deutsche Unternehmer Titus Gebel, dem Aussagen wie folgende zugeschrieben werden: „Wenn Sie einen Sicherheitsdienstleister haben und sich sonst um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern können – wozu brauchen Sie dann noch Demokratie?“ Eine Investorenkonferenz für Próspera wurde 2019 von der TUM International GmbH abgehalten, einer hundertprozentigen Tochter der Technischen Universität München. Ebenfalls beteiligt ist der deutsche Architekt Patrik Schumacher, Vorsitzender des renommierten Büros Zaha Hadid Architects, das Bauten für die Privatstadt entworfen hat. Schumacher äußerte sich in einem Interview mit der Zeit etwa gegen Datenschutz, Arbeits- und Mieterrechte und ist bestens vernetzt in der proprietaristischen Szene. 

Der größte Teil des Buchs widmet sich den verschiedenen Thinktanks, Hochschulen und Persönlichkeiten, die den Proprietarismus vorantreiben, und eignet sich daher bestens als Nachschlagewerk zur politischen Verortung von Beteiligten auch künftiger Projekte. Neben der Demokratie- und Staatsfeindlichkeit vieler Akteur/innen ist auch die offen rassistische Einstellung einiger Vertreter/innen bemerkenswert. Diese ist die logische Konsequenz einer Ideologie, die historische Unterdrückung nicht anerkennen mag und sozialstaatlichen Ausgleich ablehnt: Armut und soziale Benachteiligung muss dann kulturalistisch wie biologistisch hergeleitet werden. 

Für Honduras gibt es am Ende Hoffnung: Die neue, linksgerichtete Präsidentin Xiomara Castro trat unter anderem mit dem Versprechen an, die ZEDE rückabzuwickeln, das Gesetz wurde bereits außer Kraft gesetzt. Es bleibt die Frage, was mit den schon in der Umsetzung befindlichen Projekten wie Próspera geschieht. 

 

Andreas Kemper: Privatstädte. UNRAST Verlag, Münster 2022. 14 Euro


MieterEcho 426 / August 2022

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