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MieterEcho 427 / Oktober 2022

Konzerngewinne first, Mieter/innen second!

Auch das dritte Entlastungspaket verteilt Krisengewinne nur unzureichend um

Von Christoph Trautvetter

Seit Ende 2021 kennen die Preise für Gas und Strom in Deutschland nur eine Richtung: steil nach oben. Öl ist aktuell zwar wieder etwas günstiger als zum Beispiel im März oder Juni, aber immer noch fast doppelt so teuer wie zu „normalen“ Zeiten. Durch diese Preissteigerungen entstehen aufs Jahr gerechnet bis zu 200 Milliarden Euro zusätzliche Kosten für die deutsche Volkswirtschaft.    

Nur ein Teil davon ist bisher bei den Mieter/innen angekommen, weil die Energielieferanten die gestiegenen Preise nur schrittweise weitergeben. Das dicke Ende kommt also noch. Wenn demnächst die Heizsaison beginnt und die Preise wie erwartet weiter steigen, drohen Mieter/innen Zusatzkosten von mehreren Tausend Euro. Viele werden das nicht bezahlen können. Deswegen hat die Bundesregierung jetzt ein drittes Entlastungspaket beschlossen. Wen das Entlastungspaket erreicht und wann, steht bisher nur zum Teil fest. Ob es reicht, ist entsprechend umstritten. Besonders vage bleibt aber die Finanzierung. Nachdem sich Finanzminister Christian Lindner lange gegen eine Übergewinnsteuer gewehrt hat, sollen jetzt „Zufallsgewinne“ bei den Stromproduzenten abgeschöpft werden. Eine Analyse des Netzwerks Steuergerechtigkeit für die Rosa-Luxemburg-Stiftung zur Übergewinnsteuer zeigt: Den größten Teil der Übergewinne lässt sich die Bundesregierung weiterhin entgehen. Das müsste nicht so bleiben, aber die Zeit drängt.

Das Papier der Bundesregierung zum dritten Entlastungspaket vom 3. September 2022 stellt fest, dass die Gewinne der Energieunternehmen „(d)ie für die soziale Marktwirtschaft wichtige Balance zwischen Chancen und Risiken“ verletzen. Wegen des aktuellen Strommarktdesigns erhalten die Produzenten von Strom aus erneuerbaren Energien, Atomstrom und Kohle den gleichen Preis wie die teuersten Gaskraftwerke. Weil sich ihre Kosten durch die Krise teilweise gar nicht geändert haben, explodieren dadurch ihre Gewinne. Das will die Bundesregierung ändern. Anstatt einer Übergewinnsteuer für große Energiekonzerne will sie dafür aber „Erlös- bzw. Preisobergrenzen für besonders profitable Stromerzeuger“ nutzen. Das klingt im Prinzip richtig, hat aber zwei großen Haken: Zum einen ist der Vorschlag immer noch sehr unkonkret, während sich das Zeitfenster für die Abschöpfung der hohen Gewinne aus 2022 schließt. Zum anderen bleiben die größten Krisengewinner, nämlich die großen Mineralölkonzerne, komplett außen vor. Dass das auch anders geht, zeigen unsere europäischen Nachbarn.

Übergewinnsteuer in Spanien und Italien

Spanien schöpft bereits seit Herbst 2021 bis zu 90% der Preissteigerungen auf dem Strommarkt ab. Und in Italien mussten sowohl Stromproduzenten als auch Mineralölkonzerne im Juni 2022 die erste Rate einer Übergewinnsteuer für die Zeit seit Oktober 2021 zahlen. Mehrere Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zeigen, dass das im Prinzip auch in Deutschland möglich wäre. Wegen des Rückwirkungsverbots müsste eine zusätzliche Steuer auf Gewinne des Jahres 2022 aber im Jahr 2022 beschlossen werden. Deswegen drängt die Zeit.

Das größte Problem bei den Mineralölkonzernen löst allerdings auch das italienische Modell nicht. Genauso wie die großen Digitalkonzerne verschieben sie einen großen Teil der in Europa erwirtschafteten Gewinne in Steueroasen wie die Schweiz oder Singapur. In Frankreich und mehreren anderen Ländern gibt es deswegen seit 2019 eine sogenannte Digitalsteuer. Sie sorgt dafür, dass ein Teil der Steueroasengewinne dort besteuert werden kann, wo sie entstanden sind. Daraufhin einigten sich 2021 mehr als 100 Staaten auf eine globale Reform der Unternehmensbesteuerung. Die Mineralölkonzerne sind von den neuen Regeln aber explizit ausgenommen. Um das zu ändern, braucht es einen weiteren mutigen Alleingang nach französischem Vorbild. Aber die Prioritäten von Finanzminister Lindner scheinen klar: Konzerngewinne first, Mieter/innen second. 

 

Christoph Trautvetter ist Geschäftsführer des Netzwerk Steuergerechtigkeit und externer Projektleiter für das Projekt „Wem gehört die Stadt" der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Er ist Co-Autor der Studie zur Übergewinnsteuer.

Zum Weiterlesen:
rosalux.de/pressemeldung/id/46883/uebergewinnsteuer-bis-zu-100-milliarden-euro-an-einnahmen-moeglich


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