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MieterEcho 423 / April 2022

Gemeinwohl statt freier Markt

Für eine radikale Mietenpolitik im Metropolraum

Von Isabelle Vandre

Der Zuzug von Berliner/innen in das unmittelbare Brandenburger Umland ist keine Perspektive, die sich für die Zukunft abzeichnet – er ist längst Realität.  Welche Auswirkungen das schon heute auf den Brandenburger Wohnungsmarkt hat und welche politischen Maßnahmen jetzt aus linker Sicht gebraucht werden, soll dieser Artikel beleuchten.

Das Berliner Umland wächst. Zwischen 2011 und 2019 verzeichneten die an Berlin angrenzenden Kommunen laut Landesamt für Bauen und Verkehr einen Bevölkerungsanstieg von 10,4%. Mittlerweile wohnen knapp 40% der Brandenburger/innen im Berliner Umland. Knapp drei Viertel der Wanderungsgewinne seit 2017 resultierten dabei aus der Bundeshauptstadt. Doch auch in zentral gelegene und gut erreichbare Orte des weiteren Metropolraums wie Eberswalde, Beelitz, Nauen und Zossen ziehen seit 2013 mehr Menschen aus Berlin als in die Großstadt in der Mitte Brandenburgs abwandern – Tendenz steigend. Der Zuzug aus Berlin ist damit Realität. 

Um es gleich klarzustellen: Zuzug ist nicht per se schlecht. Er verlangt jedoch politische Rahmenbedingungen, die die negativen Effekte für die bereits in den Kommunen lebende Bevölkerung abwenden, eine Überlastung der örtlichen Infrastruktur verhindern und auch neu zuziehende Menschen ihren Bedürfnissen entsprechend unterstützen. Bisher wird dieser Prozess in Brandenburg jedoch vollends den Mechanismen des freien Marktes überlassen. Was das in der Entwicklung bedeutet, lässt sich am eindrücklichsten an den Bodenpreissteigerungen ablesen. So berichteten Lokalmedien erst vor wenigen Wochen, dass die Bodenpreise im Landkreis Potsdam-Mittelmark zwischen 2020 und 2021 so stark gestiegen seien wie noch nie. Kommunen wie Michendorf und Teltow verzeichneten innerhalb nur eines Jahres Preissteigerungen von 40 bzw. 20 Euro/qm auf 130 Euro. Spitzenreiter in Potsdam-Mittelmark ist seit Jahren Kleinmachnow. Hier stieg der durchschnittliche Bodenpreis innerhalb von 5 Jahren von 360 Euro auf 615 Euro/qm. Bei besonders attraktiven Grundstücken werden mittlerweile mehr als 1.000 Euro/qm aufgerufen. Ähnliche Entwicklungen wie in Potsdam-Mittelmark zeichnen sich in allen an Berlin angrenzenden Kommunen ab. Dass diese ebenfalls in die Fläche des Landes strahlen, zeigen Preissteigerungen in Orten wie Eberswalde, wo die Bodenpreise für individuelle Wohnbauvorhaben um 35% gestiegen sind, in einzelnen Wohnsiedlungen wie der Clara-Zetkin-Siedlung in Finow sogar um 70%. Hinzu kommt, dass in den Kommunen eigens verfügbarer Boden knapp wird. Notwendige Infrastrukturmaßnahmen, wie der Bau von Kitas und Schulen, aber auch neue Wohnungsbauprojekte etwa durch das eigene kommunale Wohnungsunternehmen oder lokale Genossenschaften werden erschwert, weil die Kommunen schlicht keine Flächen mehr haben, auf denen dies realisierbar wäre. Wollen sie dennoch bauen, müssen sie neben den explodierenden Baukosten auch die Bodenpreissteigerungen aufwenden.

Sinkender Leerstand und steigende Mietpreise

Auch die Leerstandsquoten und die Mietpreissteigerungen deuten in eine ähnlich alarmierende Richtung. So betrug der Leerstand 2020 im Berliner Umland nur noch 1,9%. Bereits ein Jahr zuvor gab die Verwaltung der Landeshauptstadt Potsdam an, dass die Leerstandsquote zwar 1,43% betrage, allerdings nur noch 0,59% der Wohnungen überhaupt vermietbar seien. In seinem jährlichen Wohnungsmarktbericht betont der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) regelmäßig, dass selbst im Metropolraum die Mietpreise im Verhältnis zu Berlin moderat seien und diese um ca. 10% unterbieten würden. Betrachtet man jedoch die Bruttowarmmieten im Vergleich, so ist dieser Unterschied verschwindend gering. Durchschnittlich kostet die Bruttowarmmiete im Berliner Umland 9,14 Euro/qm. In der Landeshauptstadt Potsdam sind es sogar 9,78 Euro/qm und damit nur 9 Cent weniger als im Durchschnitt in Berlin. 

