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MieterEcho 422 / Februar 2022

Mit Schattenhaushalten aus der Krise?

Der rot-grün-rote Koalitionsvertrag bietet Spielräume für eine Investitionsoffensive

Von Marcel Schneider

Noch 2016 verschrieb sich die rot-rot-grüne Koalition ausweislich des damaligen Koalitionsvertrags einer vermeintlich „soliden Finanzpolitik“ durch „Investieren und Konsolidieren“ . Zwar wurden keine Schulden mehr getilgt, aber die damals im Rahmen der Konsolidierungshilfevereinbarung mit dem Bund vorhandenen Verschuldungsspielräume bis 2019 von über 3 Milliarden Euro wurden nicht genutzt. Berlin war ein Musterschüler der „Schwarzen Null“ . Durch die Zuführung an ein Sondervermögen hätte Berlin diese Mittel für zukünftige Investitionen sichern können. Das Land Brandenburg ist diesen Weg gegangen und hat 2019 eine Milliarde Euro kreditfinanziert einem Sondervermögen zugeführt – gegen den erbitterten Widerstand der dortigen Linksfraktion. Nun erlaubt auch der Berliner Koalitionsvertrag Investitionen über Extrahaushalte. 

Der neue Koalitionsvertrag fokussiert auf die nötigen Investitionen insbesondere für Klimaschutz, Digitalisierung und Verkehrswende. Ein Heraussparen aus der Krise soll es nicht geben. Stattdessen sollen die „rechtlichen und fiskalischen Spielräume konsequent genutzt (…) werden“. Gemeint ist damit vor allem die Kreditaufnahme von rechtlich selbstständigen Extrahaushalten des privaten oder öffentlichen Rechts (Landesunternehmen). Ebenso kann diesen Eigenkapital zugeführt werden oder an sie Darlehen vergeben werden. Möglich wurden diese Spielräume, da Berlin die grundgesetzliche Schuldenbremse verhalten umgesetzt hat. Ursprünglich plante der nach der Wahl ausgeschiedene Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) ohne Not eine scharfe Landesschuldenbremse. Diese sollte alle Extrahaushalte einbeziehen und zudem in der Landesverfassung verankert werden. Nur der Widerstand aus den Reihen der SPD und der Linken hat das verhindert. Zusätzlich soll die Verschuldung im Rahmen der Corona-Notlage genutzt werden, die ebenso bei der Landesschuldenbremse unberücksichtigt bleibt, dafür aber getilgt werden muss.

Ausgleich coronabedingter Verluste

Der Berliner Koalitionsvertrag enthält wie der Vertrag auf Bundesebene kein Finanztableau. Stattdessen definiert er eine Vielzahl von durchaus kostspieligen Einzelmaßnahmen, die durch Nutzung der Spielräume der Schuldenbremse gegenfinanziert werden sollen.

So wird die Tilgung der Corona-Kredite gestreckt, die im Jahr 2020 im Umfang von 7,3 Milliarden Euro aufgenommen und der Pandemie-Rücklage zugeführt wurden. Ende 2021 waren hiervon aufgrund höherer Steuereinnahmen und geringerer Pandemiekosten noch über 3,5 Milliarden verfügbar. Ursprünglich war geplant, ab 2023 in 27 Jahresraten zu tilgen. Nunmehr soll die Tilgung frühestens 2027 beginnen. Die hieraus resultierenden Minderausgaben liegen bei bis zu 270 Millionen Euro jährlich. Offen ist, was mit nicht verbrauchten Rücklagen mitteln Ende 2023 geschehen soll. Die Koalition erwägt hier eine Sondertilgung. Zugleich plant sie jedoch im Doppelhaushalt 2022/23 eine weitere Rücklagenzuführung über Notlagenkredite, um die coronabedingten Verluste der Landesunternehmen auszugleichen. Mit dieser zweckgebundenen Rücklage können die Flughafengesellschaft, die BVG oder die Messe so lange unterstützt werden, bis das Einnahmeniveau der Vorkrisenzeit erreicht ist. Die Koalition stützt damit die Landesunternehmen mit Corona-Krediten weit über das Jahr 2023 hinaus. Dies ist zweifelsohne rechtskonform, da die Zusatzausgaben im Kausalzusammenhang mit der Pandemie stehen. Auch weitere Darlehen an Landesunternehmen werden erwogen. Zugleich sollen die Unternehmen Investitionen auch über verstärkte Kreditaufnahmen schultern. Analog zum Bodenfonds, der für den Aufbau einer strategischen Grundstücksreserve bereits eine Kreditermächtigung von bis zu 250 Millionen Euro erhalten hat, soll eine neue Investitionsgesellschaft gegründet werden.

