Logo Berliner Mietergemeinschaft e.V.
MieterEcho 425 / Juli 2022

Großsiedlung Gropiusstadt

Steigende Mieten und Gegenwehr am Stadtrand

Von Tony Pohl und Johannes L.

Die Gropiusstadt steht idealtypisch für den sozialen Wohnungsbau der 60er/70er Jahre in Westberlin. Für die einen ist sie eine grüne Idylle am Stadtrand, für die anderen das Ghetto, das Christiane F. in ihrer Autobiographie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ beschreibt. Heute treten in Gropiusstadt die sozialen Probleme einer Stadt mit explodierendem und zunehmend liberalisiertem Mietwohnungsmarkt klar hervor. Eine Umsetzung des Volksentscheids Deutsche Wohnen & Co. enteignen könnte auf diese Probleme antworten und neue Möglichkeiten der Stadtteilentwicklung eröffnen.   

Nahtlos an den von Birken licht umwachsenen Mauerweg anschließend ragt die Großwohnsiedlung mit rund 18.500 Wohnungen in die Höhe. Wenige Meter vom letzten Punkthochhaus entfernt erstreckt sich die Weite der brandenburgischen Pampa. Vom nahegelegenen, mit Wiesenpflanzen bewachsenen Müllberg – wo die DDR einst Westberliner Unrat gegen Devisen aufgeschüttet hat – lässt sich die beeindruckende Silhouette der Gropiusstadt mit ihren bis zu 30 Etagen hohen Punkthochhäusern bewundern.

Viele Bewohner/innen schätzen die Wohnqualität, die mit der Hochhaussiedlung im Grünen verbunden ist, dennoch verdichten sich in ihrem Innenleben auch die an den Rand gedrängten Probleme einer sozial gespaltenen Gesellschaft. Aktuell wohnen hier knapp 38.000 Menschen. Die meisten der erwachsenen Bewohner/innen leben von niedrigen Löhnen oder Renten. Die Arbeitslosenquote ist stark überdurchschnittlich (ca. 10%), die Kinderarmut extrem hoch: Fast jeder zweite unter 15-Jährige lebt in einer Hartz-4-Bedarfsgemeinschaft.

Mietenexplosion verschärft soziale Schieflage

Gropiusstadt wurde von 1962-1975 fast ausschließlich durch gemeinnützige, kommunale und genossenschaftliche Wohnungsbauunternehmen erbaut, der Anteil von Sozialwohnungen lag bei 90%. Durch die Privatisierung vormals kommunaler Wohnungsunternehmen änderten sich die Eigentumsverhältnisse radikal. In den 90er-Jahren veranlasste der Berliner Senat den Verkauf der Gehag, die nicht nur treibende Kraft in der Bauphase war, sondern bis dato auch über den bei weitem größten Wohnungsbestand verfügte. Dadurch fiel ein Großteil der Siedlung profitorientierten und börsennotierten Immobilienkonzernen zu. So befindet sich der gesamte westliche Teil heute im Eigentum von Deutsche Wohnen SE, der IMW Immobilien SE und der Adler Group S. A.. Wobei die IMW – in Gropiusstadt bekannt unter dem Namen der konzerneigenen Hausverwaltung Gropiuswohnen – mit über 4.000 Wohnungen gegenwärtig der größte private Vermieter vor Ort ist. Nur im Südosten der Siedlung besteht durch die landeseigene Degewo ein kommunaler Wohnungsbesitz fort. Dieser umfasst allerdings nur noch ungefähr ein Viertel des Gesamtwohnungsbestandes (durch die Senatsstrategie von Rückkauf und Neubau allerdings jüngst wieder mit steigender Tendenz). Gehalten hat sich auch der genossenschaftliche Besitz von etwa 1.300 Wohnungen.

Die Privatisierung hatte die erwartbaren Konsequenzen: 2010 lag die Durchschnittsmiete bei Gropiuswohnen noch bei 4,26 Euro/qm. Mit dem Auslaufen der Mietpreisbindungen ab den 00er Jahren passte der Wohnungskonzern die Mieten kontinuierlich an das Mietspiegelniveau (ca. 6-7 Euro/qm) an. Bei Neuvermietung verlangt Gropiuswohnen im Schnitt 8 Euro/qm und kann somit gänzlich ohne Investitionen die Mietgewinne drastisch steigern. Die Begrenzung der Mietsteigerung durch die 2015 eingeführte Mietpreisbremse umgeht der Konzern zudem (wie auch die Deutsche Wohnen) mit energetischen Modernisierungen.

Mieter/innen organisieren sich

Die Modernisierungen bedeuten für die Mieter/innen in Gropiusstadt eine extreme Belastung. Um die 1960/70er-Jahre-Bauten auf einen zeitgemäßen Stand von Energieeffizienz zu bringen, sind monatelange Bauarbeiten nötig, die mit massivem Lärm, Schmutz, Verlust von Privatsphäre und mit nur noch sehr eingeschränkter Bewohnbarkeit der Wohnungen verbunden sind. Die im Anschluss fälligen Mieterhöhungen stellen viele Mieter/innen zudem vor existenzielle Probleme. Viele, die ohnehin schon einen Großteil ihres niedrigen Einkommens für die Miete aufbringen müssen, wissen schlicht nicht, wo sie das Geld für monatliche Mehrkosten hernehmen sollen, die bei Familien schnell mehrere hundert Euro erreichen können. Verstärkt werden diese Belastungen noch durch die mangelhafte Kommunikation seitens der Immobilienkonzerne. Einzig darauf bedacht, die Modernisierungen möglichst kostengünstig und reibungslos durchzuziehen, zeigen sie zumeist keinerlei Verständnis und Entgegenkommen.

