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MieterEcho 426 / August 2022

Privatisierungs-Krimi am Molkenmarkt

Über die künftige Bebauung des innerstädtischen Filetgrundstücks gibt es Streit in der Koalition

Von Michael Schuster

Das Gebiet um den Molkenmarkt, direkt hinter dem Roten Rathaus gelegen, ist eines der letzten unbebauten Filetgrundstücke in der Berliner Innenstadt. Deshalb ist es kein Wunder, dass dieses landeseigene Baufeld mittlerweile zu einem baupolitischen Schlachtfeld avanciert ist, auf dem über den künftigen Kurs der Berliner Stadtentwicklungspolitik gekämpft wird. Die aktuellen Pläne sehen den Neubau von rund 400 bezahlbaren Wohnungen durch landeseigene Wohnungsgesellschaften vor. Gegen diese Pläne kämpft eine starke Lobby, die dieses Gebiet zu einem Testfall für Privatisierungskonzepte machen will.

Diese Konflikte reichen schon länger zurück. 1996 wurde ein erster Entwurf für ein sogenanntes „Planwerk Innenstadt“ präsentiert, das den Verkauf der landeseigenen Baugrundstücke an wohlhabende private Bauherren vorsah. Der Initiator dieses Konzepts war der damalige Staatssekretär Hans Stimmann, die wichtigsten Planer waren Dieter Hoffmann-Axthelm, Bernd Albers und Tobias Nöfer. Dieses Konzept wurde am 18. Mai 1999 vom damaligen CDU-SPD-Senat beschlossen. Auf dieser Grundlage folgte die Erarbeitung eines Bebauungsplanes, der am 12. Mai 2016 im Abgeordnetenhaus beschlossen wurde.

Mit dem Regierungswechsel 2016 änderten sich auch die Pläne für den Molkenmarkt. Zwar hielt die neue Koalition aus SPD, Linke und Bündnis 90/Die Grünen am Bebauungsplan fest. Allerdings wurde der Charakter des neuen Quartiers komplett verändert. Nunmehr sollten keine Luxuswohnungen für Wohlhabende, sondern bezahlbare Wohnungen für breite Bevölkerungsschichten gebaut werden. Die landeseigenen Grundstücke sollten nicht mehr privatisiert, sondern durch die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften Degewo und WBM bebaut werden. Zudem wurde ein Partizipationsverfahren gestartet, dessen Ergebnisse in 8 Leitlinien zusammengefasst wurden. Gewünscht wurden vor allem ein „innovativer, bezahlbarer Wohnungsbau“, der flexible Wohnungen für die unterschiedlichsten Bedürfnisse bieten sollte. Ebenso wichtig waren „möglichst flexible Raumpotenziale“ für vielfältige Kulturnutzungen und eine klimagerechte Gestaltung. 

Privatisierungslobby macht mobil 

Auf Basis dieser Leitlinien startete im August 2021 ein offener städtebaulicher und freiraumplanerischer Wettbewerb. In einem ersten Schritt sollten zwei Preisträger ausgewählt werden, aus denen später ein Sieger gekürt werden sollte. Am Ende sollte eine Charta für den Molkenmarkt erarbeitet und vom Abgeordnetenhaus beschlossen werden. Der Auslobungstext zum Wettbewerb machte deutlich, welche Richtung das Projekt einschlagen sollte: Gesucht wurden „innovative, zukunftsweisende und durchaus auch experimentelle Ideen und Konzepte“ zur Entwicklung des Quartiers. Gefordert wurden „Experimentierfreudigkeit und Innovation“, „flexible Nutzungsstrukturen“ sowie „bezahlbare, d.h. wirtschaftlich zu errichtende und zu betreibende Wohnformen“. Kurzum: Das Molkenmarkt-Quartier sollte nicht mehr ein Modellprojekt für die Gentrifizierung, sondern ein Modell für ein sozial-ökologisches Stadtquartier werden.

Dieser Kurswechsel stieß allerdings auf massiven Widerstand von Anhängern der Privatisierung. Bereits im Februar 2019 hatten 5 Initiativen einen Aufruf für „Bauherrenvielfalt und Rekonstruktionen am Molkenmarkt“ veröffentlicht. Dieser Aufruf war eine Kampfansage – und das in mehrfacher Hinsicht: Die Verfasser forderten nichts geringeres als eine „Wende in der Stadtbaupolitik“ hin zu mehr Privatisierung. Konkret verlangte der Aufruf, dass die landeseigenen Grundstücke in kleine Parzellen aufgeteilt und privatisiert werden sollten. Eine Gestaltungssatzung sollte hochwertige Fassaden vorschreiben, zudem wurde die Rekonstruktion früherer Gebäude verlangt. Bezahlbarer Wohnungsbau wäre unter diesen Bedingungen völlig ausgeschlossen gewesen.