All diese Tendenzen stehen dem über Jahre gefestigten Bild eines schrumpfenden Bundeslandes gegenüber, auf das auch die politischen Entscheidungen ausgerichtet sind. Wir sind ganz am Anfang einer sich langsam ändernden Zustandsbeschreibung, die sowohl die Schrumpfungs- als auch die Wachstumsprozesse mit ihren spezifischen Problemen und Handlungsanforderungen wahrnimmt. Von intelligenten oder gar radikalen Lösungen im Umgang mit diesen Herausforderungen sind wir meilenweit entfernt. Es fehlt sogar an Bewusstsein und Willen, die wenigen, zum Teil nur bedingt wirkungsvollen Instrumente zum Mieterschutz des Bundes umzusetzen. Erst 2021 ließ die Landesregierung die Mietpreisbegrenzungs- und Kappungsgrenzenverordnung in mehr als einem Dutzend Städten im Berliner Umland auslaufen, statt die Gelegenheit zur Überarbeitung der Richtlinie zu nutzen, um mehr Bürger/innen vor Mietpreissteigerungen zu schützen. Betroffen davon waren sowohl Kommunen in der Tesla-Ansiedlungsregion (Erkner) als auch im direkten Umfeld des Flughafens BER (Schönefeld und Königs Wusterhausen) – also jenen Regionen des Landes, in denen ein weiterer Zuzug sowie weitere Unternehmensansiedlungen zu erwarten sind. Hinzu kommt, dass die Landesregierung sich bis heute weigert, eine Richtlinie zu erarbeiten, die es den von Wohnraummangel betroffenen Kommunen ermöglicht, die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen unter Genehmigungsvorbehalt zu stellen. Auch die Soziale Wohnraumförderung schafft es weder, die auslaufenden Mietpreis- und Belegungsbindungen zu kompensieren, noch fängt sie die Baukostensteigerungen ein. Seit 2020 hat die Kenia-Koalition die Wohnraumförderung sogar um 35 Millionen Euro gekürzt. Und auch auf kommunaler Ebene haben wir einen immensen Nachholbedarf, weil keine einzige Stadt in Brandenburg bisher eine rechtskräftige Milieuschutzsatzung beschlossen hat und das Ziel der langfristigen Flächensicherung in öffentlicher Hand erst langsam ins Bewusstsein vordringt.

Von anderen Metropolräumen lernen

Erster, notwendiger Schritt wäre es also, den Mangel an günstigem, sozial verträglichen Wohnraum und die Realität der Verdrängungsprozesse endlich wahrzunehmen. Was wir in Brandenburg brauchen, ist ein ganzer Instrumentenkoffer, um den jeweiligen, regional unterschiedlichen Anforderungen gerecht zu werden. Dazu zählen der seit den 90er Jahren andauernde Stadtumbau in Schwedt oder der Umgang mit Leerstand in Forst genauso wie harte Schutzmechanismen vor Preisexplosionen für die Mieter/innen in Oranienburg, Schönefeld und Potsdam, wie wir sie aus Berlin, München, Frankfurt/Main oder anderen Großstädten kennen. Statt zu argumentieren, dass Brandenburg nicht München ist, müssen wir von anderen Metropolräumen lernen und stärker mit Berlin zusammenarbeiten. Zwar gibt es den gemeinsamen Landesentwicklungsplan Hauptstadtregion, eine gemeinsame Landesplanungsabteilung und regionale Arbeitsgruppen aus aneinander angrenzenden Berliner Bezirken und Brandenburger Kommunen, aber es fehlt an gemeinsamer (zivilgesellschaftlicher) Praxis. Wir merken rings um Berlin, dass Landesgrenzen im Lebensalltag der Menschen eine immer geringere Rolle spielen. Der Übergang zwischen Berlin und Brandenburg ist zum Teil fließend. Berliner/innen erledigen in Brandenburger Städten ihre Einkäufe, bringen ihre Kinder zur Schule oder in die Kita und pendeln mit dem Regio in die Berliner Innenstadt. Auch Berliner Akteur/innen treten zunehmend auf dem Brandenburger Wohnungsmarkt in Erscheinung. Das betrifft die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften und die großen privaten Immobilienkonzerne wie Deutsche Wohnen und Vonovia gleichermaßen. Stärker mit Berlin zusammenzuarbeiten heißt, auch in den jeweils geführten Debatten und ausgetragenen Konflikten voneinander zu lernen. Ziel muss es sein, gemeinsam mit Stadtinitiativen, regionalen Akteur/innen und Bündnissen eine kooperative Entwicklung von Stadt und Regionen zu entwickeln. Handlungsmaxime muss dabei eine Politik sein, die knallhart im Interesse der Mieter/innen agiert. Das bedeutet, dass weder die Verfügbarkeit von Boden, noch die Bautätigkeiten den Gesetzen des freien Marktes überlassen werden dürfen. Nur durch eine langfristige Sicherung von Boden in kommunaler Hand und strategische Rückkäufe werden die Kommunen ihre Gestaltungsmöglichkeiten verteidigen bzw. zurückerlangen können. Wir müssen auf starke, dem Gemeinwohl verpflichtete kommunale Wohnungsunternehmen, Genossenschaften und Baukollektive setzen und Großinvestoren zurückdrängen, statt sie zu hofieren. 

 

Isabelle Vandre ist wohnungs- und mietenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Brandenburger Landtag und zudem Mitglied der Stadtverordnetenversammlung in Potsdam.
Zur Wohnungsmarktbeobachtung 2020 des Landesamts für Bauen und Verkehr: lbv.brandenburg.de/5323.htm


MieterEcho 423 / April 2022