Im Kontext der Modernisierungswelle hat die Partei Die Linke ab 2017 die Bildung von Mieterinitiativen unterstützt. Daraus hervorgegangen ist der Mietentisch Gropiusstadt, der heute ein mietenpolitisches Forum bietet und Hausgemeinschaften bei konkreten Auseinandersetzungen zur Seite steht. Dabei geht es zentral darum, die Ohnmacht der Einzelnen zu überwinden und zu beratschlagen, wie man sich gemeinsam gegen die mit der Modernisierung verbundenen Zumutungen wehren kann. Dies bedeutet nicht nur, sich Wissen über Mieterrechte anzueignen und davon Gebrauch zu machen. Die Organisierung führte auch zu einem Gewinn von Handlungsmacht. Durch gemeinsames Vorgehen und öffentliche Protestaktionen gelang es, Gropiuswohnen zu einer Absenkung der nachfolgenden Mieterhöhungen zu bewegen.

Der Mietentisch unterstützte auch die Unterschriftensammlung für das Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co. enteignen. Gropiusstadt war einer der Sammelschwerpunkte in Neukölln. Am Ende stimmte eine Mehrheit der Gropiusstädter/innen für die Vergesellschaftung der großen Wohnungskonzerne (53%). Neben dem großen, von den Aktiven des Mietentischs mitgetragenen, Engagement der Initiative vor Ort, war es vermutlich auch die kollektive Erinnerung an die Zeit vor der Privatisierung, die eine mehrheitliche Befürwortung des Volksentscheids beförderte. Trotz aller Mängel, die die Hochhaussiedlung auch schon früher aufwies, bot der kommunale Wohnungsbesitz doch für die hier wohnenden Mieter/innen einen wirkungsvollen Schutz vor eben jenen Preisdynamiken des privaten Wohnungsmarkts, in die die Gropiusstädter/innen gegenwärtig mehr und mehr hineingerissen werden.

Verdrängung ist keine Lösung

Stadtentwicklung in Berlin bedeutet leider häufig genug Aufwertung und Verdrängung von schlechter gestellten Haushalten durch steigende Mieten. Auf diese Weise werden zwar die sozialen Problemlagen in einem Stadtteil gemindert, die soziale Ungleichheit in der Stadt aber insgesamt verschärft. Haushalte mit niedrigen Einkommen werden in einzelne Stadtteile abgedrängt, wo sich dann soziale Problemlagen verdichten. Ist diese Form der Stadtentwicklung überall zynisch, so stößt sie in Großsiedlungen wie Gropiusstadt zudem auf Grenzen, zuvorderst die Stadtgrenze. Wo sollen Menschen noch hinziehen, wenn sie sich in Gropiusstadt die Miete nicht mehr leisten können? In einer Stadt mit explodierenden Mietpreisen muss alles getan werden, um großflächigen Mietwohnungsbestand mit noch halbwegs bezahlbaren Mieten zu erhalten. Zugleich müssen diese Stadtteile in den Fokus einer sozialen Stadtentwicklung genommen werden. Die Einrichtung von Quartiersmanagementgebieten ist dabei jedoch nur eine unzureichende Antwort auf die vielfältigen Problemlagen (Vgl. S. 8). Vordringlich ist die soziale Infrastruktur. Insbesondere Kitas und Freizeiteinrichtungen für Kinder und Jugendliche müssen weiter ausgebaut werden, um armutsbedingter Benachteiligung entgegen zu wirken.

Damit die Gropiusstadt nicht abgehängt wird, muss sie weiterentwickelt werden. Die Umsetzung des Volksentscheids hätte hierfür ein doppeltes Potenzial. Über den Erhalt und die Neuschaffung bezahlbaren Wohnraums hinaus würden die – vom Volksentscheid geforderten – neuen Formen öffentlichen Eigentums die Spielräume einer an den Bedürfnissen der Bewohner/innen orientierten Stadtentwicklung erweitern. Eine Umsetzung hätte in Gropiusstadt zur Folge, dass der Stadtteil fast flächendeckend in öffentlichem Eigentum wäre. Dies böte die Chance, die aktuell anstehenden Gebäudemodernisierungen mit einem weiter gefassten gesellschafts- und stadtentwicklungspolitischen Projekt zu verbinden. Statt sie den Profitinteressen der privaten Immobilienkonzerne zu überlassen, könnte die technische Modernisierung mit der Frage verbunden werden, wie sich Wohnraum, Stadtteilleben und soziale Infrastruktur im Sinne der Bedürfnisse der Bewohner/innen weiterentwickeln ließen. 


Tony Pohl und Johannes L. leben sehr gern in Gropiusstadt und engagieren sich beim Mietentisch Gropiusstadt. Tony Pohl ist zudem Mitglied im Bezirksvorstand von Die LINKE Neukölln.


MieterEcho 425 / Juli 2022