Mettmannkiez bleibt!
Bayer will Wohnhäuser abreißen, die offiziell im Gewerbegebiet liegen
Von Susanne Torka
Sommer 2021: Ein mutiger Mieter hängt nach Erhalt der Kündigung ein Transparent mit der Aufschrift „Hier werden bezahlbare Wohnungen abgerissen“ aus dem Fenster der Tegeler Straße 3. So macht er auf den drohenden Abriss durch den Bayer-Konzern aufmerksam. Obwohl das Transpi nur wenige Tage dort hängt und seitdem der Werkschutz regelmäßig beobachtet, sind stadtpolitische Aktivist/innen alarmiert. Zur ersten Kundgebung Mitte September kommen 70 Menschen.
Abreißen will Bayer zunächst die Häuser Tegeler Straße 2-5, die bis auf die acht gekündigten Mietparteien bereits entmietet sind. Der kleine Mettmannkiez umfasst außerdem die Tegeler Straße 1 sowie 6-7 und die Fennstraße 33-34. Auch diese Grundstücke gehören Bayer.
Eine planungsrechtliche Besonderheit: Die Häuser liegen in einem sogenannten „beschränkten Arbeitsgebiet“ (nach Baunutzungsplan 1960), in dem Wohnen nicht zulässig ist. Bereits 2009 wurde ein Bebauungsplan aufgestellt, der für den ganzen Block „Gewerbegebiet“ vorsieht. Der Bebauungsplan wurde jedoch nicht weiterbearbeitet. Das Bezirksamt Mitte kennt die Pläne, die Bayer auf dem Gelände verfolgt, noch gar nicht. Im Sommer 2021 verwies die Verwaltung auf die baldige Planbearbeitung und die dann notwendige Öffentlichkeitsbeteiligung.
Noch im August beschloss die BVV Mitte einen Dringlichkeitsantrag, der das Bezirksamt auffordert, die 140 Wohnungen zu erhalten und die Mieter/innen – gegebenenfalls mit einem neuen B-Plan – zu unterstützen. Mit der Antwort ließ sich das Bezirksamt Zeit bis November. Mit dem Ergebnis, dass der Bezirk an der planungsrechtlichen Festlegung nichts ändern könne, deshalb gelte auch das Zweckentfremdungsverbot nicht und gegen den Abriss könne nichts unternommen werden. Selbst ein Sozialplanverfahren könne der Bezirk nicht durchführen. Außerdem sei die Sicherung des gewerblich-industriellen Standorts von Bayer oberste Priorität von Bezirk und Senat, festgelegt auch im Stadtentwicklungsplan Wirtschaft 2030. Wohnungen in der Nachbarschaft könnten die Produktion möglicherweise zu sehr einschränken. Diese Meinung vertritt Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD) bis heute, obwohl der Eindruck entstanden ist, dass ihm nach einem Gespräch mit Mieter/innen Mitte Februar 2022 einige Zweifel gekommen sind.
Sicherung eines Gewerbestandorts?
Die Toplage der mehr als 100 Jahre alten Häuser spricht Bände. Schräg gegenüber, als nördlicher Abschluss der Europacity startete unter anderem kürzlich der Bau des „Upbeat“ für die DKB Bank mit ca. 32.000 qm Bürofläche, direkt gegenüber auf der anderen Seite des Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanals haben Nöfer Architekten den Büro- und Gewerbekomplex „Friedrich-Krause-Ufer 38“ mit ca. 25.000 qm Bürofläche geplant.
Bayer hat bereits 2016 drei Wohnhäuser auf der anderen Seite der Fennstraße abgerissen – damals mit Sozialplan. Eine Familie, die von dort umgesetzt wurde, ist nun wieder bedroht. Für eine neue Konzernzentrale wurde den Mieter/innen der Fennstraße 35-37/Am Nordhafen 1 im Jahr 2010 gekündigt, das Bauvorhaben jedoch 2011 abgesagt. Trotz Gegenwehr der Mieter/innen zog Bayer Entmietung und Abriss durch und schuf damit Bauerwartungsland als grüne Wiese. Im Mai 2021 hat Bayer sein Bürogebäude Sellerstraße 31 verkauft und für mindestens zwei Jahre zurückgeleast. Da liegt der Verdacht nahe, dass auch mit den Grundstücken an der Tegeler Straße spekuliert wird.
