Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 425 / Juli 2022

Rechter Terror in Neukölln

Zwei Morde, eine Terrorserie und jede Menge rechte Verstrickungen bei der Polizei

Von Ferat Koçak

Rechte Organisationen und Netzwerke haben in Neukölln eine lange Geschichte. Spätestens in den 80ern erlangt insbesondere Südneukölln Bekanntheit als Hotspot von Neonazi-Aktivitäten. Hier waren Skinhead-Gruppen, rechte Gangs und NPDler/innen aktiv. In den kommenden Jahrzehnten griffen diese Antifaschist/innen, Schwarze, Menschen mit Migrationsgeschichte, linke und muslimische Einrichtungen an.

Aktionen wie Drohbriefe an die Neuköllner Falken, Überfälle auf Parties in den 80ern oder ein Angriff auf ein Flüchtlingsheim im Rahmen der bundesweiten Welle rassistischer Pogrome in den 90ern sind nur einige von vielen Vorfällen. Auch im neuen Jahrtausend ging es weiter: 2003 fanden auf dem Britzer Baumblütenfest rassistische Angriffe statt, 2008 verübten Neonazis Brandanschläge auf die Wohnhäuser einer bosnischen und einer türkischen Familie. Bis heute sind Neonazis, ausgehend von ihrem stronghold im Süden, im ganzen Bezirk präsent. 354 rechtsextreme, rassistische und antisemitische Vorfälle meldet das Neuköllner Register für 2021, ganze 51 davon in Rudow. 

Über die Jahre haben sich verschiedene rechte Organisationen in Neukölln gebildet, wieder aufgelöst oder etabliert. Seit 2005 gibt es einen NPD-Kreisverband in Neukölln, der in enger Verbindung zu den „Freien Kräften Neukölln“ steht. Zeitweise waren die Republikaner aktiv, die 2012 einen lokalen Kreisverband „Süd-Ost“ gründeten und 2012 und 2013 besonders aktiv waren. 

In den letzten Jahren ist vor allen Dingen der „III. Weg“ erstarkt. Hier organisieren sich Neonazis, denen AfD und selbst die NPD zu wenig rechts sind. Sie verteilen Flyer mit rechten Verschwörungsmythen und verbreiten Hass gegen Geflüchtete und Migrant/innen. Im September versuchte der III. Weg, eine Veranstaltung des antifaschistischen Bündnisses „Rudow empört sich“ zu stören, und im November beging er auf einem Rudower Friedhof ein NS-verharmlosendes „Heldengedenken“. Auch einer der Hauptverdächtigen in der Neuköllner Naziterrorserie, Sebastian T., ist mittlerweile Mitglied des III. Wegs.

AfD: Wirres Auftreten, Islamhass und völkische Mythen

Auch die AfD ist in Neukölln ein wichtiger Player am rechten Rand. Wie bundesweit zeichnet sich die Partei auch hier durch fließende Übergänge in die Neonazi-Szene aus. Tatsächlich ist einer der mutmaßlichen Täter in der Neuköllner Nazi-Terrorserie, Thilo P., ehemaliges Kreisvorstandsmitglied der AfD. Im Jahr 2017 kündigte Andreas Wild seine Bundestagskandidatur für die Neuköllner AfD an. „Wo es am Dreckigsten ist, macht es am meisten Spaß auszumisten“, beschrieb er sein Programm. Er wolle die „Umvolkung“, die in Neukölln stattgefunden habe, umkehren. Nach antifaschistischem Druck zog er in letzter Minute seine Kandidatur zurück. Im Rathaus Neukölln stürzte die AfD-Fraktion bei den Wahlen 2021 um fast 6% auf 7% der Sitze ab. Sie hatte sich durch interne Spaltungen und viele wirre Redebeiträge ausgezeichnet. Eindeutig zieht sich jedoch die rassistische Verunglimpfung von Neuköllner/innen durch ihre politische Rhetorik. So schürt die AfD die rassistische Debatte um die „Clankriminalität“ oder hetzte in unzähligen Anträgen gegen Muslim/innen. Pandemiebezogene Verschwörungsmythen sowie die Leugnung des Klimawandels gehören ebenfalls zu ihrem Repertoire.

Einigermaßen kurios anmutende neuere rechte Propagandavorstöße gehen auf die Rechnung der „Deutschen Patrioten mit Migrationshintergrund“ (DeuPaMig). Gerade im Norden Neuköllns sind viele Sticker dieser Gruppe zu finden. Auf der Hermannstraße berichten mehrere Gewerbetreibende von Besuchen eines Vertreters der DeuPaMig. Schaut man sich deren Online-Präsenzen an, findet man eine wilde Mischung aus ethnopluralistischen Thesen, der Diffamierung linker Positionen als „Wokism“, instrumentellen Bezügen auf antikapitalistische Thesen und autoritären Positionen. Insgesamt stellen sich diese als recht unverhohlene Werbung für die AfD heraus.   

Rechter Terror bislang unaufgeklärt

2012 und 2015 erschütterten zwei Morde Neukölln. Burak Bektaş wurde 2012 auf offener Straße erschossen, als er mit Freunden unterwegs war. Seitdem kämpft die Burak-Bektaş-Initiative dafür, dass die Polizei den vielen Hinweisen auf ein rassistisches Tatmotiv ernsthaft nachgeht. So auch solchen, die auf eine Verbindung zu dem Mord an Luke Holland 2015 hindeuten, der ebenfalls auf offener Straße erschossen wurde – von Rolf Z., der sich als Nazi herausstellte.

