Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 424 / Mai 2022

„Für mich ist das Rechtsbeugung“

Trotz Wasserknappheit und massiven Umweltschäden wurde die Tesla-Gigafactory in Grünheide mit allen Mitteln durchgesetzt

Interview mit Heidemarie Schroeder

MieterEcho: Seit über zwei Jahren kämpfen Sie und Ihre Mitstreiter/innen gegen die Ansiedlung der Gigafactory des US-Konzerns Tesla. Doch die Fabrik steht und die Produktion hat begonnen. Was motiviert Sie, dennoch weiterzumachen, und welche konkreten Ziele haben Sie jetzt noch im Visier?

Heidemarie Schroeder:  Das kommt darauf an, was man als Ziele sieht. Natürlich hätten wir gerne den Bau des Werks verhindert, aber wir wussten eigentlich von Anfang an, dass das kaum zu erreichen sein würde. Wir wollen jetzt verhindern, dass die weiteren Ausbaustufen der Gigafactory realisiert werden, und wir wollen vor allem verhindern, dass noch mehr Wasser verbraucht und verschmutzt wird, dass neue Wasserwerke das Löcknitztal trockenlegen und dass über ein Klärwerk Wasser in die Spree eingeleitet wird.

Die geplante Ansiedlung wurde seit der Bekanntgabe von fast allen Parteien und Verbänden nahezu euphorisch gefeiert, vor allem in Hinblick auf die Strukturentwicklung und die Arbeitsplätze. Warum ist es den Gegner/innen nicht gelungen, diesen Konsens aufzubrechen?

Das fragen wir uns auch. Es gibt in der Tat diesen parteiübergreifenden Konsens für die Ansiedlung. Die einzigen, die überhaupt noch kritische Fragen stellen, sind zum einen die Linken und auch die verschwindend kleine ÖDP. Und leider auch die AFD. Dieser Konsens hat vor allem mit der Bedeutung und Macht der Autoindustrie zu tun, die ja über alle Wertschöpfungsketten für über die Hälfte des Bruttosozialprodukts in Deutschland steht. Und jetzt, wo Diesel- und Benzin-PKW gegen die Wand gefahren sind, muss eben ein neues Ross geritten werden, und das ist die E-Mobilität.

Doch für eine ökologische Verkehrswende bringt das gar nichts. Dafür müssten der ÖPNV und auch die Radwege massiv ausgebaut werden. Wir müssen weg vom motorisierten Individualverkehr und vor allem von den großen, schweren Autos. Aber genau solche will Tesla ja hier bauen.

Das wichtigste Argument der Befürworter/innen ist ja, dass mit der Ansiedlung die wirtschaftlichen Entwicklungspotenziale dieser strukturschwachen Region enorm gesteigert werden. Sind Sie prinzipiell gegen derartige Investitionen oder speziell in der bislang recht beschaulichen Gemeinde Grünheide? Und haben Sie andere Optionen für die Region auf den Tisch gelegt?

Das war ja nicht unsere Aufgabe. Wir wollten klarmachen, dass dieser Standort ungeeignet ist. Denn dort wird in einem Wasserschutzgebiet gebaut und in einer der trockensten Regionen massiv Wasser verbraucht. Und was die Arbeitsplätze betrifft, hat unser Wirtschaftsminister das Unternehmen ja auch mit dem westpolnischen Arbeitsmarkt gelockt. Hier entstehen bestimmt nicht die Arbeitsplätze, die man sich eigentlich wünscht. Die Arbeiter/innen haben Schweigepflicht über ihre Verträge, Überstunden sind selbstverständlich, ein Teil des Lohns wird in von für vier Jahre gebundenen Aktien ausgezahlt, um die Arbeiter/innen auf Gedeih und Verderb an den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens zu ketten. In unserer Region selbst hat das Werk kaum Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, die Arbeitslosigkeit liegt bei gut 5% und viele Handwerker/innen hier suchen händeringend Mitarbeiter/innen. Es gäbe in Brandenburg viele Gebiete, in denen es tatsächlich seit der Wende kaum noch Beschäftigungsmöglichkeiten gibt. Dort hätte man doch bauen können, anstatt hier Wald und Natur in großem Umfang zu zerstören und den Wasserhaushalt zu gefährden.

In Grünheide gab und gibt es auch viele Befürworter/innen der Ansiedlung. Wie hat sich die Auseinandersetzung zwischen diesen scheinbar unvereinbaren Grundpositionen entwickelt, und was bedeutet das für die Zukunft der Gemeinde?

Die Gruppe der offenen Befürworter/innen ist relativ klein. Die argumentieren vor allem mit dem technischen Fortschritt und dem wirtschaftlichen Wachstum. Doch die meisten Bewohner/innen sind leider weitgehend desinteressiert. Ich habe mit vielen Menschen hier gesprochen. Viele haben auch Befürchtungen, dass der Verkehr zunimmt und die Wasserversorgung vor allem für die Natur gefährdet ist. Denn man sieht ja jetzt schon, wie die Wasserstände sinken. Aber die meisten haben einfach Angst, den Mund aufzumachen. Es gibt hier weit verbreitet eine tief verwurzelte Einstellung, dass es eh keinen Zweck habe, sich zu engagieren, wenn die Obrigkeit was beschlossen hat. Und viele haben auch Angst, sich offen zu äußern und damit Konflikte im eigenen Umfeld auszulösen.

