Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 422 / Februar 2022

Quadratisch, praktisch und gar nicht gut

Wohnen in der Europacity ist teuer aber nicht attraktiv

Von Susanne Torka

In den letzten Jahren wachsen die Gebäude der Europacity immer schneller aus dem Boden. Schon 2008 stellte der Masterplan die Weichen für diese Blockstruktur mit Hochpunkten, wie es aktuell in der Architektursprache heißt. Der Bereich am Hauptbahnhof, früher Lehrter Stadtquartier genannt, wurde vor einigen Jahren in die Europacity eingemeindet. Insgesamt soll auf 61 Hektar Fläche in etwa 3.000 Wohnungen gewohnt werden und sollen 16.500 Menschen arbeiten.

2021 wurden drei Richtfeste gefeiert, der erste Spatenstich des Hochhauskomplexes der DKB am Nordhafen zelebriert und die Werbegraffitis in der sogenannten Wasserstadt von Street-Art-Künstlern aus Jakarta und Berlin neu gestaltet. Vielleicht wichtiger für die Menschen, die dort schon längst wohnen, ist die Eröffnung von Supermärkten, Drogerieketten und wenigen kleinen Läden.

In mittlerweile neun Ausgaben des Image-Magazins der Standortgemeinschaft beweihräuchern sich Architekt/innen, Stadtplaner/innen und Bauherr/innen gemeinsam mit der Senatsverwaltung und schwärmen von schönen Promenaden und Plätzen, dem Boulevard Heidestraße, vielfältiger Architektur und einem lebendigen Stadtquartier. 

Doch was ist davon zu halten? Alle Entscheidungen zur Bebauung der Europacity sind dominiert von der Vermarktung der Flächen mit möglichst viel Profit. Wohnungen entstanden fast ausschließlich im hochpreisigen und Luxussegment. Der Anteil von Sozialwohnungen liegt unter 10% und ist fast nur westlich der Heidestraße zu finden, weil nur dieser Teil nach Einführung des kooperativen Baulandmodells geplant wurde. Aber was hätte dagegen gesprochen, dass der Senat gerade in dieser zentralen Lage für das Baurecht weitergehende Auflagen gemacht hätte? Selbst die frühere Senatsbaudirektorin Regula Lüscher und der für Städtebau zuständige Senatsmitarbeiter Manfred Kühne bedauern heute diese Entscheidungen und entschuldigen das mit fehlenden gesetzlichen Rahmenbedingungen. Heute bleibt bei Wohnraum zu mindestens 16 Euro/qm nettokalt eine echte urbane Mischung und Vielfalt auf der Strecke.

Kaum öffentliches Grün

Das betrifft auch fehlende Freiflächen und Infrastruktur. Im Bebauungsplan wurde die zukünftige Brücke über die Bahnanlagen auch damit begründet, dass der Fritz-Schloß-Park in Moabit für die neuen Bewohner/innen erreichbar sein soll, denn öffentliche Freiflächen innerhalb der Europacity werden nicht in der notwendigen Größe geschaffen. Der einzige öffentliche Kinderspielplatz entsteht an der Nordhafenbrücke, denn dort kann aus Lärmschutzgründen kein Haus gebaut werden. Trotz Grün und privaten Spielplätzen in den Innenhöfen ist die Europacity mit öffentlichen Freiflächen unterversorgt. 

Die neue Promenade am Spandauer Schifffahrtskanal wird hoch gelobt. Doch sie ist am Nachmittag verschattet und könnte gerne 20 Meter breiter sein. Selbst der schon lange existierende Uferweg auf der anderen Seite des Kanals liegt jetzt im Frühling und Herbst meist im Schatten. Die Erdgeschosse der angrenzenden Häuser schotten sich vom Freiraum ab, hier fehlen öffentliche Nutzungen. Es bleibt abzuwarten, ob das Versprechen der Standortgemeinschaft, Erdgeschosse für Künstler/innen und Kreative zur Verfügung zu stellen, eingehalten wird und zu welchen Preisen. Hohe Mieten für Kleingewerbe führen dazu, dass kleine Läden fehlen. Es gibt kein soziales Zentrum, keinen Nachbarschaftsladen. Im sogenannten Kunstcampus stehen Fahrräder in den als Kellerersatz dienenden Atelierräumen, weil die Preise für Kunstschaffende nicht bezahlbar sind. Eine Umfrage unter Neubewohner/innen ergab den Wunsch nach einer Stadtteilbibliothek.

Markus Diekow, Leiter der Unternehmenskommunikation des Haupteigentümers CA Immo, hebt entgegen der Kritik an der „seelenlosen Investorenarchitektur“ drei herausragende Bürogebäude hervor. Das sind der Cube auf dem Washingtonplatz, der Tour Total und die Firmenzentrale von 50Hertz. Doch können einzelne Glanzlichter die vielen Blöcke aus kalten Materialien, die „gebaute Leere, ohne Leben, ohne Identität, aus der Retorte“, wie der Architekt Jean-Philippe Vassal sagt, nicht aufwiegen.

 

Susanne Torka ist Mitbegründerin der Initiative „Wem gehört Moabit“ und ist unter anderem im Betroffenenrat Lehrter Straße aktiv.


MieterEcho 422 / Februar 2022

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