Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 423 / April 2022

Holpriger Weg zur Mobilitätswende

Das Planungsprojekt „i2030“ für den Schienenverkehr in der Metropolregion und die Schwierigkeiten bei der Umsetzung

Von Rainer Balcerowiak

Wenn es um die Perspektiven der Metropolregion Berlin-Brandenburg geht, spielt die Verkehrsinfrastruktur eine zentrale Rolle. Abgesehen von der coronabedingten „Delle“ ist seit Jahren eine stetig wachsende Zahl von Berufspendler/innen zwischen den beiden Bundesländern zu verzeichnen. Da es an ausreichenden Schienenverbindungen fehlt, nutzen viele Menschen den privaten PKW. Doch mit „i2030“ gibt es zumindest Pläne für den Ausbau des Schienenverkehrs.   

Mitte 2020 hatten rund 225.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Brandenburger/innen ihren Arbeitsplatz in Berlin, mit kontinuierlich steigender Tendenz, wie aus der jährlichen Erhebung der Bundesagentur für Arbeit über Pendlerbewegungen hervorgeht. Fast 86.300 Berliner/innen arbeiteten in Brandenburg, was einen leichten Rückgang gegenüber den Vorjahren bedeutete. Eine gewisse Rolle spielen bei diesen Zahlen auch die Wanderungsbewegungen. Das Land Brandenburg verzeichnete 2020 rund 80.000 Zuzüge und 55.300 Fortzüge. Über 80% des Brandenburger Wanderungsgewinns waren auf den Zuzug von Berliner/innen zurückzuführen, dabei zog es die meisten ins Berliner Umland (+14.800). Aber auch der Wanderungsgewinn des sogenannten weiteren Metropolenraums gegenüber Berlin stieg. 2020 lag er bei 5.500, so hoch wie nie seit der Wiedervereinigung. Dies betraf vor allem die kreisfreie Stadt Brandenburg an der Havel und den Landkreis Uckermark.

Dass die Verkehrsinfrastruktur trotz punktueller Verbesserungen mit dieser Entwicklung in keiner Weise Schritt gehalten hat, ist offensichtlich. Zum einen gehören Staus auf Bundesstraßen und Autobahnen in den Hauptpendelzeiten zum Alltag. Das gilt aber auch für den Schienenverkehr mit fehlenden Anbindungen und unzureichenden Taktungen und Transportkapazitäten. Was wiederum sowohl zu chronisch überfüllten Zügen führt, als auch dazu, dass viele Pendler/innen keine Alternative zur Nutzung des eigenen PKW haben. Entsprechend eindeutig ist die Verteilung der Pendlerbewegungen auf die einzelnen Verkehrsträger. Rund zwei Drittel der täglichen berufsbedingten Fahrten von Brandenburg nach Berlin werden mit dem PKW absolviert. Auch für die Kombination von PKW und Schienenverkehr mit Regional- und S-Bahnen steht viel zu wenig Infrastruktur zur Verfügung. Im gesamten Gebiet des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB) gibt es an den Bahnhöfen der nach Berlin führenden Bahnlinien nur 22.000 Park-and-Ride-Plätze, in der für die S-Bahn-Anbindung an die Innenstadt besonders wichtigen Tarifzone C sind es lediglich 12.000. Und so ergießen sich die PKW-Pendlerströme Tag für Tag in alle Teile der Stadt.

Verzögerungen an der Tagesordnung

Dass dies nicht nur verkehrspolitisch, sondern vor allem in Bezug auf die ambitionierten Klimaziele ein unhaltbarer Zustand ist, liegt auf der Hand, und ist auch den verantwortlichen Akteur/innen in den beiden Bundesländern bewusst. Seit vielen Jahren gibt es Bekenntnisse und Pläne zum massiven Ausbau der Schienenanbindung von und nach Berlin. Doch besonders die jeweils angekündigten Zeitschienen für die Vollendung der jeweiligen Projekte entpuppen sich oftmals als eher unverbindliche Absichtserklärungen.

Ein besonders krasses Beispiel für diesen Planungs- und Realisierungsstau ist die „Heidekrautbahn“, deren alte, seit 1901 betriebene Stammstrecke 1961 durch den Mauerbau gekappt wurde. Seitdem verkehrte die Linie nur von Berlin-Karow am nördlichen Rand von Pankow über Basdorf und Wandlitz bis in die Schorfheide. Bereits in den 1990er Jahren gab es erste Überlegungen, die alte Stammstrecke zu reaktivieren, als wichtige Achse für die Anbindung des Umlandes an das Berliner Innenstadtnetz. Doch zunächst passierte außer einigen Machbarkeits- und Kosten-Nutzen-Studien lange Jahre gar nichts. Dabei könnte die Trasse ab Gesundbrunnen über Pankow und das Märkische Viertel die boomenden Umlandgemeinden Schildow, Mühlenbeck und die wichtigsten Ortsteile von Wandlitz im Halbstundentakt an das Netz anbinden. Möglich würde so auch die Erschließung des Gewerbegebietes PankowPark für den Schienenpersonennahverkehr. Auf dem Gelände sind rund 80 Unternehmen ansässig, unter anderem der Schienenfahrzeugspezialist Stadler.  