Zu den Initiatoren des Aufrufes gehörten neben der Gesellschaft Historisches Berlin, dem Verein Berliner Historische Mitte e.V., dem Bürgerverein Luisenstadt und dem Förderverein des Gymnasiums zum Grauen Kloster Mitte auch das Bürgerforum Berlin. Dieses wird von Mitgliedern der Planungsgruppe Stadtkern dominiert, die sich seit ihrer Gründung 2011 für die Privatisierung der Berliner Innenstadt eingesetzt hatte. Ihr gehörten einflussreiche Architekt/innen, Publizist/innen, Projektentwickler/innen und Historiker/innen an, darunter Dieter Hoffmann-Axthelm, Bernd Albers, Tobias Nöfer, Petra Kahlfeldt, Benedikt Goebel, Gerwin Zohlen, Klaus Hartung und Willo Göpel. Diese Gruppe war deshalb wichtig, weil sie über gute Kontakte zu Teilen der Berliner SPD verfügte. Einzelne Mitglieder der Planungsgruppe gehören der SPD auch an.

Der nächste Großangriff erfolgte deshalb auf einem „Kulturpolitischen Online-Dialog“ der SPD-Fraktion am 22. Juni 2021. Diese Veranstaltung wurde von den SPD-Abgeordneten Ülker Radziwill und Frank Jahnke organisiert, auf ihr erneuerte Benedikt Goebel seine Forderung nach einer Privatisierung des Molkenmarkt-Quartiers. SPD-Politiker wie der frühere Kulturstaatssekretär Andre Schmitz, Volker Härtig und Günter Fuderholz unterstützten Goebel. 

Spätestens diese Veranstaltung machte sichtbar, dass in der SPD ein Netzwerk entstanden war, das für eine stärkere Privatisierung eintrat. Dieses Netzwerk suchte auch die Nähe zur neuen SPD-Landesvorsitzenden Franziska Giffey, die sich ebenfalls für eine stärkere Förderung privater Investoren einsetzte. 

Nach der Wahl zum Abgeordnetenhaus veröffentlichte die Gruppe am 1. Oktober 2021 die „Petition für einen vielfältigen Molkenmarkt“, in der erneut eine Vergabe der landeseigenen Grundstücke an private Bauherren gefordert wurde. Diese Aktivitäten sollten sich bei der Senatsbildung Ende 2021 auszahlen: Mitglieder des Netzwerkes gelangten in führende Positionen. Ülker Radziwill wurde Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, Petra Kahlfeldt wurde Senatsbaudirektorin. 

Durch die Senatsbildung wurde auch der Wettbewerb zum Molkenmarkt beeinflusst, der ja eigentlich innovative und experimentierfreudige Lösungen erbringen sollte. Umso größer war die Überraschung, als im Dezember 2021 die beiden Siegerentwürfe gekürt wurden. Der eine Preisträger, das Kopenhagener Büro OS arkitekter mit dem Berliner Büro czyborra klingbeil architekturwerkstatt, lieferte einen Entwurf, der den Forderungen der 8 Leitlinien und der Wettbewerbsauslobung durchaus entsprach. Der Entwurf sah Gebäude auf Basis einer flexiblen Skelettkonstruktion aus Holz vor, innerhalb derer die Wände beliebig versetzt und entfernt werden konnten. Ein sehr effizientes Erschließungskonzept sorgte für günstige Bau- und Betriebskosten. Zudem bot der Entwurf ein detailliertes ökologisches Konzept, das von gut belichteten grünen Höfen bis hin zu Versickerungsmulden für das Regenwasser reichte.

Entscheidung noch nicht gefallen

Der andere Preisträger, das Berliner Büro Bernd Albers, bot dagegen einen Entwurf, der im krassen Gegensatz zur Wettbewerbsausschreibung stand. Er sah viele kleine Häuser vor, die die Flexibilität bei der Grundrissgestaltung stark eingeschränkt hätten. Zudem hätten die vielen Häuser zahlreiche Erschließungskerne erfordert und dadurch die Bau- und Betriebskosten in die Höhe getrieben. Bezahlbarer Wohnraum wäre nach diesem Entwurf kaum möglich.  

Wie der Krimi um den Molkenmarkt ausgeht, ist derzeit völlig unklar. In jüngster Zeit mehrten sich Hinweise, dass die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung eine Veränderung des Projektes anstrebt. Im Februar erklärte Senatsbaudirektorin Kahlfeldt, dass sie sich durchaus noch andere Bauherren als die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften vorstellen könnte. Im Juni teilte die Stadtentwicklungsverwaltung mit, dass die ursprünglich geplante Beteiligung des Abgeordnetenhauses an der Charta für den Molkenmarkt ausfallen soll. Diese Nachrichten nährten die Befürchtung, dass am Ende doch die Weichen in Richtung Privatisierung gestellt werden könnten. 

Auf der anderen Seite gibt es nach wie vor Widerstand gegen eine Privatisierung. Der aktuelle Koalitionsvertrag sieht einen Verzicht auf Privatisierungen vor. Die stadtentwicklungspolitischen Sprecher/innen der Grünen und Linken, Julian Schwarze und Katalin Gennburg, haben sich schon gegen eine Privatisierung ausgesprochen. Auch die Bereichsleiterin der Wohnungsbaugesellschaft Mitte, Patricia March, hat sich klar gegen eine Privatisierung positioniert. Der Kampf um den Molkenmarkt dürfte also spannend werden.


MieterEcho 426 / August 2022