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MieterEcho 425 / Juli 2022

Für wen wird hier gebaut?

In Neukölln entstehen in erster Linie neue hochpreisige Gewerbeflächen

Von Sabrina Ingerl

Neukölln zählt zu den am dichtesten besiedelten innerstädtischen Gebieten in Deutschland. Gebaut wird trotzdem. Denn der Bezirk liegt nicht nur seit den letzten Jahren im Trend, was eine erhöhte Nachfrage nach Wohnraum mit sich brachte. Die Fertigstellung des Berliner Großflughafens BER macht Neukölln zum vielleicht nicht mehr ganz so geheimen Tipp für Unternehmen, die in der Hauptstadt auf Standortsuche sind.   

Neuköllns verrufenes Image als „No-Go-Area“ gehört wohl endgültig der Vergangenheit an. Zumindest in Sachen Baugeschehen zeichnet sich der Bezirk mittlerweile durch millionenschwere Großprojekte aus, zugeschnitten auf Bedürfnisse moderner Unternehmen und der sogenannten Creative Class. Das vielleicht prominenteste Vorhaben ist das des Estrel-Besitzers Ekkehard Streletzki, der mit dem Estrel-Tower das bald höchste Hochhaus Berlins und das höchste Hotel Deutschlands errichten möchte. Im Sommer letzten Jahres begannen die Bauarbeiten für den 176-Meter-Turm an der Sonnenallee. Auf 45 Etagen werden Hotelzimmer, vollmöblierte Apartments, Veranstaltungsflächen, Büro- und Co-Working-Flächen zur Vermietung stehen. Außerdem soll es ein Restaurant, eine Bar, Wellness- und Fitnessbereiche und ein Parkhaus geben. Die Eröffnung des Towers, dessen gesamtes Investitionsvolumen sich laut eigenen Angaben von Estrel auf 260 Millionen Euro beläuft, ist Ende 2024 geplant.

Auch das von der Maruhn Real Estate Investment GmbH entwickelte „Kalle“ in der Karl-Marx-Straße 101 verfolgt ein Konzept der vielseitigen Nutzung. Das ehemalige Kaufhaus mit dazugehörigem Parkhaus wird nach Aussage des Unternehmens zu einem „Kiez-Kreativkosmos“ umgebaut. Der Slogan des Projekts lautet: „ist für alle da!“. Das bedeutet konkret, dass von den rund 40.000 qm 26.000 als Büroflächen vermietet werden, 6.000 für einen Food Market und 4.000 für Gewerbeeinheiten. Die übrigen 4.000 qm werden als Dachgartenzone mit Bars, Kräutergärten und einer Terrasse gestaltet, und damit nach Angaben der Projektentwickler „eine neue Welt geschaffen, die allen offen steht“. De facto bleibt es aber ein privater Raum.

Auf dem Hermannplatz soll bekanntlich das Karstadt-Kaufhaus umgebaut werden. Der österreichische Immobilienkonzern Signa will eine Replik des bekannten Karstadt-Kaufhaus aus der Weimarer Republik errichten, das im zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Das Bauvorhaben, von dem Kritiker/innen befürchten, dass es die Gentrifizierung vor Ort enorm befeuern wird, wurde im März vom Senat abgesegnet und ein vorhabenbezogener Bebauungsplan wurde aufgestellt. Das in den letzten Jahren immer wieder überarbeitete Konzept sieht laut Angaben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen „neben dem Warenhaus (…) im Zuge einer baulichen Nachverdichtung weitere Nutzungen wie Büros, Gastronomie, zusätzlichen Wohnraum und gemeinwohlorientierte Nutzung“ vor.

In die Riege der Großbauvorhaben mit Multifunktionskonzept reiht sich genauso das „SHED“ ein. Das Projekt begreift sich selbst als „moderne Fabrik“ für „innovationsorientierte Kreative, Forschende und Produzierende“. Auch hier werden die 35.000 qm des, wie der Estrel-Tower, am Schifffahrtskanal gelegenen Designer-Baus als Büro- und Veranstaltungsflächen vermietet. Die Nettokaltmiete liegt in den meisten Fällen zwischen 23 und 27,50 Euro/qm. Im dritten Quartal 2023 soll das Gemeinschaftsprojekt der Berliner Klingsöhr-Gruppe und der Kölner Dereco GmbH abgeschlossen sein. Ebenfalls vom Duo Klingsöhr und Dereco geplant ist das Backsteingebäude „Hohe Neun“ in der Neuköllnischen Allee. Das „‚kleine Hochhaus‘ direkt neben dem ESTREL-Tower“, wie es auf der Webseite zu dem Projekt heißt, werden 11.000 qm Bürofläche im Loft-Stil für zwischen 15,50 und 25,50 Euro/qm Nettokaltmiete angeboten.

Stellenweise finden auch Vorhaben mit sozialer Ausrichtung einen Platz in Neukölln. So wird auf dem Areal des Campus Efeuweg im Süden des Bezirks weitergebaut. Das Gemeinschaftsprojekt, an dem auch das Bezirksamt Neukölln und die Senatsverwaltung beteiligt sind, will mit unterschiedlichen Angeboten im Bereich Sport-, Freizeit und Lernen die Bildungsvoraussetzungen für Kinder und Jugendliche verbessern. Bis 2023 soll der Umbau der früheren Doppelsporthalle zur Campushalle fertiggestellt werden. Zusammen mit dem Forum „soll hier ein zentraler Veranstaltungsort für die Anwohner*innen und alle Akteure auf dem Campus geschaffen werden“. Mit dem Zentrum für Sprache und Bewegung entsteht zudem gerade „ein neuer Lern-, Bewegungs- und Begegnungsort für die ganze Nachbarschaft“. 

