Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 424 / Mai 2022

Immer mehr Armutskieze in Berlin

Das „Monitoring Soziale Stadtentwicklung 2021“ des Senats ist ein erschütterndes Dokument der wachsenden sozialen Spaltung

Von Heiko Lindmüller

Die „soziale Stadt“ oder auch die „Stadt für Alle“ gehören zum Standardrepertoire der Berliner Stadtpolitiker/innen. Gerne wird auch die „typische Berliner Mischung“ beschworen, also Bezirke und Stadtteile, in denen ärmere und reichere Menschen, vom Sozialrentner über das Lehrerehepaar bis zur Millionärin, schiedlich-friedlich zusammenleben. Doch die soziale Realität hat dieses ohnehin schon immer arg geschönte Bild gründlich zertrümmert. Der im Auftrag der Senatsverwaltung für Bauen und Wohnen erarbeitete Bericht „Monitoring Soziale Stadtentwicklung 2021“ zeichnet eine nüchterne Bestandsaufnahme der Kluft zwischen Arm und Reich in Berlin, die sich in den vergangenen Jahren deutlich vergrößert hat.

Das Monitoring wird seit 1998 als kontinuierliches Stadtbeobachtungssystem der sozialräumlichen Entwicklung auf Gebietsebene erstellt. Grundlage des Monitorings sind 542 Planungsräume (PLR), die nach städtebaulichen, aber auch sozialen Kriterien voneinander abgegrenzt werden. Die genaue Festlegung dieser Planungsräume wird regelmäßig evaluiert und an neue Entwicklungen angepasst. 

Im aktuellen Monitoring wurden wieder die Quartiere ermittelt, in denen die soziale Benachteiligung besonders groß ist. 56 von 536 untersuchten Kiezen werden als „Gebiete mit besonderem Aufmerksamkeitsbedarf“ eingestuft – fünf mehr als im letzten Bericht von 2019. Wichtigste Indikatoren sind dabei die Zahl der Erwerbslosen, der Empfänger/innen von Hartz-IV-Leistungen und die Quote der Kinderarmut. Je höher die Ballung dieser benachteiligten Gruppen, desto wahrscheinlicher ist die Verfestigung der „Armutskieze“. Materiell bessergestellte Haushalte ziehen nach Möglichkeit in „bessere“ Stadtteile, und die dort durch Aufwertung verdrängten Menschen ziehen in die Armutsviertel. 17 PLR haben ihren Status verbessert, bei 28 liegt eine Verschlechterung vor.

Neu auf der Negativ-Liste sind 13 PLR: Lübecker Straße,  Zillesiedlung (beide Moabit), Askanischer Platz (Kreuzberg), Alvenslebenstraße, Feurigstraße (beide Schöneberg), Marienfelder Allee (Tempelhof), Braunschweiger Straße, Gropiusstadt Süd-Ost (beide Neukölln),  Kosmosviertel (Treptow), Gut Hellersdorf, Schleipfuhl (beide Marzahn-Hellersdorf), Wartenberg Nord (Lichtenberg) und Griesingerstraße (Spandau).

Verschärfung durch Coronakrise

Auf der anderen Seite hat sich der soziale Status gegenüber der letzten Erhebung  in 8 PLR so entwickelt, dass sie keine „Gebiete mit besonderem Aufmerksamkeitsbedarf“ mehr sind. Das betrifft die PLR Jungfernheide/Plötzensee (Charlottenburg-Wilmersdorf), Germersheimer Platz, Pillnitzer Weg (beide Spandau), Hasenheide, Goldhähnchenweg, Park am Buschkrug (alle Neukölln) sowie Zossener Straße und Neue Grottkauer Straße (beide Marzahn-Hellersdorf).

In vielen Kiezen, in denen große Anteile der Bewohnerschaft bereits zuvor als arm oder stark armutsgefährdet eingestuft wurden, haben die Folgen der Coronakrise die Armut noch einmal verschärft. Hauptgrund ist die stark gestiegene Anzahl der Bezieher/innen von Arbeitslosengeld II. Erstmals seit 2009 ist dieser Wert auch stadtweit gewachsen – von  4,2 auf 5,3%. Gesunken ist dagegen der Anteil der „Aufstocker/innen“, deren Arbeitseinkünfte durch zusätzliche Sozialleistungen ergänzt werden müssen. Als „sehr wahrscheinlich“ betrachten die Autor/innen der Studie, dass diese Menschen ihre gering bezahlten Stellen verloren haben. Gerade in der Gastronomie und anderen Dienstleistungen, die besonders von der Coronakrise betroffen waren, gibt es einen hohen Anteil schlecht bezahlter Tätigkeiten.

In der Weißen Siedlung an der Sonnenallee in Neukölln stieg der Anteil der Hartz-IV-Bezieher/innen 2020 im Vergleich zum Jahr 2019 um fast 5,5 Prozentpunkte auf rund 16%. Im Wohngebiet am Volkspark Prenzlauer Berg ging dieser Wert um knapp 4,7 Prozentpunkte auf fast 13,6% hoch. In insgesamt 37 von 542 Planungsräumen genannten Kiezen in der Hauptstadt wurden zweistellige Anteile an Hartz-IV-Beziehenden registriert.