Im Jahr 2016 begann die Reihe von gefährlichen rechten Anschlägen, die als Neuköllner Naziterrorserie bekannt geworden sind. Der Beginn dieser Angriffe geht zeitlich mit der Entlassung von Sebastian T. aus dem Gefängnis einher. Mindestens 73 Straftaten werden zur Terrorserie gezählt, darunter 23 teils lebensgefährliche Brandanschläge, die auf Autos, Wohnhäuser und Läden von Antifaschist/innen abzielten. Zuletzt wurde am 22. Mai diesen Jahres das Auto einer jüdischen Familie vor einem Haus in der Hufeisensiedlung angezündet. Das Haus war 2021 mit einer Hakenkreuz-Schmiererei markiert worden.

Die „Sicherheits“behörden erwiesen sich in ihrer Aufgabe, die Terrorserie aufzuklären, nicht nur als wenig hilfreich, sondern als kontraproduktiv. Während Betroffene für Aufklärung Druck machten, gelangte eine Reihe von Skandalen an die Öffentlichkeit, die ein schockierendes Ausmaß von Querverbindungen von Nazi-Szene bis tief in die Polizei und Staatsanwaltschaft aufdeckten. Der von der antifaschistischen Zivilgesellschaft erkämpfe Untersuchungsausschuss, der im Juni diesen Jahres seine Arbeit aufnimmt, muss diese Verstrickungen aufdecken. Die zwei folgenden Fälle stehen exemplarisch für den Charakter des Problems.

Der Fall Stefan K.: Stefan K. ist ein Polizist mit erwiesenen Verbindungen zu Menschen aus dem Neonazi-Milieu. Gemeinsam mit seinen rechten Kumpanen überfiel er 2017 in Karlshorst einen afghanischen Geflüchteten. Die Angreifer beleidigten ihr Opfer rassistisch und fügten ihm schwere Verletzungen zu. Dieser Polizist war Kern der sogenannten EG Rex, die in Rudow gegen Neonazis ermitteln sollte und häufig in Kontakt mit Betroffenen rechter Anschläge stand. 

Der Staatsanwalt F.: Im Jahr 2020 wurde Staatsanwalt F., der mit den Ermittlungen in der Neuköllner Naziterrorserie betraut war, suspendiert. Zu diesem Zeitpunkt wurde im Rahmen einer Akteneinsicht Betroffener aus polizeilichen Abhörprotokollen bekannt, dass F. laut Aussagen bekannter Neonazis klare AfD-Sympathien hegte. Staatsanwalt F. hatte sich schon in seiner gesamten Karriere als milde gegenüber Rechten und Nazis und als äußerst hart und repressiv gegenüber Linken gezeigt.

Rolle des Untersuchungsausschusses

Der parlamentarische Untersuchungsausschuss ermöglicht es, wichtige Akteur/innen und Zeug/innen zu befragen und die Aufklärung vor einer breiten Öffentlichkeit zu betreiben. Zu häufig wurden Betroffene beschwichtigt, nicht ernst genommen oder abgebügelt. So lange der rechte Terror nicht lückenlos aufgeklärt ist, sind wir in Gefahr. Die öffentliche Wirkung hat deswegen auch eine Schutzfunktion.

Inhaltlich muss der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) die Rolle der mindestens sechs Polizeibeamt/innen mit nachgewiesenen rechten Sympathien und rassistischen Einstellungen, die in den Neukölln-Komplex verwickelt waren, beleuchten – sowohl in den Neuköllner Ermittlungsgruppen, die mit der Aufklärung des rechten Terrors betraut waren, als auch im Berliner LKA. Außerdem muss der PUA sich ernsthaft mit der Frage beschäftigten, warum Betroffene der rechten Anschläge nicht rechtzeitig gewarnt wurden, obwohl sowohl Polizei als auch LKA Informationen über ihre konkrete Gefährdung vorlagen. Zum massiven Vertrauensverlust in die Behörden gehören auch eine Reihe von Datenweitergaben, bei denen vertrauliche Daten von Linken und Antifaschist/innen in die Hände von Neonazis gelangten.

Schließlich sollten die möglichen Verbindungen des NSU-Komplexes zu den beiden Morden an Luke Holland und Burak Bektaş untersucht werden. Die rechten Motive des Mörders von Luke Holland wurden bisher scheinbar vernachlässigt, ebenso wie die mögliche Verbindung dieses Mordes zu dem an Burak Bektaş. Dieser Mord ist bis heute unaufgeklärt. Im Rahmen des Untersuchungsausschusses können wir genauer hinschauen und versuchen, den jahrelangen Forderungen der Hinterbliebenen und Freund/innen gerecht zu werden.  

 

Ferat Koçak ist Diplom-Volkswirt und Spezialist für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit. Seit vielen Jahren ist er vor allem in Neukölln in antirassistischen und antifaschistischen Initiativen aktiv. Er ist Abgeordneter der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus.


MieterEcho 425 / Juli 2022

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