Für kurze Aufregung sorgte zwei Tage vor der Ende Januar im Stadtentwicklungsausschuss Mitte mit Spannung erwarteten Vorstellung der aktuellen Pläne von Bayer die Abrissankündigung für den leer gezogenen Seitenflügel der Tegeler Straße 3 und der Garagen. Wegen Verdachts auf ein Fledermausquartier ist dieser zunächst ausgesetzt.
Beim Ausschuss – ein Wortprotokoll liegt vor – kommt nichts über die langfristigen Pläne! Als Grund für den Abriss verweist der Vertreter von Bayer lediglich auf notwendige Baustelleneinrichtungen, was viele Mitglieder der BVV kritisieren. Denn es gibt viel freie Fläche und Parkplätze auf dem gewerblichen Grundstück. Bayer behauptet, Mieter/innen zu unterstützen, aber außer einer Umzugshilfe für eine Partei, und der schriftlichen Beteuerung, man wolle sich einvernehmlich einigen, gibt es keine konkreten Angebote. Im Gegenteil erhalten Mieter/innen Drohbriefe, bis zum Ende der Kündigungsfrist am 28. Februar 2022 auszuziehen.
Informationen über die Sprechzeit einer Mitarbeiterin werden erst am Nachmittag davor bekannt gegeben. Das ist weder ein Sozialplan noch eine einvernehmliche Lösung.
Wie geht es jetzt weiter?
Im Februar schlägt Gothe im Stadtentwicklungsausschuss zwei runde Tische vor, einen für die bereits gekündigten Mietparteien und einen für die anderen Häuser. Die „Interessengemeinschaft der Bewohner*innen des Mettmannkiez“ antwortet mit einem offenen Brief, der unter anderem einen runden Tisch für alle mit unabhängiger Moderation und Vergabe der leeren Wohnungen an Geflüchtete fordert. Das Bezirksamt beantwortet den offenen Brief nicht, lädt einen Tag vorher zu einem runden Tisch am 10. März ein. Bayer erscheint nicht.
Für die BVV-Sitzung am 17. März gibt es Anträge der Fraktionen der Grünen und der Linken, die das Thema aufgreifen. Die Grünen nehmen Forderungen aus dem Offenen Brief auf. Die Linke bringt einen Antrag zur Aufstellung einer sogenannten Umstrukturierungssatzung (§172 Abs. 1, Satz 1, Nr. 3 BauGB) ein, die bereits in Pankow erfolgreich angewendet wurde um Abriss zu verhindern. Außerdem wird ein Rechtsgutachten gefordert, da die Auffassung des Rechtsamts, dass existierende Wohnhäuser, nur weil sie seit 70 Jahren in einem „beschränkten Arbeitsgebiet“ stehen, nicht unter das Zweckentfremdungsverbotsgesetz fallen, massiv bezweifelt wird. Für alle „beschränkten Arbeitsgebiete“ mit Wohnhäusern müssten die rechtlichen Regelungen angesichts von Wohnungsnot und Klimakrise an die heutigen Erfordernisse angepasst werden.
Neben den planungsrechtlichen Fragen gibt es auch noch die mietrechtlichen Auseinandersetzungen. Schließlich ist zweifelhaft, ob Räumungsklagen, die sich auf die vorliegenden Verwertungskündigungen stützen, vor Gericht überhaupt Erfolg haben werden.
Susanne Torka ist Mitbegründerin der Initiative „Wem gehört Moabit“ und ist unter anderem im Betroffenenrat Lehrter Straße aktiv.
MieterEcho 423 / April 2022