Von dieser steilen Aufwärtsentwicklung betroffen waren auch fast vollständig der Norden Kreuzbergs, angrenzende Gebiete in Mitte, außerdem Teile von Moabit und Schöneberg sowie der Gropiusstadt. Ebenfalls betroffen sind Teile von Marienfelde, Hellersdorf, Wartenberg und Schöneberg.

Nur 3,3 bis 3,5% ALG-II-Beziehende wurden hingegen in den beiden Stadtentwicklungsgebieten Heidestraße nördlich des Hauptbahnhofs und Schöneberger Linse am Bahnhof Südkreuz registriert. Mit einem Rückgang um je ein Drittel im Vergleich zum Vorjahr zeigt sich die Wirkung des Zuzugs von Menschen aus gesicherten sozialen Verhältnissen in die meist hochpreisigen Neubauten. Ebenso deutlich sank in den beiden Gebieten der Anteil der Aufstocker/innen und Bezieher/innen der Grundsicherung im Alter sowie die Kinderarmut. 

Seit Jahren zeigt sich in einigen Innenstadtgebieten eine kontinuierliche Verbesserung des sozialen Status – in erster Linie eine Folge der Verdrängung ärmerer Menschen. Gleichzeitig war vor allem in Siedlungen am Stadtrand eine kontinuierliche Verschlechterung der Werte zu beobachten, weil sich die verdrängten Menschen hier noch Wohnungen leisten konnten. Insgesamt stellen die Forscher/innen eine „konstante Benachteiligung“ vor allem in Quartieren in den Ortsteilen Wedding, Moabit, Gesundbrunnen, Kreuzberg, Falkenhagener Feld, Staaken, Neukölln, Hellersdorf, Märkisches Viertel und Reinickendorf fest. Der Großteil dieser Gebiete werden bereits – offenbar mit wenig Erfolg – von besonderen Förderprogrammen als Quartiersmanagementgebiete oder von der „Ressortübergreifenden Gemeinschaftsinitiative zur Stärkung sozial benachteiligter Quartiere“ (GI-Handlungsräume) erfasst.

Aus der Studie geht auch hervor, dass sich die Unterschiede und die Entwicklungstendenzen zwischen „guten“ und „schlechten“ Quartieren, die in unmittelbarer Nachbarschaft liegen, teilweise extrem verschärft haben. Das betrifft unter anderem die Neuköllner Gebiete Alt-Rixdorf und Braunschweiger Straße sowie das Charité-Viertel und den Bereich Humboldthain in Mitte. Gerade in Mitte ist das Gefälle zwischen benachbarten PLR besonders hoch, aber auch im westlichsten Spandau oder im östlichsten Marzahn-Hellersdorf.

Kinderarmut besonders dramatisch

Fast schon traditionell dramatisch ist die Lage in Berlin in Bezug auf Kinderarmut, wo die Stadt einen Spitzenplatz belegt. Stadtweit leben 27% aller Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren in prekären Verhältnissen, das heißt sie sind ganz oder teilweise auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen. Bundesweit sind es „nur“ 20,2%. In diesem Armutssektor sind die Unterschiede zwischen den Untersuchungsräumen besonders groß. So beträgt die Kinderarmutsquote im PLR Thielallee (Dahlem/Zehlendorf) 0,91%, am Ende der Skala befindet sich der PLR Schulenburgpark (Neukölln) mit 74,7%.

Das „Monitoring Soziale Stadtentwicklung 2021“  ist in erster Linie ein erschütterndes Dokument  der fortschreitenden sozialen Segregation in Berlin. Bei der Skizzierung möglicher Gegenstrategien und Handlungsoptionen kommt die Studie nicht über Allgemeinplätze und vage Ankündigungen hinaus. Im Kapitel „Schlussfolgerungen und Anwendungen des Ergebnisses“ heißt es etwa: „Insbesondere das Programm Sozialer Zusammenhalt mit dem Quartiersmanagement, aber auch die Ressortübergreifende Gemeinschaftsinitiative mit dem Landesprogramm Soziale Infrastrukturmaßnahmen wirken explizit in Quartieren mit einer hohen Konzentration sozial benachteiligter Bewohnerinnen und Bewohner. Die Gemeinschaftsinitiative zielt darauf, die verschiedenen Fachressorts auf Landesebene stärker in die positive Entwicklung der betroffenen Sozialräume einzubinden. Nachhaltige Lösungen sind hier nur ressortübergreifend und nicht alleine im Rahmen der Städtebauförderung zu erzielen. Mit der konsequenten Stärkung und Qualifizierung der sozialen Infrastruktur sowie mit ergänzenden sozio-integrativen Angeboten können hier jedoch die notwendigen Rahmenbedingungen gesetzt werden, um den multiplen sozialen Herausforderungen zu begegnen“. Das wird wohl so ähnlich auch in zwei Jahren im nächsten „Monitoring Soziale Stadtentwicklung“ zu lesen sein. Denn reale Ansätze zur Eindämmung der sozialen Spaltung in der Stadt sind weit und breit nicht zu erkennen – im Gegenteil.


MieterEcho 424 / Mai 2022

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