2011 kam allmählich Bewegung in die Angelegenheit. Die Niederbarnimer Eisenbahn (NEB) als Eigner und Betreiber der Trasse (die aber im VBB integriert ist) stellte präzise Pläne für den Ausbau vor und präsentierte sogar Fahrpläne für einen Halbstundentakt. Auch Landespolitiker/innen versprachen eine Inbetriebnahme noch im laufenden Jahrzehnt. Doch es sollte weitere sechs Jahre dauern, bis das Projekt offiziell als prioritär eingestuft und im von den beiden Ländern verabschiedeten Plan „Infrastruktur i2030“ verankert wurde.

Im Januar 2019 wurden erste Detailplanungen vorgestellt. Im Dezember 2020 folgte sogar ein symbolischer erster Spatenstich, doch wann die Stammstrecke tatsächlich in Betrieb gehen wird, ist unklar. Zuletzt wurde die Eröffnung Ende 2021 um mindestens ein Jahr auf Dezember 2024 verschoben. Ähnlich sieht es bei der Verlängerung nach Gesundbrunnen aus, mit der nach jetzigem Stand nicht vor 2030 zu rechnen ist. Unklar ist auch, ob und wenn ja, wann der ursprünglich geplante Halbstundentakt über Basdorf hinaus nach Wandlitz und Klosterfelde realisiert werden könnte. Was angesichts der dort sehr starken Pendlerströme nach Berlin eigentlich unverzichtbar ist. Von der NEB war auf Nachfrage zu erfahren, dass man den dafür notwendigen Gleisausbau in Klosterfelde relativ schnell und ohne Planungsprobleme bewältigen könnte. Allerdings hat der VBB den Halbstundentakt für diese Strecke bisher nicht bestellt, und bis Ende 2024 sei damit auch nicht zu rechnen. Der in der Verkehrsplanung „priorisierte“  Ausbau der Heidekrautbahn bleibt also auf mittlere Sicht Stückwerk.

Planen alleine reicht nicht

Insgesamt umfasst „i2030“ sieben „Korridore“ in wichtige Umlandregionen, die durch Ausbau, Reaktivierung stillgelegter Strecken und auch Neubau weiterentwickelt werden sollen. Dazu gehören neben der Heidekrautbahn unter anderem die Nordwestverbindung über Hennigsdorf und Kremmen bis nach Neuruppin, die Westverbindung von Spandau nach Nauen, sowie die Verlängerung der S-Bahn bis Rangsdorf, die Reaktivierung der Siemens-Bahn und der alten Stammstrecke nach Potsdam. Für einige Projekte ist die Realisierung erst für Mitte der 2030er Jahre avisiert, bei der Potsdamer Stammbahn gibt es gar keinen Zeitplan. Nicht nur dort haben sich bereits Bürgerinitiativen gebildet, die vehement gegen die Ausbaupläne ankämpfen.  

Ohnehin sind derartige Zeitpläne nicht nur, aber besonders in Berlin und Brandenburg eher als unverbindliche Absichtserklärungen anzusehen. So sollte der erste Abschnitt der neuen S21, die den Hauptbahnhof mit dem Ring verbinden soll, eigentlich 2017 in Betrieb gehen, Baubeginn war 2011. Nach mehrmaligen Verschiebungen soll der Betrieb jetzt provisorisch ab Dezember 2022 starten, mit einem Behelfsbahnsteig im Hautbahnhof. Wann die weiteren Teilabschnitte der S21 fertiggestellt sein werden, vermag derzeit niemand seriös vorherzusagen.  

Laut i2030 soll der S-Bahn-Verkehr außerdem auch auf den Außenästen auf einen 10-Minuten-Takt verdichtet werden. „Vertieft geprüft“ werden sollen auch die Möglichkeiten und Potenziale von Expressverbindungen auf besonders frequentierten S-Bahn-Strecken.  

Das klingt alles recht vernünftig, doch die Sache hat einen Haken. Denn bei i2030 handelt es sich um eine reine Planungsvereinbarung zwischen den beiden Ländern, dem VBB und der Bahn, in der alle Maßnahmen der Vor- bis hin zur Genehmigungsplanung geregelt sind. Doch die Umsetzung steht auf einem ganz anderen Blatt, was erfahrungsgemäß sowohl bei konkreten Baumaßnahmen als auch bei der Finanzierung zu erheblichen Verzögerungen führen kann. Von gut organisierten „Bürgerprotesten“ nebst entsprechenden juristischen Scharmützeln ganz zu schweigen. 

Dennoch ist i2030 im Vergleich zu der chaotischen Wurstelei im Jahrzehnt davor zweifellos ein Fortschritt. Vor allem, weil die beiden Länder, die Bahn und der Aufgabenträger VBB hier gemeinsam agieren, was zuvor alles andere als selbstverständlich war. Aber von einer Verkehrsplanung und vor allem deren Umsetzung, die den Erfordernissen einer effizienten und klimagerechten Mobilität in der wachsenden Metropolregion Berlin-Brandenburg entspricht, ist man noch ziemlich weit entfernt. Und die Zeit drängt.   

 

Zum Projekt Infrastruktur i2030: i2030.de


MieterEcho 423 / April 2022

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