Die Initiativen sind ja nicht nur politisch, sondern auch juristisch gescheitert. Die zahlreichen Klagen zu verschiedenen Aspekten der Ansiedlung sorgten bestenfalls für einige Verzögerungen und Änderungen, aber letztendlich stand die Betriebsgenehmigung. Haben die Gerichte bestehende Gesetze und Richtlinien ignoriert? Oder müssten einige Gesetze geändert werden?

Nein, man bräuchte sich nur an bestehende Gesetze halten. Wenn in einem Wasserschutzgebiet gebaut wird, müssen die dafür geltenden Regeln eingehalten werden. Wenn ich hier ein Haus baue, bekomme ich umfangreiche Auflagen und darf beispielsweise keine Bohrungen vornehmen. Tesla hat tausende von Pfahlbohrungen gesetzt, um die Fundamente der Werksbauten  zu stabilisieren. Im Gesetz steht auch, dass nicht mit Chemikalien operiert werden darf und auch keine Chemiefabrik errichtet werden kann. Aber das geplante Batteriewerk ist eine Chemiefabrik und da wird es auch ohne Unfall zu prozessbedingten Einleitungen in das Grundwasser kommen. Aber mit Tesla wurden vom Umweltamt rund 400 Nebenabreden und Ausnahmeregelungen vereinbart, die dann von den Gerichten bestätigt wurden. Ich bin ja juristischer Laie, aber für mich ist das Rechtsbeugung. In vielen involvierten Behörden wussten auch viele kompetente Mitarbeiter/innen, mit denen wir gesprochen haben, was da läuft. Aber da hatten viele auch Angst, dass sie berufliche Nachteile erleiden, wenn sie sich querstellen und eine Genehmigung ablehnen. 

Es scheint dabei nicht nur um eine Autofabrik in Brandenburg zu gehen. Sondern um einen umfassenden Paradigmenwechsel bei der Industrie- und Umweltpolitik. Wie schätzen Sie das ein?

Ja, das ist genau so.

Es gibt zahlreiche kritische Publikationen zu Tesla und der Gigafactory, unter anderem auch von Ihnen. Was sind denn für Sie die wichtigsten Kritikpunkte? Das Wasser? Der Wald? Die Infrastruktur? Das Genehmigungsverfahren und die Bürgerbeteiligung?

Zum einen habe ich natürlich auch eine persönliche Sichtweise. Ich habe da mein Haus und gucke über die Spreeauen auf die Spree. Für mich waren daher die Themen Wasser und Wald der Zugang. Aber am wichtigsten ist für mich die Rechtsbeugung. Ich bin 1953 geboren, war immer ein streitbarer Mensch und habe es geschätzt, in einer Demokratie zu leben. Ich wusste immer, das ist nicht alles ideal, und der Kapitalismus ist im Prinzip keine gute Ordnung. Aber man kann sagen, was man denkt, und wenn man sich ungerecht behandelt fühlt, kann man sein Recht auch vor Gericht geltend machen. Aber wenn das, was jetzt passiert, Schule macht, dann entsteht ein unermesslicher gesellschaftlicher Schaden für die ganze Gesellschaft.

Ich hätte auch einfach mein Haus verkaufen und wegziehen können. Aber das Thema treibt mich weiter um, und deswegen engagiere ich mich weiter, u.a. bei der Wassertafel Berlin-Brandenburg. In allen Teilen der Welt ist der Zugang zu genügend und sauberem Wasser ein zentrales Thema. Und dabei geht es natürlich auch um die Gewinnung von Rohstoffen wie Lithium, Kobalt und Nickel, die für E-Mobilität grundlegend sind. Ich sehe nicht, dass wir da immer erfolglos bleiben, weil es da auch international großen Widerstand gibt. Die Umweltzerstörung gibt es eben nicht nur im kleinen Grünheide. 

Was für Aktionen planen Sie und Ihre Mitstreiter/innen derzeit?

Durch das schnelle Agieren von Tesla und der Behörden müssen wir ziemlich spontan reagieren. Im Moment arbeiten wir auch an einer Vernetzung mit Organisationen aus Mittel- und Südamerika. Die sagen uns, was ihr mit Tesla habt, haben wir in noch viel stärkerer Ausprägung mit VW. Uns geht es dabei auch um die ganze Wachstumsideologie. Wirtschaftsminister Habeck sagte, wenn wir nun Pyramiden bauen würden, wäre das auch wirtschaftliches Wachstum, aber nichts Sinnvolles. Die großen, schweren E-Autos mit ihrem Gewicht von 2,5 Tonnen sind wie Pyramiden, jedoch im Gegensatz zu diesen noch nicht einmal schön.

Wir bedanken uns für das Gespräch.

Das Gespräch führte Rainer Balcerowiak.

 

Heidemarie Schroeder ist Zahnärztin im Ruhestand und u.a. in der Bürgerinitiative Grünheide, im Verein für Natur und Landschaft Brandenburg und in der Wassertafel Berlin-Brandenburg aktiv.


MieterEcho 424 / Mai 2022

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