Im Juni feierte das Medienhaus „Publix“ in der Hermannstraße Richtfest. Das von der Schöpflin-Stiftung entwickelte Projekt ist auf gemeinwohlorientierten Journalismus spezialisiert. Auf 4.000 qm werden Büro-, Studio- und Veranstaltungsflächen für Journalist/innen und zivilgesellschaftliche Initiativen angeboten. Erste Mieter sind Correctiv und Reporter ohne Grenzen. Im Herbst 2023 soll das „Haus für Journalismus und Öffentlichkeit“ eröffnen.

Wohnungsbau in Buckow und in der Gropiusstadt 

In Sachen Wohnungsbau planen drei der sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften Neubauprojekte in Neukölln. Die Stadt und Land errichtet bis 2024 in Alt-Britz zwei Mietshäuser mit 36 Wohnungen, die gleichzeitig wissenschaftliche Erkenntnisse liefern sollen. Im Sinne der Nachhaltigkeit wird das eine Gebäude aus Holz, das andere aus Stein gebaut und beide Bauweisen wissenschaftlich miteinander verglichen. Die Stadt und Land ist außerdem am klimaneutralen Stadtquartier Buckower Felder am südlichen Stadtrand Berlins beteiligt. 50% der 900 bis 950 Wohnungen werden mit sozialer Bindung und zu einem Preis von 6,50 bis 6,70 Euro/qm vermietet. Außerdem ist eine CO2-neutrale Wärmeversorgung als Ziel formuliert und auch Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche sollen nicht zu kurz kommen.

Bei den bereits bestehenden Buckower Höfen der Gewobag wird bis 2027 die gesamte Wohnanlage modernisiert und erweitert. Einige der Bestandsgebäude des Anfang der 70er Jahre entstandenen Siedlungsbaus werden nun um ein Geschoss aufgestockt. Zusätzlich entstehen fünf neue Mehrfamilienhäuser. So kommen zu den bereits existierenden 994 Wohnungen 255 neue Mietwohnungen hinzu und die Außenanlage wird neugestaltet.

Auch in der Gropiusstadt geht die 2014 begonnene Verdichtung des Stadtteils weiter. In dem Bezirksteil, der als sozialer Brennpunkt gilt, baut die Degewo 44 neue Wohnungen, die alle für 9,99 Euro/qm Nettokaltmiete vermietet werden. Genauso viele Wohnungen entstehen an der Fritz-Erler-Allee/Käthe-Dorsch-Ring, auch von der Degewo durchgeführt. Hier handelt es sich ausschließlich um dauerhaft sozial gebundene Einzimmerwohnungen.

Noch in diesem Jahr soll das gleichfalls in der Gropiusstadt gelegene Wohnhochhaus am Friedrich-Kayßler-Weg 1 fertig werden. Hier entstehen 151 Wohnungen ab durchschnittlich 6,60 Euro/qm Nettokaltmiete. Die Hälfte der Wohnungen sind dauerhaft sozial gebunden und 94 Wohnungen sind barrierefrei. Zudem soll es zwei WG-geeignete Wohnungen für betreutes Wohnen und einen Gemeinschaftsraum geben.

Neue Eigentumswohnungen im Zentrum des Bezirks

Im eher nördlichen und somit deutlich zentraleren und stärker verdichteten Teil des Bezirks errichtet das börsennotierte österreichische Unternehmen Buwog Group gerade die Wohnanlage „Neumarien“. Am Mariendorfer Weg entstehen neben einer Kita für 70 Kinder 800 Wohnungen, die sich aus 147 mietpreisgebundenen, 214 freien und geförderten Mietwohnungen und 440 Eigentumswohnungen zusammensetzen, und bis Ende 2023 bezugsfertig sein sollen. Auch Vonovia baut 214 Mietwohnungen in dem neuen Quartier, von denen 54 Wohnungen gefördert und damit preisgebunden sind.

Im Herzen des Bezirks laufen schließlich mehrere Bauvorhaben, die ausschließlich Eigentumswohnungen im Angebot haben. An der Grenze zur Hasenheide und zum Tempelhofer Feld entsteht gerade der Neubau „Neuköllner Freiheit“ und mit ihm acht Eigentumswohnungen. Auch im Reuterkiez können bald Eigentumswohnungen erworben werden. Im zweiten Quartal 2022 soll der Bau von neun Wohnungen und zwei Gewerbeeinheiten in der Weserstraße starten. Und direkt angrenzend, allerdings schon auf Kreuzberger Seite sind unter dem Namen „55 Garden Lane – Wohnen am Park“ ab 2023 direkt an der Hasenheide acht Eigentumswohnungen bezugsfertig. Wohnen am Park kann allerdings nur, wer pro Quadratmeter 8.841,96 (nach Angaben von Immoscout) bezahlen möchte, – oder besser gesagt – wer das kann. 


MieterEcho 425 / Juli 2022