Es ist zu hoffen, dass diese in der Rechtsform einer Anstalt öffentlichen Rechts gegründet wird, da so die Kreditkosten signifikant gesenkt werden können. Berlin verwirklicht damit eine zentrale Forderung fortschrittlicher Ökonom/innen zur Ermöglichung von Investitionen, wie die Mitglieder des Sachverständigenrats Monika Schnitzler und Achim Truger im aktuellen Jahresbericht exemplarisch ausführen: „Eine zweite Option der Kreditfinanzierung unter der Schuldenbremse besteht in der Nutzung rechtlich selbständiger Extrahaushalte (…). Dies können [bestehende] privatrechtlich verfasste Unternehmen in öffentlichem Besitz oder Anstalten öffentlichen Rechts sein (…). Andere Vorschläge sehen die Nutzung rechtlich selbständiger Investitionsgesellschaften vor, die öffentliche Investitionen im Auftrag des öffentlichen Sektors kreditfinanzieren könnten.“ Im Koalitionsvertrag auf Bundesebene fehlt hingegen die Option der Gründung neuer Investitionsgesellschaften.

Die Möglichkeit, auf Landesebene die Steuereinnahmen zu steigern, wird erneut nicht genutzt. Der Hebesatz der Gewerbesteuer, der in Berlin mit 410% deutlich unter Potsdamer Niveau (455%) liegt, soll unverändert bleiben. Stattdessen soll der Hebesatz mit den Brandenburger Umlandgemeinden über einen Mindesthebesatz von 300% harmonisiert werden. Mit dieser unsinnigen Initiative soll wohl die nach dem Wirtschaftsaufschwung in Berlin überfällige Erhöhung vermieden werden. Auch der Grunderwerbsteuersatz soll mit Brandenburg synchronisiert und dabei sollen mögliche bundesgesetzliche Änderungen für Freibeträge bei selbstgenutztem Wohneigentum berücksichtigt werden. Offenkundig soll eine relevante Erhöhung des Steuersatzes in Berlin verhindert werden, da der Satz in Brandenburg um 0,5 Prozentpunkte höher liegt. Mit der gewünschten Förderung des Wohneigentums knüpft der neue Senat nahtlos an die Lieblingsforderung der FDP an. Bei einer Reform der Grunderwerbsteuer soll nach Wunsch der Koalitionäre eine Differenzierung nach Nutzungsart und Eigentumsart erfolgen. Dagegen ist nichts einzuwenden, wichtiger und naheliegender wäre es jedoch, den Tarif zukünftig durch die Länder progressiv auszugestalten. Wie die Ampel auf Bundesebene ist auch der Berliner Senat nicht bereit, Umverteilung von oben nach unten zu organisieren.

Kostensteigerungen nicht abgebildet

Ausgabenseitig werden neue Stellen und eine Erhöhung der konsumtiven Sachausgaben um 450 Millionen Euro jährlich versprochen. Im Kernhaushalt, also ohne Sondervermögen und Extrahaushalte, wird eine Investitionsquote von ca. 8% angestrebt. 2022 und 2023 sollen mindestens 3 Milliarden Euro investiert werden. Die in der Planung genannten, maßnahmenscharf belegten Investitionen für die Jahre 2022 bis 2025 liegen jedoch deutlich über den anvisierten Werten. Es ist daher mehr als zweifelhaft, ob die geplanten Investitionen ausreichend sind, zumal das Bauhauptgewerbe von massiven Kostensteigerungen betroffen ist. Die Preise für Rohbauarbeiten an Wohngebäuden stiegen von August 2020 bis August 2021 um 14,5%. Eine wesentliche Ursache liegt in den begrenzten Kapazitäten der Bauindustrie. Diese waren nach dem Ende des Wiedervereinigungsbooms auch aufgrund fehlender öffentlicher Investitionen strukturell heruntergefahren worden. Die Koalition verspricht zwar die „Entwicklung von Strategien im Umgang mit begrenzten Baukapazitäten etwa über eine Stärkung der Bauwirtschaft und eine Ausbildungsoffensive“, doch die bisherigen Erfahrungen mit dem Wohnungs- und Schulbau des Landes sind eher ernüchternd. Benötigt wird vielmehr eine klare und belastbare Selbstbindung des Senats gegenüber der Bauwirtschaft, die öffentlichen Investitionen kontinuierlich zu erhöhen. Dabei bietet der Koalitionsvertrag hierfür alle Voraussetzungen. Im Kernhaushalt führt die aktuelle Steuerschätzung – neben den geringeren Abflüssen aus der Pandemie-Rücklage und der späteren Tilgung des Notlagenkredits – zu einer spürbaren Entlastung des Haushalts. Gegenüber der Finanzplanung summieren sich die Steuermehreinnahmen von 2022 bis 2025 auf 5 Milliarden Euro.

Die geplante Kreditaufnahme in den Extrahaushalten kann den Kernhaushalt weiter entlasten. Ein Jahrzehnt der Investitionen im „Failed State Berlin“ wäre daher trotz Schuldenbremse und unterlassener Steuererhöhungen auf Bundesebene möglich. Auch eine Klage der Opposition gegen die vollständige Verausgabung der Pandemie-Rücklage in den kommenden Jahren muss der Senat im Unterschied zum Bund und zu anderen Ländern nicht fürchten. Da die Landesschuldenbremse nicht in der Landesverfassung steht, gibt es kein Klagerecht. 


MieterEcho 422 / Februar 2022